Und so werden nicht nur altbekannte Mythen über literarische Italien-Begegnungen der nördlichen Nachbarn neu aufgerollt, sondern Grenzen und Themenstellungen weit geöffnet. Ingeborg Bachmann interessiert hier nicht mit ihren Rom-„Bildern“, sondern mit Obervellach bei Hermagor vulgo „Galicien“ als hybridem Ort interkultureller Begegnung (Larissa Cybenko), und die Isonzoschlacht wird nicht aus der Alice Schalek/Karl Kraus-Ecke besehen, sondern unmittelbar „im Spiegel der zeitenössischen österreichischen Presse“ (Zoltan Szendi) und am Beispiel des lyrischen Kriegstagebuchs „Der brennende Berg“ von Gustav Heinse alias Josef Klein. Das macht im Übrigen ein Desiderat sichtbar: Die unglaublich dichte Lyrikproduktion, die der Erste Weltkrieg unter österreichischen SchriftstellerInnen auslöste – anders als bei Klein durchwegs kämpferisch und begeistert –, ist noch wenig erforscht. Zum Teil mag das mit Rücksichtnahmen auf große Autorennamen zu tun haben, die sich an diesen patriotischen „Gesängen“ beteiligten. In den ersten beiden Kriegsjahren sollen in Zeitungen und Zeitschriften an die 100.000 Kriegsgedichte gedruckt worden sein, die Gesamtzahl wurde auf vier bis fünf Millionen geschätzt. „Habe in den letzten Tagen in die lyrische Kriegsposaune geblasen und bis heute 11 feine Kriegslieder und Gedichte geschrieben. Auch wir Roten haben nicht vergessen mit Tat und Wort das Vaterland zu schützen“, schrieb der Arbeiterdichter Alfons Petzold am 11. August 1914 stolz in sein Tagebuch, und das war gewissermaßen erst der Anfang.
Neben erwartbaren Aufsätzen zu Hugo von Hofmannsthal (Karoly Csuri) oder Josef Winkler (Stefan H. Kaszynski) gehen viele der Beiträge einen unerwarteten Weg. Im Zentrum stehen weniger die „klassische“ Italienerlebnisse verarbeitenden Werke der österreichischen Literatur, sondern zum Beispiel Marie von Ebner-Eschenbachs Spätwerk „Agave“ (Jiri Munzar) oder Gregor von Rezzoris Novelle „Affenhauer“ (Andrei Corbea-Hoisie). Den Spuren von Rose Ausländers Itaienreise 1957, auf dem Rückweg aus dem amerikanischen Exil, in ihrem lyrischen Werk (Peter Rychlo) wird ebenso nachgegangen wie den Italien-Bildern und -Motiven bei Leopold von Sacher-Masoch (Natalija Daschko, Jaroslaw Lopuschanskyj) oder George Saiko (Milan Tvrdik). Wie freilich Ricarda Huch in diesen Kontext hineingeriet (Emilia Staitscheva), erschließt sich vielleicht nicht unmittelbar, aber die bunte Palette der in diesem Band gebotenen Themen und Werke ist in jedem Fall anregend.