#Sachbuch

Warum macht uns Kultur so glücklich?

Sabine Benzer, IG Kultur Vorarlberg (Hg.)

// Rezension von Redaktion

Als Geisteswissenschaftler hört man ob der inflationären Verwendung des Kulturbegriffes inzwischen ja schon das Gras wachsen, und darum möge man dem Rezensenten nicht böse sein, wenn er schon beim Titel des Buches ins Grübeln gerät: Was ist hier mit Kultur gemeint? Kultur als Gegenstück zur Natur im Sinne der Veränderung, der Pflege und Nutzbarmachung des noch Ungestalteten? Kultur als Gegenstück zur Barbarei im Sinne zivilisatorisch verfeinerter Lebensart? Hochkultur als Gegenstück zu den Niederungen des Trivialen und Banalen? Kultur als alles, was man nicht (in Wirtschaft, Alltag oder Politik) benötigt, was also keinen unmittelbaren Nutzen hat? Kultur als das Schöne? Kultur als das Eigene im Gegensatz zu anderen Kulturen, die einem fremd sind? Und warum taucht im Untertitel der Kunstbegriff auf? Ist Kunst Teil der Kultur (die Aufzählung der drei Begriffe „Kunst, Kultur und Glück“ spricht dagegen)? Ist Kunst einfach etwas anderes als Kultur? Ist Kunst Teil von Kulturkritik, weil sie als widerständig gedacht und konzipiert wird?

Ein Titel kann natürlich eine solchermaßen angedeutete und notwendige Ausdifferenzierung von Begrifflichkeiten oder gar Beantwortung der genannten Fragen nicht leisten. Darum schlug der Rezensent auch schnell das schmale Büchlein auf, um gleich zu sehen, dass es sich – und so steht’s auch auf dem Klappentext – um die Zusammenstellung einer „Reihe von Interviews mit GesprächspartnerInnen aus unterschiedlichen Theorie- und Praxisfeldern wie Kulturwissenschaft, Philosophie, Literatur, Kulturverwaltung und Wirtschaft“ handelt, die „faszinierende Schlaglichter auf die vielfältigen Zusammenhänge zwischen Kunst, Kultur und Glück“ werfe. Leider erfährt man aber nicht mehr: weder darüber, wer die Interviews geführt hat (wobei anzunehmen ist, dass sie alle von Sabine Benzer, Vorstandsmitglied der IG Kultur Vorarlberg, geführt wurden), noch über den Kontext der Interviews oder die Motive dahinter: Wo wurden sie geführt? Wann? Warum? In welchem Rahmen? Darüber geben weder das Vorwort (eine Buchseite) noch das Nachwort (das diesen Namen kaum verdient, weil es aus einem Zitat auf einer halben Buchseite besteht und damit eher einem Motto gleicht, von dem man zudem nicht recht weiß, wozu es dienen soll) Auskunft. Zumindest finden sich am Ende des Buches Kurzbiografien der interviewten Personen.

Die Kontextualisierung vermisst man schmerzlich, denn so hängen die Interviews in der Luft. Und man benötigt dann doch eine Weile, um die interessanten Passagen in diesem Buch auch ausreichend würdigen zu können. Die Interviews wurden geführt mit Christian Felber, der als Attac-Mitbegründer sowie Erfinder respektive Propagator der „Gemeinwohl-Ökonomie“ bekannt ist, mit Michael Hampe, der seit 2003 eine Professur für Philosophie an der ETH in Zürich inne hat, mit den beiden Tübinger (empirischen) Kulturwissenschaftlern (und gebürtigen Vorarlbergern) Reinhard Johler und Bernhard Tschofen, mit dem Wiener Philosophen Konrad Paul Liessmann, dem langjährigen Direktor der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia Pius Knüsel sowie mit der Schriftstellerin Herrad Schenk.
Die Auswahl wirkt sehr zufällig und erschließt sich erst im Laufe des Lesens: Alle haben sich in der einen oder Form mit dem Thema „Kunst, Kultur und Gesellschaft“ und/oder mit dem Thema „Glück“ – oder auch mit beidem – bereits beschäftigt: So hat etwa Konrad Paul Liessmann ein Philosophicum in Lech zum Thema „Glück“ organisiert (nachzulesen unter Die Jagd nach dem Glück), Michael Hampe ist als Autor des Buches Das vollkommene Leben. Vier Meditationen über das Glück bekannt, das Kulturmagazin von Pro Helvetia hat 2010 eine Ausgabe unter dem Titel Kunst macht glücklich! publiziert, und Pius Knüsel ist auch als Mitherausgeber des Bandes Der Kulturinfarkt ein Begriff; Reinhard Johler und Bernhard Tschofen sind gewissermaßen berufsbedingt mit dem Thema schon befasst, von Herrad Schenk kennt man das Buch Glück und Schicksal. Wie planbar ist unser Leben?, und auch Christian Felbers Gemeinwohl-Ökonomie ist, wenn nicht mit der Frage nach dem „Glück“, dann zumindest mit der nach dem „guten Leben“ befasst.

