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Vom Fremdln und vom Eigentümeln

Barbara Frischmuth

// Rezension von Florian Braitenthaller

Dem Droschl Verlag gebührt Dank dafür, die verstreut erschienenen Reden und Aufsätze von Barbara Frischmuth aus den Jahren 1996 bis 2007 in einem Buch zu versammeln, wodurch deren Verflechtungen offenbar werden. Ihre Themen sind: Orient und Okzident oder: das Fremde / der Fremdling und das Eigene, und daran anschließend: Wie kann das Zusammenleben zwischen Migranten und Einheimischen funktionieren? Welche Rolle kann dabei „das Religiöse“ spielen? Aber über allem steht die Frage: Welche Funktion kann im Verständigungsprozess der Kulturen der Literatur zukommen?

Dass Barbara Frischmuth sich als Vermittlerin im Verhältnis Orient-Okzident geradezu anbietet, ist ihrer Biografie zu verdanken: Als Sprachstudentin kam sie in die Türkei und verbrachte dort ein Jahr als Stipendiatin. Andere Reisen und Aufenthalte führten sie nach England, Schweden, Ungarn, in den Iran und nach Ägypten. Das dabei Erlebte bildet die Basis für ihr Denken und Schreiben, auf diesem Fundament baut sie auf. Auf einer positiven Einstellung, die um Verständnis bemüht ist und den Dialog sucht. Toleranz, meint sie, dürfe nicht Duldung, sondern müsse Anerkennung bedeuten.

Katholisch erzogen, in einer Klosterschule unterrichtet, dann dem konfessionellen Christentum entfremdet – das ist keine ungewöhnliche religiöse Karriere für Menschen ihrer Generation. Aber sie ringt nach wie vor mit den Themen, die diese Sozialisierung in sie eingepflanzt hat: „Glaube“, „Gott“, „Christentum“, „Islam“ haben ihren grundsätzlichen Stellenwert für sie behalten haben und Barbara Frischmuth begegnet ihnen affirmativ. Sie sieht die Mystik als das Verbindende im Dialog der Religionen. Nur – so reden die, die sich von Konfessionen frei gemacht haben. Mystik – das ist eine Aufforderung zum Synkretismus, der alle Unterschiede wegwischt. Indem sie „Religion“ mit „Mystik“ identifiziert, hofft sie, die Politik davon fernhalten zu können – naives Wunschdenken?

Im titelgebenden Essay Vom Fremdeln und vom Eigentümeln (Vortrag 2003) meint Frischmuth, sie werde „versuchen, die großen Linien, an denen die Auseinandersetzung zur Zeit verläuft, beizubehalten und nicht so zu tun, als hätte ich mich in ihnen als Blickwinkel bereits aufgelöst, was allerdings in manchen Situationen der Wahrheit ziemlich nahe kommt. Vor allem dann, wenn ich zwischen den Standpunkten hin und her zu springen versuche und mich vor lauter hin und her kaum mehr zu positionieren weiß“.
Gleich zu Beginn spricht sie damit ein Grundproblem heutigen Denkens an: die Frage der Positionierung für jemanden, dem / der die tradierten Ordnungen keine selbstverständliche Orientierung mehr liefern. In besagtem Essay geht es unter anderem um die sogenannte Kopftuchfrage. Dabei kann Frischmuth selbst der Verschleierung nichts abgewinnen. Und zitiert doch gleichzeitig Argumente der Schleierträgerinnen, die ihrerseits einiges an Plausibilität beanspruchen. So hält sie ein Plädoyer dafür, „die Zeichen des Fremden (…) als Aufforderung zur Aufmerksamkeit zu begreifen“.

Im Zuge des Beitrittsgesuchs der Türkei zur EU fehlten Frischmuth vor allem „die Versuche einer Vermittlung der türkischen Kultur“. Weil das so ist, tritt sie auf die Bühne und trägt ihr Teil dazu bei, dass sich das ändere. Das ist ihr Eigenes, genau darin ist sie kompetent, denn wenn sie über Politik redet, erweckt sie den Eindruck von Unbedarftheit, und über Wirtschaft schweigt sie grundsätzlich. So sieht sie auch in der EU in erster Linie das Friedensprojekt und das Menschen- und Völkerverständigungsunternehmen. Aber kann man vernünftigerweise über das Verhältnis Europa-Türkei sprechen und den ökonomisch-politischen Aspekt so ignorieren, wie Frischmuth das tut?

Ihre eigentliche Kompetenz also findet sich in der Literatur, in der Kultur. So gewinnt auch ihr Essay „Europa, das ich meine“ (1996) dem Thema ganz neue Facetten ab. Frischmuth ist dann faszinierend, wenn sie von ihren Erlebnissen und Empfindungen ausgeht und diese ordnet, befragt, seziert: eine kluge Kombination aus Empfindung und Reflexion, die sich zudem durch ein gesundes Misstrauen dem ersten Eindruck gegenüber auszeichnet. Das ist lebendige Literatur, essayistisch, auch eine, die an ihr selbst demonstriert, wie man im Umgang mit den eigenen Vorurteilen und dem eigenen Vorwissen mit sich selbst konstruktiv diskutieren kann. Im Grunde verlangt sie nicht viel, außer dass „das Miteinander ein Voneinander-Wissen voraussetzt, und dass man sich eine bestimmte Art von Ignoranz nicht mehr leisten darf“. Und sorgt gleich im nächsten Essay dafür, dass wir etwas über die Aleviten erfahren: „Ich fand meinen Mond auf Erden, was soll ich im Himmel“ (1998). Ein schönes Porträt der wenig bekannten islamischen Religionsgemeinschaft.

Den Band beschließt eine Hommage an den Kollegen Friedrich Rückert als den „ohne Einschränkung genialsten Übersetzer aus dem Orientalischen“. Auch dieser Effekt ist nicht zu vernachlässigen: Die von Frischmuth genannten und gewürdigten Dichter und Schriftsteller, von Said bis zu Orhan Pamuk, von Yunus Emre bis zu Farudeddin Attar, eröffnen den Leserinnen und Lesern des schmalen, aber gewichtigen Bändchens allerlei neue Lektüreperspektiven.

Barbara Frischmuth Vom Fremdln und vom Eigentümeln
Essays, Reden und Aufsätze über das Erscheinungsbild des Orients.
Graz, Wien: Droschl, 2008.
152 S.; geb.
ISBN 978-3-85420-743-6.

Rezension vom 14.01.2009

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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