#Prosa

Violante

Judith Nika Pfeifer

// Rezension von Angelika Reitzer

Judith Nika Pfeifer bleibt sich auch in ihrem vierten Buch treu und wechselt wieder einmal das Genre: Nach zwei Gedichtbänden und einem mit Prosa folgt nun eine Erzählung. Im Band „zwischen“ nahm die Autorin verschiedene literarische oder soziologische Texte (u.a. von Ilse Aichinger und Pierre Bourdieu) als Grundlage für ihre Prosa, die oft in sehr lyrischem Tonfall verfasst und zugleich im Tempo forciert ist, beeindruckend in ihrer Plastizität und Räumlichkeit, die die Figuren trotz weniger Striche zumeist sehr körperlich vor dem Auge der Leserin erstehen lassen.

 

Nun hat sich die Autorin in der Erzählung Violante einen Stoff vorgenommen, der ihr möglicherweise während eines Stipendienaufenthalts in Paliano im italienischen Latium untergekommen ist (oder vice versa, und Pfeifer hat sich aus Recherchegründen an den Ort des Geschehens begeben). Und als Schriftstellerkollegin möchte ich gleich fragen: Schreiburlaub, Stipendium: Ist das nicht auch eine Form der Verbannung?
Es ist die Geschichte Violantes, der Herzogin von Paliano, die nach einigem klerikal-adeligen Kräftemessen, nach Verbannung, Ränke- und Liebesspielen, nach Ehebruch und Verrat von ihrem Bruder ermordet wird, die Zeit ist das 16. Jahrhundert.
Offensichtlich ein historischer Fall, der Großteil der Akten darüber wurde vernichtet, Stendhal verfasste nach den verbliebenen Quellen eine Geschichte mit dem Titel „Die Herzogin von Paliano“, die nun wiederum ein Bezugspunkt für Pfeifers „Violante“ ist.
Die Erzählung setzt mit einem Intro aus der Perspektive des judenfeindlichen, nepotistischen Papstes Paul IV. ein, der nach einer Silvesterorgie 1559 die bislang protegierten Cousins, die Carafa-Brüder, aus Rom verbannt und ihnen die Privilegien entzieht. In seiner Nachfolge sagen im Text noch einige „ich“, nicht immer wird klar, wer gerade spricht.

Die Frage, warum die Autorin diese Geschichte erzählt, beantwortet der Text einesteils mit seinen unzähligen heutigen, zeitgenössischen, um nicht zu sagen zeitgeistigen Bezügen. Von Trumps „I grab her by the pu***y“ bis zu den Allgemeinheiten und Italien-Klischees der bildenden Künstlerin Lizzy Fidler („Und einige meine Freunde so: Passt doch, jetzt ist er wieder dabei.“) sind unzählige literarische Zitate, private Mails, Rechercheanleitungen und Lektüreerfahrungen etc. in der Erzählung untergebracht, die zu großen Teilen durch dieses fremde Textmaterial vorangetrieben und getragen wird. Das Material katapultiert einen beim Lesen aber auch aus dem Text heraus, wenn die Assoziationen und lyrischen Zitate zwar direkt an ein Wort anschließen, darüber hinaus aber kein erzählerischer oder poetischer Zusammenhang respektive -klang erkennbar ist, wie z.B. die von Herbert J. Wimmer entlehnte „Heimatlosigkeit“ aus dem Kleinen Café, die auf die Verbannung aus Rom nach Soriano folgt.
Wenn Pfeifer Zitiertes noch einmal aufnimmt und variiert, funktioniert dies rhythmisch meist gut und verleiht dem Text einen ordentlichen Drive.
Außerdem forciert Judith Pfeifer in „Violante“ die ebenfalls von Herbert J. Wimmer hervorgehobene „Zeitlichkeit“ in ihrer Literatur: Der Text müsse in die andere Richtung, heißt es einmal, und sei angelegt „auf Wiederholbarkeit, ein sexuelles Skript, das sich durch die Jahrhunderte zieht“. Insofern sollen all die Stimmen, die Pfeifer geradezu brinkmannesk in ihrer Erzählung verwebt, dieses Skript erklingen lassen und uns seine Gültigkeit vor Augen führen.
Dafür schreibt sie das Liebeswerben zwischen Männern und Frauen weiter, vor allem aber zieht sie eine Analogie vom Herzoginnenmord zu den sogenannten Ehrenmorden des 20. und 21. Jahrhunderts. Auch hierfür wird neben Literarischem soziologisches Material oder solches unbekannter Herkunft herangezogen, was eigentlich sehr gut funktioniert und literarisch stimmig ist.

In kurzen Kapiteln, die häufig mit Hashtags eingeleitet werden, z.B. „#vonohrzuohr“ nähert sich Pfeifer ihrem Stoff immer wieder mehrsprachig an, wobei die italienischen Passagen aufgrund des Ortes, an dem die Erzählung angesiedelt ist, eher einleuchten als die englischen oder selteneren französischen. Manches davon wird ins Deutsche übersetzt, anderes nicht. Esperanto/Denglisch für den globalen Erzählort Twitter oder Instagram? Dass statt einem Schrägstrich das Wort „slash“ im Satz seinen Platz hat, versteht sich in diesem Zusammenhang ganz von selbst.

Ein regelmäßig auftauchender Lieferant für starke Frauenfiguren und -stimmen ist der Regisseur Quentin Tarantino. Der Autorin ist sogar der Charme der Dealerbraut Mia Wallace aus Pulp Fiction hierfür Referenz genug und darin liegt vielleicht eine erzählerische Crux: Violante bekommt in der ihr zugeeigneten und nach ihr benannten Erzählung bis zuletzt keine wirklich hörbare Stimme verliehen, was die Leserin irritiert und irgendwie enttäuscht zurücklässt. Und auch die Liebe ist zwischen den Zeilen doch eher Behauptung als ganz großes Gefühl.
Ist Violantes Auftritt eben doch eher einer von mehreren in dieser dennoch gelungenen „Cross over-Oper“? Der Moment mag, wie Pfeifer mit Rakusa sagt, keine Meinung haben, von der Hauptdarstellerin dieses Buches hätte ich mir sehr wohl eine gewünscht.

Judith Nika Pfeifer Violante
Erzählung.
Wien: Czernin, 2017.
157 S.; geb.
ISBN 978-3-7076-0601-0.

Rezension vom 23.05.2017

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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