Aber so heterogen die interviewten Personen, so heterogen und vielfältig sind auch die Antworten auf die gestellten Fragen. Gerade deshalb wäre eine ausführliche Einleitung, die den Kulturbegriff ebenso ausdifferenziert wie die Zusammenhänge von Kunst, Kultur und Glück, eine große Hilfe gewesen. So bleibt es der Leserin und dem Leser nicht erspart, am Ende selbst ein Resümee zu ziehen, dessen mieselsüchtige Variante folgendermaßen klingen könnte: Kunst und Kultur – und damit scheint einmal alles gemeint zu sein, was nicht in den Nutzenkalkülen von Politik und Wirtschaft aufgeht – werden teilweise zu wenig voneinander geschieden, und eine kaum hinterfragte Prämisse von einigen scheint zu sein, dass Kunst/Kultur per se etwas Gutes, Schönes und Wahres ist – und daher nahezu automatisch glücksfördernd.
Aber dieses Resümee wird dem Buch nicht gerecht, denn gerade die Tatsache, dass die genannte Prämisse weitgehend unhinterfragt bleibt, fordert doch einige der interviewten Personen zu Widerspruch und differenzierender Klärung heraus – und an diesen Stellen entwickeln die Gesprächspassagen auch eine Kraft, die das Lesen zu einem Gewinn macht: Denn neben einigen banalen Passagen werden auch spannende und erhellende Einblicke in den Zusammenhang von Kunst, Kultur und Glück geboten – respektive in das, was die Interviewten darunter verstehen -, die über das, was man so gemeinhin kennt oder zu kennen glaubt, hinausgehen. Das Glück des Einzelnen wird dann von der Gestaltung gesellschaftlicher Rahmenbedingungen für dieses ebenso unterschieden wie die Kunst von der Kultur (vor allem im Interview mit Johler/Tschofen), der analytische Kulturbegriff vom produktorientierten (ebenfalls im Interview mit Johler/Tschofen) oder die kritische und aufrüttelnde Funktion von Kunst von ihrer „Fähigkeit“, uns mit ihrem schönen Schein über die Schrecken der Wirklichkeit hinwegzutrösten (Liessmann bezeichnet diese beiden Auffassungen treffend mit „Adorno-These“ und „Nietzsche-These“, S. 70/71).

Dass Kunst und Kultur auch Einübung in einen bürgerlichen Habitus sind, der Distinktionsgewinne verspricht, oder mit Freud gesprochen als eine Kultivierung des Triebwesens Mensch gesehen werden können, bleibt dabei nicht ausgespart. Es wird so auch deutlich gemacht, dass mit Kunst und/oder Kultur ganz Unterschiedliches bezeichnet werden kann, das nicht zusammengeht: Kunst- bzw. Kulturförderung als (wirtschaftliche oder regionalpolitische) Standortsicherung passt nun einmal nicht so leicht mit Kunst/Kultur als Gesellschaftskritik unter einen Hut – um es einmal ganz vereinfacht zu fassen.

Dass Glück, um auch den dritten Begriff noch einmal ins Spiel zu bringen, mit Entwürfen des guten Lebens zusammenhängt, aber damit nicht zusammenfällt, wird dann ebenso klar wie die Tatsache, dass es für das Glück des Menschen zuallererst einmal mehr braucht als den Genuss von Besuchen in der Oper, im Theater oder im Museum: nämlich stabile soziale und politische Bedingungen und – Freiheit. Gerade Liessmann erinnert daran, dass das eine vom anderen nicht geschieden werden kann, zumal es – zumindest seit der zunehmenden Ausdifferenzierung der Gesellschaft ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts – das aufklärerische Versprechen war und immer noch ist, den Menschen durch Kultivierung und Bildung (und die Kunst ist ein Teil dieses Prozesses) erst zu einem freiheitsfähigen Subjekt zu machen. Glück liegt so gesehen und mit Liessmann gesprochen in der Möglichkeit des (kontemplativen und im kantischen Sinne zweckfreien) Schauens, welche uns die Kunst bieten kann. Dass mit dem Kultur- und Kunstbegriff aber im Gegenzug auch Prozesse der gesellschaftlichen Exklusion vorangetrieben und sozioökonomische Ungleichheiten kaschiert werden können, wird im Interview mit Johler/Tschofen angedeutet.

Was das alles nun konkret für die Kunst- und Kulturförderung eines Landes oder einer Region betrifft, wird ab und zu angerissen, bleibt aber ansonsten weitgehend ausgespart – aber dieses Thema ist auch nicht Gegenstand des Buches. Als Fazit bleibt: Trotz der genannten Lücken eine anregende Lektüre, die auch unsystematisch angelegt werden kann und zum Stöbern einlädt.

Sabine Benzer, IG Kultur Vorarlberg (Hg.) Warum macht uns Kultur so glücklich
Gespräche über die Zusammenhänge zwischen Kunst, Kultur und Glück.
Mit Zeichnungen von Viktoria Tremmel.
Wien, Bozen: Folio, 2013.
120 S.; brosch.
ISBN 978-3-85256-636-8.

Rezension vom 01.09.2013

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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