#Prosa

Von den Himmeln

Gabriele Petricek

// Rezension von Silvia Sand

Nach dem Erzählband „Zimmerfluchten“ (2005) beweist die Autorin Gabriele Petricek in ihrem zweiten Buch wieder Sinn für Originalität. In der vom Verlag gewählten Bezeichnung „Triptychon“ für drei Novellen über Schuld und Scheitern trifft sich der aus der Kunstgeschichte entlehnte Begriff eines dreiflügeligen (Altar)Bildes mit Petriceks deutlicher Bildsprache.

Die erste und titelgebende Novelle Von den Himmeln erzählt von der Flucht eines Mannes aus einer Irrenanstalt. Während er im eisigen Herbstwetter vom Hochgebirge ins Flachland flieht, überrollen ihn die Erinnerungen an sein Leben als Künstler, an seine Geliebte Simonetta und den Mord an ihr. „Das Nichtersehene, das, was den Menschen Angst machen würde, weil sie es nicht vergleichen könnten, wollte N. den Leinwänden beibringen.“ (S.13) Mit seinem letzten Gemälde erreichte er in geheimnisumwobener und zugleich perverser Weise dieses Ziel. N. wird in eine Anstalt für abnorme Rechtsbrecher weggesperrt, das Bild jedoch erlangt Berühmtheit. Sinnbildlich wird das Überrollen von Erinnerungen durch eine Lawine dargestellt, die N. schlussendlich ins verregnete Tal reißt, dort ins Auto einer schönen rothaarigen Frau und ins Kunsthaus, in dem er sein Bild wiedersieht, es zerstört und damit sich selbst.

Gegenfarbe, die zweite Novelle, rückt den verhinderten Künstler und Steinmetz Lamper in den Mittelpunkt. Er ist ein Sonderling, der sich nach dem Tod des Vaters in einem verlassenen Dorf versteckt. Wieder bestimmt die Fortbewegung – diesmal das Laufen, das auch hier einem Fluchtgedanken entspringt – die primäre Erzählung und wieder löst die Bewegung Erinnerungen aus. „Lamper beschließt, etwas zu tun, was seinem Leben eine andere Richtung geben wird und wechselt die Kleider zuerst.“ (S.73) Während er ziellos durch eine morastige Landschaft joggt, jagen ihn Erinnerungen, wie jene an seine Reise nach Rom, wo er das Bild einer Frau, rothaarig und mit Sommersprossen, die undinengleich aus einem Brunnen steigt, verfolgte. Sein vor Jahren verfehltes Ziel bleibt ihm als unterschwellige Aggression, die ihn mehr aus Zufall eine junge Frau kidnappen lässt. Dieser gelingt es, das Opfer/Täter-Verhältnis umzukehren, sie flieht und Lamper läuft/geht wie N. seinem Tod entgegen.

In beiden Novellen leuchten ähnliche Motive wie Blitzlichter in der kunstvollen Konstruktion auf: Die männlichen Hauptfiguren benützen Frauen körperlich für ihr Kunstschaffen (N. verwendet Gipsabdrücke seiner Geliebten, Lamper übernimmt die Maße seines Opfers für Schaufensterpuppen). Die Bewegung löst Erinnerungen aus, dominiert beide Erzählugen und treibt sie an. Auf die Unerreichbarkeit beziehungsweise Unberechenbarkeit der Frauen folgt Zerstörungswut bei den Männern und während diese hier wie da scheitern, entwickelt sich die jeweilige weibliche Gegenspielerin vom Opfer zur Rächerin.

