#Sachbuch

Vom Sponsoring zur Corporate Cultural Responsibility

KulturKontakt Austria (Hg.)

// Rezension von Martin Sexl

Wichtige Entscheidungen und Sachverhalte, welche eine Gesellschaft als Ganzes betreffen, in die Verantwortung des Staates übergeben zu haben und zu übergeben, zählt zu den Errungenschaften zivilisatorischer Prozesse seit dem Ausgang des Mittelalters. So wurden etwa die meisten Kriege der letzten drei Jahrhunderte – die Erfahrung des (extrem grausamen und zerstörerischen) 30jährigen Krieges hat diese Entwicklung maßgeblich+ bedingt – in der Regel als zwischenstaatliche Kriege geführt, das heißt mit regulären Armeen, die durch ein Steuersystem finanziert wurden, und nicht mehr mit Söldnertruppen, die sich dort verdingten, wo am meisten zu verdienen war. Dass der Staat seit der Französischen Revolution vielerorts als demokratisch verfasstes Gemeinwesen organisiert ist, garantiert zudem, dass die genannten Entscheidungen und Sachverhalte einer parlamentarischen Kontrolle unterliegen, wodurch die Handlungen der (finanzstarken) Eliten an Mehrheitsentscheidungen der Bevölkerung gebunden werden.

Nicht nur das Führen von Kriegen liegt sinnvollerweise in den Händen des Staates, sondern neben vielem anderen auch das Gesundheitswesen, die Kommunalverwaltung, der öffentliche Verkehr oder Kunst und Kultur. Auch in diesen Bereichen ist es für ein gesellschaftliches System nicht nur klüger, sondern à la longue möglicherweise auch kostengünstiger, die anfallenden Ausgaben über Steuern (und gegebenenfalls Versicherungen) zu decken. Nur so können sensible und kostenintensive soziale Aufgaben dem Gewinnstreben und der Labilität des Marktes bzw. der Willkür einzelner Akteurinnen und Akteure auf Dauer entzogen werden.

Ausgehend von den einschneidenden gesellschaftspolitischen Veränderungen im Zuge der 1980er Jahre, die im angloamerikanischen Raum durch Margret Thatcher und Ronald Reagan verkörpert wurden, werden seit einigen Jahren ehemals zentrale Bereiche des Staates (wieder) zunehmend privatisiert. Nicht nur in Kriegen treten heute private ‚Sicherheitsfirmen‘ auf – die im Grunde kein Interesse am Ende von Kampfhandlungen haben, da diese die Einnahmequelle für solche Unternehmen darstellen –, auch aus kulturellen Angelegenheiten und der Finanzierung von Kunst ziehen sich Staaten mehr und mehr zurück. Durch die öffentliche Hand finanzierte Museen können heute aus Gründen fehlender Mittel kaum mehr eine sinnvolle Ankaufspolitik gewährleisten, während Auktionshäuser und private Kunstsammlungen boomen wie nie zuvor. Man mag sich über das Mäzenatentum reicher GeldgeberInnen freuen, zumal dann, wenn sie ihre Schätze der Öffentlichkeit zugänglich machen, bedenklich ist die Privatisierung von Kunst und Kultur streckenweise aber dennoch, da diese damit der Politik (und letztlich der Gesellschaft) tendenziell entzogen werden.

Unübersehbar ist, dass Kunst und Kultur in vielen und für viele Unternehmen eine wichtigere Rolle als noch vor 20 Jahren spielen, wobei dies in den wenigsten Fällen philanthropisch-altruistischen Überlegungen reicher KunstliebhaberInnen geschuldet ist. Vielmehr betonen viele UnternehmerInnen und ÖkonomInnen den positiven Einfluss kultureller und künstlerischer Prozesse für unternehmerisches Handeln, wobei dieser Einfluss sowohl nach innen auf die MitarbeiterInnen positiv zu wirken imstande ist, weil die Arbeitsplatzzufriedenheit (das heißt letztlich die Effizienz der Angestellten) steigt und die Identifikation mit dem Unternehmen stärker wird, wie auch nach außen ausstrahlt und einen positiven Publicityeffekt garantiert, der dem Unternehmen einen Imagezugewinn beschert.
Unproblematisch oder der Kultur gar förderlich ist das jedoch allenfalls dann, wenn sich der Staat nicht aus seiner Verantwortung (mit dem Verweis auf die nunmehr ohnehin durch die Privatwirtschaft erfolgende Kunst- und Kulturförderung) stiehlt. Der Kulturreferent der Audi AG Jürgen Bachmann – einer der Referenten beim Symposium „Vom Sponsoring zur Corporate Cultural Responsibility“, das am 10. September 2010 von KulturKontakt Austria (KKA) durchgeführt wurde und dessen Ergebnisse mit dem gleichnamigen Sammelband nun vorliegen – sieht diese Gefahr nicht, denn „das private Kulturengagement von Unternehmen [wird] keineswegs das öffentlich-rechtliche Engagement reduzieren, sondern das Gegenteil ist der Fall: Das Angebot wird größer, es entstehen mehr Plattformen, und genau das ist für die Künstlerinnen und Künstler eigentlich hervorragend.“ (S. 76)

