#Theater

Von herbstlicher Stille umgeben wird ein Stück gespielt

Peter Waterhouse

// Rezension von Christine Vescoli

Wo die Sätze von Peter Waterhouse reden, erwacht die Poesie; sie verleiht dem, was passiert, einen Ort und eine Umgebung, sie lässt etwas – tatsächlich – zur Sprache und dadurch in Erscheinung kommen: denn es sprechen die Wörter nicht von etwas, vielmehr tun sie; sie beschreiben nicht, sondern sind selbst Ereignis, sie erklären nicht, erzeugen vielmehr erst die Wirklichkeit beschreibender Poesie, die Lesbarkeit sprachlich erscheinender Dinge. Dichtung also, wie Waterhouse sie schafft, geschieht, sie bewirkt die Anwesenheit und den Ort der sich ereignenden Sprache, sie macht, gleich wie sie gemacht wird.

Nun legt der Autor ein Theaterstück mit dem Titel Von herbstlicher Stille umgeben wird ein Stück gespielt vor – ein Stück, in welchem die Dichtung bis an die Ränder des Spiels geschrieben ist; es ist ein Poem, das die Wiederholung, den Stillstand und die Verlagerung sprachlicher Gangarten vollzieht und die Figuren aus dem Bedeutungshort des Schauspiels in die pure Sprache holt. Wie alle Poesie, die sich antreibt an der sinnlichen Durchdringung und Berührung der Sprache, wird die imaginäre Bühne bei Waterhouse zur Dramatik zwischen den Wörtern und deren Nachbarschaften. Der Schreibprozess selbst aber entzündet sich im fortschreitend schreibmotorischen Verschwenden und Verrücken, im enzyklopädischen Wandeln und im Ineinandergleiten von Klang und Bedeutung. En passant, gleichsam im Absichtslosen wie in der Vergegenwärtigung von Erinnern und Wissen, führt das Sprechen aus der Kontinuität der Erzählung und den Resultaten der Bestimmung oder Behauptung hinaus; es wandert ab ins Feld der Zusammenhänge und „findet statt außer aller Identifikation“ (Waterhouse).

Was sich so zuträgt, ist die Freigabe der Worte an ihre Verschiebungen, welche Identität und Heterogenität gleichermaßen umfassen und damit den Wechsel als Panoptikum des Wortes mitzeichnen. In den Kombinationen und Funkensprüngen zwischen den Sätzen und zwischen den Sprechern, die das poetische Wort und das erscheinende Phänomen hervorbringen, trägt sich das Ereignis zu und wird zum Geschehen – dem Zeitmaß von Empfindung und Erkenntnis folgend. Dem Wandel und Wechsel der Worte und Bilder schreibt sich der fortbewegende Text entlang, bringt die Wörter als rhythmisch atmende Rede hervor, und in der Wiederholung und den seriellen Tautologien rühren vergessene und entfernte Gedanken am Encore klandestiner Bedeutungen.

Von dem Vertrauen in die Schauspieler ist die Rede, die „jenen ’seltsamen Rhythmus‘ bewahr[en], den einfachen Rhythmus, in dem etwas zu früh kommt und etwas zu spät kommt und das Wort Milcheimer klingt wie das Wort Mond“. Wenn aber etwas zu früh und etwas zu spät kommt und sich wieder aufhebt durch seine erweiternde Wiederkehr, wird sein Wert als der Sprache innewohnende sinnliche Eigenschaft und sprachliche Substanz fortwährend festgehalten; die Annäherung von „Milcheimer“ und „Mond“ aber ist nicht ihre Mimesis der Welt, sondern eine Art ordnende Nemesis, welche die Rückwirkung der Wörter aufeinander sichtet.

So sind es die Worte und das Sprechen, die zum Geschehen werden, es sind die Sätze, die zu den Figuren und Protagonisten des Spiels werden und seinen Raum erzeugen. Wie im minimalistischen Spiel wird das, was nicht gespielt ist, zum Bespielten und tritt hervor, indem es aus seiner Umzäunung bemessen wird. „Nichts festhalten! Nicht zuviel erwarten von der Bühne! (…) Zu jedem Augenblick soll auch ein Nichtweiter, eine Unterbrechung, ein mögliches Nichts gehören,“ heißt es im Stück. Peter Waterhouse folgt wohl dem Diktum minimalistischer Kunst, die alles, was zu sagen ist, gegen die Bedeutung des Sagens zurücktreten lässt. Er setzt es um in die Dimension des unsicheren, des virtuellen Theaters, in dem das Spiel mit dem Spiel die Handlung ablöst und die Reflexion über die Möglichkeit des Publikums und der Schauspieler Rollenverhältnisse verschwinden lässt. Es ist das Theater, in dem Sprecher und Geräusche am Spiel beteiligt sind, „hin und wieder sind sie da, erinnern an etwas, das dann keine Rolle spielt. Vielleicht sind sie reine Unruhe oder Ballungen von Sinn oder angenehme Störungen.“ Horntrompeten und Glocken tragen zum Spiel bei, es spielen „ein Wort wie Coca“ und ein schaukelnder Blecheimer eine Rolle, „dann stellt der Mond ein Haus dar und es ist das Haus flüchtig sein Mond im Himmel“. So sind auch die Einheit einer Szene oder die erzählbare Eindeutigkeit einer Figur verlassen, damit eins am andren sich relativiert, damit eins ums andere sich gleicht und zueinander verhält, um eben gleich im Uneins zu werden.

Das Stück spielt das Spiel des Theaters, das Spiel des Lichtes von Mond und Scheinwerfern, des Anteils der Bühne als Wiese und der Sprecher als Instrument der Sichtbarkeit und Hörbarkeit, es geht um das Leben und den Tod, vor allem aber geht es immer wieder um das Sehen und das Leuchten und Beleuchtetwerden. Es ist der Mond, dessen Bild und dessen Name als sprachliche Verkörperung und Momentaufnahme Wirklichkeitsbezüge zu ermessen sucht. Wenn der Mond sein Licht von der Sonne bezieht und so erst zum Leuchten kommt, beleuchten auch die Wörter erst die Dinge, bescheinen sie und erinnern dadurch ihre Bedeutung. Sprache zeigt sich, erzeugt und kann wiederum erzeugen wie auch vernichten.

Hinter solchem Ansatz steht die Haltung des poetischen Sprachmystizismus nicht weniger als die des Wittgensteinschen Tractatusmystizismus. Erkenntnis- und Erfahrungsversuche bewegen das poetische Reden, in welchem sich Sprache zeigt und in welchem sie erzeugt wird, in welcher sie etwas brechen kann und neu ansetzen. Sprache als Dichtung, quer durch Koinzidenz und Deutung, besitzt den Leichtsinn und die Leichtigkeit ihrer aparten Wirklichkeitsschöpfung, sie trägt das Geheimnis und die Geheimnislosigkeit orientierter Gegenwärtigkeiten, säumt die Erinnerung synchroner Wörtlichkeit.

Das erreicht das Stück von Waterhouse. Darum erreicht es ein Stück glückhafter Sinnstiftung.

Von herbstlicher Stille umgeben wird ein Stück gespielt.
Weil am Rhein: Engeler, 2003.
90 Seiten, gebunden.
ISBN 3-905591-61-8.

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autor

Rezension vom 18.02.2004

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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