Narben, Stiche zeigt nun endlich die Perspektive einer Frau, die die ersten beiden Erzählungen klärt und verbindet. Es ist das Tableau, das bildlich gesehen in der Mitte des Altares der von den Himmeln Gefallenen steht. Im Gegensatz zum ‚irrläufernden‘ Wahnsinn der beiden Männer kennzeichnet die Figur der Alberta Perlmutt das Praktische und das Einsichtige. Auch sie ist Künstlerin, auch sie ist eine, die das Maß am Körper nimmt, als Schneiderin oder besser Couturière. Aber anders als die Männer ruht sie inmitten einer Wiese, während Erinnerungen sie überwälzen. „Die Erinnerung ist ein Hund, der sich hinlegt, wo er will.“ (S.112) Also läuft ihr eine Hündin zu und Perlmutt erinnert sich, wenn auch vorerst sträubend, denn Alberta Perlmutt ist die ehemalige Partnerin von N. (Norbert Naufrag), mit dem sie eine Tochter – die schöne rothaarige Iris – hat; und sie ist die ehemalige Geliebte von Lamper, den sie durch Iris kennengelernt hat. Und anders als die beiden männlichen Hauptfiguren dreht und wendet, betrachtet sie die Erinnerungen von allen Seiten, stellt sich ihnen und macht sich am Ende auf den Weg. Zwar trägt sie Narben von den Stichen des Lebens davon, aber die Zukunft scheint nicht aussichtslos.

Die Komplexität des Triptychons ist durchwegs stichhaltig. Die Entschlüsselung der Verhältnisse und auch der typisch Wienerisch gewählten Orte bietet beinahe kriminalistisches Vergnügen: N.’s Flucht erinnert landschaftlich an das Wien nahe Vorgebirge mit seinen Jahrhundertwende-Sanatorien auf Semmering und Rax, Lamper läuft vielleicht durch den verbotenen Truppenübungsplatz im Waldviertel und bei Perlmutts Wiese fällt mir der Himmelhof im 13. Wiener Gemeindebezirk ein. „Von den Himmeln“ heißt es ja. Überhaupt ist das Buch ein weites Feld für Anspielungen und Querverweise.

Die Kunsthaftigkeit des Stils unterläuft alle Sprachgewohnheiten. Zwanglos erfindet die Autorin, was die deutsche Sprache nicht bietet. Bestimmte und unbestimmte Artikel sind vernachlässigbar, Verben werden durch minimale Veränderungen mit neuer Nuancierung belegt (es schüttelt den Körper nicht, er schüttert, statt glotzen heißt es glanzen, statt fliegen flügeln) und herkömmliche Metaphern in eigener Logik verkehrt. Farben wie titanweiß, hirnviolett oder komplementärgrün sollten die Modebranche aufhorchen lassen. Der Wald ist nicht tannengrün sondern tannenschwarz, es ist brechend still, der Himmel ist kariert und die Wolken zerreißen wie lockerer Kaiserschmarrn. Bis hin zur Namensgebung ist jedes Wort Absicht: das belgische Model Joyce Ickx ist Namensvetterin des Rennfahrers Jackie Ickx oder Naufrag ergibt mit einem „e“ am Ende „Naufrage“, was soviel wie „Schiffbruch“ bedeutet und auf Naufrags Leben durchaus zutrifft. „Er hatte das meiste betreten, nur das Zimmer seiner innersten Absicht nicht.“ (S.16) heißt es einmal vom Künstler N. – Gabriele Petricek hat es ganz sicher betreten. Die sprachlichen Manierismen passen exakt zur männlichen Weltsicht, die sich außerhalb der Norm bewegt, während die Erzählung um Alberta Perlmutt einen Höhepunkt an spielerischer Sinnlichkeit erreicht.

Als Triptychon gesehen stehen wir vor drei Bildern: in der Mitte Alberta Perlmutt auf einer großen Wiese, ihr zur Seite die Hündin. Blau die Bäume und das Gras, grau der Himmel von den herandräuenden Wolken. Im linken Seitenflügel der Künstler N., wie er vom Berg herab ins Bild rollt, rechts der Steinmetz Lamper, wie er gegen die Spiegelfläche mitten im Wald prallt. Viel Wetter und eigenwillige Natur rundherum. Eindeutig besser als das Bild ist das Buch, denn keine noch so komplexe Malweise bietet an Originalität, was bei Gabiele Petricek zu lesen ist.

Gabriele Petricek Von den Himmeln
Triptychon.
Wien: Sonderzahl, 2009.
155 S.; geb.
ISBN 978 3 85449 323 5.

Rezension vom 04.11.2009

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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