Das ist, mit Verlaub, etwas naiv, denn erstens fördern Unternehmen nicht Kunst und Kultur, sondern betreiben „die eigene, endogene Kulturalisierung“, wie das Andreas Braun, der ‚Erfinder‘ der Swarovski-Kristallwelten an anderer Stelle einmal festgestellt hat (nachzulesen in dem von Erhard Busek und Dagmar Abfalter 2003 im Innsbrucker Studienverlag herausgegeben Band „Kultur und Wirtschaft“), zweitens gibt es für Unternehmen keinerlei Verpflichtung, Kunst und Kultur zu fördern, wodurch die viel beschworene Nachhaltigkeit ein Schlagwort zu bleiben droht und sich KünstlerInnen und Kulturschaffende nicht allzu sehr auf längerfristige Förderung verlassen sollten, und drittens mindert die genannte „endogene Kulturalisierung“, wie Andreas Braun weiter ausführt, „Sponsorleistungen an Dritte, so gut diese auch sein mögen“. So gesehen erscheint nicht unbedingt die Ökonomisierung der Kultur gefährlich, sondern vielmehr die Kulturalisierung der Wirtschaft, denn – um beim Beispiel von Andreas Braun zu bleiben, der das hellsichtig erkannt hat und auch freimütig ausspricht – die Firma Swarovski finanzierte nicht die Kunst und Kultur eines André Heller (der bekanntlicherweise die „Kristallwelten“ gestaltete), sondern bezahlte André Heller zur Gestaltung der Kultur des Unternehmens. Das spricht nun keineswegs gegen Heller oder das Unternehmen; wer jedoch, wie Jürgen Bachmann, nicht sieht, dass dadurch dem Gemeinwesen zunehmend die Möglichkeit der Gestaltung gesellschaftspolitischer Prozesse entzogen wird, der verkennt oder verharmlost den Einfluss der Wirtschaft auf die Gesellschaft.

Kaum eine oder einer der Beitragenden des vorliegenden Sammelbandes thematisiert die beschriebenen Gefahren. Nur der Nachhaltigkeitsmanager der Bank Austria Fred Luks („Eine nachhaltige Entwicklung der Gesellschaft ist auf die kritische, unbequeme und (ver)störende Kraft von Kunst angewiesen – und zwar so existentiell angewiesen, dass jeder Versuch, Kunst ökonomisch zu instrumentalisieren, abgewehrt werden muss“, S. 58) und Hans Ebert (Professor of Business Administration, Marketing und Management an der Fachhochschule Kufstein und der Hochschule Rosenheim) weisen an der einen oder anderen Stelle darauf hin. Auch die Organisatorin des Symposiums Annemarie Türk von KKA sagt einmal ganz dezidiert: „Wir dürfen nicht vergessen, dass kein Unternehmen verpflichtet ist, Kunst, Kultur, Soziales oder Umweltprojekte oder was auch immer zu fördern. Das sind letztlich immer freiwillige Verpflichtungen, die Unternehmen eingehen, und diese sind der unternehmenseigenen Ethik verpflichtet. Was uns im Kulturbetrieb immer bewusst sein muss, ist, dass all diese Gelder oder diese Partnerschaften nie Ersatz für öffentliche Förderungen sein können.“ (S. 44)

