#Prosa

Warten, was der Fluss so bringt

Fritz Popp

// Rezension von Michael Hansel

„Da tut sich was! Man muss nur warten können. Und sehen. Wie die Indianer sagen: Warten und sehen, bis im Fluss die Leiche des Feindes vorbeischwimmt. Er kann auch noch ein bisschen leben. Und auf einen solchen Leichnam habe ich ganz besonders gern gewartet“ (S. 116), heißt es in Fritz Popps titelgebender Geschichte Warten, was der Fluss so bringt, einer von 14 schaurigen Kurzgeschichten und Kürzesttexten, die im Innsbrucker Haymon-Verlag erschienen sind.

Der Klappentext verspricht nicht zuviel: in den „schwarzen Geschichten“ öffnen sich makabere Abgründe, die die LeserInnen mit oft verdrängten Realitäten des alltäglichen Lebens konfrontieren und nachdenklich machen. So ist die finstere Indianerweisheit Lebensphilosophie eines Landarztes, der auf Rache an der Bauernschaft einer kleinen Gemeinde sinnt, weil er durch Vergewaltigung seiner Mutter von eben einem Bauern gezeugt wurde und ihm als Kind einer Eisenbahnerfamilie der Zugang zum „Gemeindeleben“ verschlossen blieb. „Ich wollte sehen, wie alles verkommt, was so groß und stark, so mächtig, so übermächtig war. Was meine Eltern klein gehalten hatte. Und schließlich auch umgebracht hat. Die wortlose Niedertracht, die pralle Übermacht der Naturbezwinger, der Herrschaften, dieses Landadels. Ich will sein Ende sehen.“ (S. 118) Neben den kriminellen Energien des Arztes, die sich in seinem Monolog offenbaren, enthüllt der Text aber auch die Trostlosigkeit und Scheinheiligkeit der dort lebenden Menschen, ihre Lebensweise, ihre Leidensverläufe und (indirekten) Selbstmorde.

Fritz Popps Blick auf den ganz „normalen“ Alltag zeigt ein sehr düsteres, aber ironisch aufbereitetes Bild einer Gesellschaft, in der eine sich verheerend auswirkende Passivität der Menschen zum beherrschenden Maßstab ihrer Realität wird. In „Katzen isst man nicht“ wird einem Mädchen gedroht, seine Katze umzubringen, wenn dieses nicht mit in die Wohnung des Kinderschänders kommen sollte. Die Nachbarn der Siedlung reagieren entsprechend ignorant: „Unglaublich echt, diese Schreie. Vermutlich ein Kind. Missbrauchgeschichten im Fernsehen. Ein häufiges Thema zurzeit, modern eben. Wie die das machen, dass das so echt klingt?“ (S. 8) Erst als die Katze kopfüber an einen Baum genagelt gefunden wird, ist klar, daß es keine Fernsehsendung war. Man erinnert sich an die Schreie, „die nicht aus dem Fernseher kamen, und weiß jetzt bestimmt, dass der Tierquäler das arme Viecherl vorher auch noch gefoltert hat. Wahrscheinlich waren es Kinder.“ – „Vielleicht sogar Mädchen“ (S. 13), meint man, während das mißbrauchte Kind ohne seine Katze aus dem Haus kommt. Man hält (fast) alles für möglich. Dergestalt tummeln sich in Popps Geschichten Unmenschen in kaputten Familien, erleben Kinder den gewalttätigen Vater als permanenten, „in der Luft liegenden“ Schrecken, wird einem liebenden Ehemann (zu Unrecht) der Tod seiner Frau vorgeworfen und treffen sich „abgeschobene“ Senioren von Montag bis Samstag zu regelmäßigen Friedhofsbesuchen.

Mit Warten, was der Fluss so bringt bleibt der 1957 in Vöcklabruck geborene Lehrer, Schriftsteller und Kabarettist Fritz Popp wie schon in seinen vorangegangenen Texten seinem Hang zum Satirischen und seiner Lust am Wortspiel treu. Sein umgangssprachlicher und verknappender, teils fragmentarischer Sprachstil erinnert an den von Wolf Haas. Auch Popp versteht es, sich zwischen satirischer Gesellschaftskritik und kabarettistischen Sprachspielen zu bewegen. Seine Geschichten sind jedoch alles andere als Kriminalgeschichten. Vielmehr blickt er hinter die Schlagzeilen der Chronikseiten österreichischer Tageszeitungen und versteht es damit, die LeserInnen über die Grenzen des alltäglichen Wahnsinns hinaus zu führen.

Wie real Fritz Popps Erzählungen sein können, belegt eine vor Jahren u. a. in Oberndorf im Flaugau stattgefundene Kunstaktion. Unter dem Projekttitel „Stolpersteine“ wurden damals kleine, goldene Steine im Pflaster eingelassen. Auf allen Steinen war die Überschrift „Hier wohnte“ zu lesen, darunter ein Name, ein Geburtsdatum und das weitere bekannte Schicksal jenes Menschen. Sie sollten Denkmäler für Juden, Roma, Sinti, politisch Verfolgte, Antifaschisten usw., kurz, Opfer des Naziregimes abgeben, die deportiert und in Konzentrationslagern umgebracht wurden. Nicht immer gab es von seiten der Bevölkerung Lob und Anerkennung für dieses Projekt. In Oberndorf beschwerten sich Anrainer, und in Köln – wo die Aktion ebenfalls stattfand – wurde ein Stein zerschlagen und zehn über Nacht entfernt. In Popps Geschichte „Arthur Friedmann wohnt nicht mehr hier“ stolpert eben jemand über solch einen Stein. Am Gemeindeamt wird er über die Kunst- und Gedächtnisaktion informiert und hört, daß eine öffentliche Diskussion dazu geplant sei. Doch der Beschwerdeführer hat inzwischen mit einer Spitzhacke den Stein beseitigt: „Ging gar nicht so leicht. Du wirst dir die Diskussion sparen. Am nächsten Tag schreibst du an die Initiatoren einen kurzen Brief mit dem Text: Arthur Friedmann wohnt nicht mehr hier. Verzogen nach unbekannt. Der Stein liegt bereits in der Vöckla. […] Du bist friedlich. Außerdem ist ja alles wieder in Ordnung. Das kleine Loch im Gehsteig hast du selbst provisorisch gefüllt. Du willst ja nicht, dass jemand stolpert und sich verletzt.“ (S. 17)
Skurril – abgründig – düster-ironisch. In diesen Texten tut sich etwas. Man sollte sie lesen!

Fritz Popp Warten, was der Fluss so bringt
Kurzgeschichten.
Innsbruck: Haymon, 2002.
128 S.; geb.
ISBN 3-85218-399-5.

Rezension vom 21.01.2003

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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