Immer schon ‚übersetzen‘ wir Sichtweisen, Meinungen, Gefühle ins Vorgegebene einer Sprache. So sind wir, sobald wir auf den Anderen zutreten – welcher auch und zuallererst das Andere/der Andere in uns selbst sein kann -, von Anfang an Gast in einem fremden Land. Und wie ist es um die Gastfreundschaft bestellt? Nicht schlecht, meint Hans-Dieter Bahr in seinem elegant geschriebenen Beitrag, der die personale Beziehung zwischen Gast/Individuum und Gastgeber/Sprache darlegt; denn der von der Gastfreundlichkeit der Sprache abhängige Sprechende ist nicht nur ein zur Anpassung Verdammter, der Gastgeber, die Sprache, muss sich auch unsere persönlichen Eingriffe gefallen lassen, unsere Widerstände dulden oder parieren.
Anders als beim Dolmetschen, bei dem das oberste Gebot die Übermittlung des Sinns lautet, hat beim Übersetzen, erst recht beim Übersetzen künstlerischer Texte, die Semantik keine Priorität vor der Form. Und: der Übersetzer muss sich als Individuum in den Übersetzungsprozess mit einbringen. So wird übersetzte Dichtung zur Über-Dichtung (wie die Adaption von Franz Werfels „Troerinnen“ des Euripides oder Ernst Jandls „oberflächenübersetzung“ beweisen). Wer Übersetzen erst einmal derart fundamental begriffen hat – und die Beiträge dieses Bandes zum medialen Über-Setzen von Zeichen und Zeichensystemen in den Film oder die Architektur operieren mit diesem umfassenden Begriff -, dem wird rasch klar, dass bei dieser Art von Umsetzung nicht nur Technisches verhandelt werden kann, sondern etwas grundsätzlich Philosophisches zur Debatte steht: die Reflexion über die Bedingungen unserer humanen Existenz, unserer Sprache und unseres Selbstbewusstseins. Walter Benjamin, auf den viele der Artikel – teils auch kritisch distanzierend – immer wieder hinweisen, hat es in seinem Aufsatz zur „Aufgabe des Übersetzers“ paradigmatisch beleuchtet.
In dem von Hainz herausgegebenen Sammelband zu den Möglichkeiten und Risiken im Übersetzungprozess, der sich auf die Übertragung künstlerischer Gebilde, insbesondere lyrischer, konzentriert, bilden deshalb Beiträge zu konkreten Übersetzungsproblemen anhand einzelner Texte und Autoren nur die eine Hälfte; die andere, gleichwohl ebenso wichtige, gilt grundsätzlichen Erörterungen, den verschiedenen Auffassungen etwa, was denn bitte Sinn und Ziel der Texttransformationen sei (der Inhalt, die Form, oder beide in gleichen oder unterschiedlichen Gewichtungen?), oder sprachphilosophischen Überlegungen: „Könnten wir nicht einen Satz in einen anderen übersetzen, dann wüssten wir nicht, was es bedeutet, dass ein Satz wahr ist“ (so das Motto John Sheridans zu Franz Josef Czernins Artikel zu „Sätzen und Gedichten, zu Bildern und andere Dingen“). Klaus Reichert stellt sich die Frage nach „Lesbarkeit oder Erhaltung der Komplexität“, die sich am Ende als ein „Und“ erweist. Denn ohne immer neue Widerstände und Herausforderungen, die das Erkennen der Eigengesetzlichkeit des Werks mit sich bringt, gelingt es, so Reichert, nicht, Traditionsablagerungen abzutragen und damit die Möglichkeit zu eröffnen, ein Werk immer wieder neu zu lesen, sich von ihm verführen und anstecken zu lassen.
Weil das „schicksalhaft Einmalige der Sprache“, von dem Paul Celan einmal spricht, sowohl gilt als auch nicht gilt, spricht vieles gegen eine ‚glatte‘ Übersetzung. Das brachte bis heute einen kategorialen Wandel der übersetzerischen Verfahrensweisen mit sich: Nicht mehr ist (nur) das detektivische Erfassen der Vokabelbedeutung gefordert, das Bewusstmachen der formalen Eigenschaften eines Werks tritt immer deutlicher in den Vordergrund; denn die Form ist mehr als ein bloßes Gefäß, sie ist – gerade bei ästhetisch hochkomplexen Texten – potentieller Bedeutungsträger. „Die Bindung des Sinns an das Sprachmaterial“, so Hans-Jost Frey, verhindert, dass Übersetzung „als bloße Sinnwiedergabe im Sinn der Formel, wonach das Gleiche anders zu sagen sei, verstanden werden kann“. Zuwachs an Komplexität auch durch das Wissen um die expliziten wie impliziten Kontexte (das Ganze eines Werk, eines Autors, die Zeitbezüge, die interkulturellen Spannungen, die Spannung zur Gegenwart), die aus einem – vermeintlich – statischen Text ein Netzwerk von Bezügen macht, mit denen es spielerisch umzugehen gilt. Wie schwierig aber gerade ob dieser Freiheit dann die konkreten Entscheidungsprozeduren sind, welche Zeile für Zeile eingefordert werden, schildert Peter Waterhouse, der uns einen Blick in seine Schreibwerkstatt gewährt: sie ist rund um die Uhr und auch zu Zeiten des Nichtschreibens ‚geöffnet‘, besonders in der Inkubationsphase, in welcher es den Ton eines Werks zu finden gilt. Ist dieser ‚geboren‘, geht es beim Übersetzen keineswegs resultativ weiter, sondern „exaltiert“, in Sprüngen und also mitnichten zielgenau. Das schafft Lust und Frust.
Wer so seine ganze Leidenschaft dem Übersetzen verschrieben hat, spielt mit hohem Einsatz. Trotzdem sind Übersetzer auch ‚professionals‘, ehrliche Makler in einem zwiespältigen Geschäft, gespalten zwischen Auftrag und Hingabe, zwischen Dienst am Sprachmaterial und kreativer Autorschaft, zwischen sehr persönlichem, ja idiosynkratischen Sprechen und der Wegbereitung, Wegbahnung in ungeahnte Sprachlandschaften. Der Übersetzer – der unerlässliche literarische Scout, dem wir vertrauen und Dank schulden. Was auf dem Weg dorthin erlaubt ist und was nicht, entscheiden nicht nur die Zeit, die Übersetzungs-Moden, das Ausgangsmaterial, sondern entscheidet letzten Endes jeder Übersetzer für sich allein und immer wieder neu, vis‑à‑vis mit dem Text. Nicht zuletzt die Verve und ästhetische Qualität, mit der die Beiträge dieses Bandes geschrieben sind, nobilitieren den Übersetzer als Schriftsteller, als Ko‑Autor im emphatischen Sinn des Wortes. Im Vertrauen auf ihn und das Wort dürfen wir risikofreudig und neugierig in die Fremde wandern, beseelt vom Glück sich anzustecken.