Allerdings bleiben diese warnenden Untertöne doch eher die Ausnahme, wobei man dies nicht den eingeladenen SprecherInnen anlasten darf, denn am Symposium, dem es um den Begriff der Corporate Cultural Responsibility (CCR) ging, der seinerseits dem bekannteren Terminus von der Corporate Social Responsibility (CSR) nachempfunden ist, nahmen fast durchwegs Personen teil, die für privatwirtschaftliche Unternehmen tätig sind – dass diese die unternehmerische Perspektive einnehmen und vertreten, ist verständlich: Angelika Svoboda (Leiterin eines Consulting-Unternehmens), Sabine Schauer (Henkel), Gabriele Schor (Verbund), Fred Luks (Bank Austria), Jürgen Bachmann (Audi), Werner Pietsch (Kärnten Elektrizitäts AG), Hans Ebert (Professor of Business Administration, Marketing und Management), Brigitte Herdlicka (Kapsch) und Thomas Drozda (Vereinigte Bühnen Wien). Allerdings muss sich KKA doch die Frage gefallen lassen, warum nicht mehr Personen in das Symposium eingebunden wurden, die sich keinem privatwirtschaftlich geführten Unternehmen verpflichtet fühlen, denn der gemeinnützige Verein KKA ist mit dem Hauptfördergeber (Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur) und den weiteren Fördergebern (Austrian Development Agency, Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung) ein Zentrum, das zu guten Teilen von Steuergeldern getragen wird.

Die genannten TeilnehmerInnen berichteten, teilweise sehr detailliert und informativ, in drei Panels („Sponsoring – Corporate Cultural Responsibility: Was macht den Unterschied?“, „Nachhaltigkeit: Gilt die Notwendigkeit nachhaltigen Wirtschaftens auch für das kulturelle Engagement?“, „Wie beeinflusst die Wirtschaftskrise die Zusammenarbeit von Wirtschaft und Kunst?“) von CCR-Aktivitäten aus den jeweiligen Unternehmen. Unbestritten sei, dass darunter gelungene Formen der Kunst- und Kulturförderung zu finden sind: So können die Kooperation von Henkel CCE mit KünstlerInnen aus Südosteuropa oder die Unterstützung von Künstlerinnen der feministischen Avantgarde durch die Verbund AG als gelungene Formen der CCR, in der sich Wirtschaft und Kunst auf Augenhöhe begegnen, angesehen werden, aber doch wird von allen „At the end of the day“ die Frage gestellt: „Was bringt uns das alles?“, wie es Angelika Svoboda stellvertretend für die (durchaus legitime) Unternehmerperspektive als solche zum Ausdruck bringt (S. 33).

Dass diese Deutlichkeit zu selten sichtbar wird und die Beteiligten über weite Strecken an den Wolf aus dem Märchen erinnern, der Kreide gefressen hat, ist neben der bereits angedeuteten Tatsache, dass sich ein durch Steuergelder finanzierter gemeinnütziger Verein hier doch recht klar der Unternehmerseite andient, das zweite, was an diesem schmalen Sammelband problematisch erscheint: Schon der Begriff Corporate Cultural Responsibility hat euphemistische Konnotationen, wenn sich Unternehmen – klarerweise – der unternehmerischen und nicht der ästhetisch-kulturellen respektive gesamtgesellschaftlichen Perspektive gegenüber „verantwortlich“ fühlen und sich „Kooperationen“ oft darin erschöpfen, dass sich Unternehmer die zu ihnen passenden KünstlerInnen suchen. Hinzu kommt, dass die stellenweise inflationäre Verwendung von Begriffen wie „Zusammenarbeit“, „Begegnung“, „Nachhaltigkeit“, Bildung“, „Miteinander“, „Partnerschaft“, „Awareness“, „kulturelle Verantwortung“ und ähnlichem mehr Leserinnen und Leser (und letztlich auch die Politik) in die Worthülsen von PR-Abteilungen einzulullen droht. Solchermaßen vernebelt fällt einem dann kaum mehr auf, was Unternehmen eigentlich meinen (ohne, dass ihnen selbst der versteckte Widerspruch deutlich zu werden scheint), wenn sie von der „Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Kunst“ reden, nämlich „Mäzenatentum, Sponsoring, Spenden … und nun Corporate Cultural Responsibility“ (S. 8). Der Rezensent zumindest stellt sich unter „Zusammenarbeit“ etwas anderes vor als das (gönnerhaft wirkende) Investieren von Gewinn zu dessen Erhöhung.

KulturKontakt Austria (Hg.) Vom Sponsoring zur Corporate Cultural Responsibility
Sachbuch.
Wien: edition atelier, 2011.
115 S.; brosch.
ISBN 978-3-902498-43-4.

Rezension vom 16.11.2011

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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