#Sachbuch

Veza Centti

Heinz Ludwig Arnold (Hg.)

// Rezension von Sabine Schuster

Seit etwa zehn Jahren rückt die Schriftstellerin Veza Canetti zunehmend in das Bewusstsein der literarischen Öffentlichkeit. Die 1897 als Venetiana Taubner-Calderon geborene Wiener Jüdin war von 1934 bis zu ihrem Tod 1963 mit Elias Canetti verheiratet und stellte sich als Schriftstellerin – aus heutiger Sicht allzu dienstbar – in seinen Schatten. Dass sie eine wichtige Autorin Österreichs war, geriet nicht zuletzt auch durch die eingeschränkten Publikationsmöglichkeiten im Exil für lange Zeit in Vergessenheit.

Die Beiträge des vorliegenden Text u. Kritik-Heftes basieren zum großen Teil auf Vorträgen, die anlässlich der Tagung „Veza Canetti – Die Wiederentdeckung einer Schriftstellerin“ im September 2000 in der Evangelischen Akademie Tutzing gehalten wurden. Sie untersuchen verschiedene Aspekte ihres Werks sowie dessen Stellung in der literarischen Tradition Österreichs bzw. in der Exilliteratur. Als Gastredakteur des Materialienbandes fungiert Helmut Göbel, der Mitte der 80er Jahre hinter dem Pseudonym „Veza Magd“ die Schriftstellerin Veza Canetti wiederentdeckt und schließlich auch Elias Canetti den notwendigen Impuls für die Veröffentlichung ihrer Werke gegeben hat. Von Göbel stammt auch das Nachwort zum Roman „Die gelbe Straße“, mit dem der Hanser Verlag 1990 die posthume Veza Canetti-Werkausgabe eingeleitet hat. Elias Canetti habe, so Göbel, „immer auf ein solches Interesse und auf einen solchen Antoss von aussen gewartet, weil er selbst seine zunehmende Bekanntheit nicht zum Anlass nehmen wollte, die literarischen Arbeiten seiner ersten Frau ins öffentliche Gespräch zu bringen“ (S. 7). Die Literaturkritik, die überwiegend positiv auf das Werk Veza Canettis reagierte, zeigte gleichzeitig Unverständnis über Elias Canettis langes Schweigen, es wurde fast zwangsläufig vermutet, der Nobelpreisträger habe, wenn nicht gar die literarische Arbeit, so zumindest das Bekanntwerden seiner schreibenden Partnerin unterdrückt.

Bettina Banasch greift in ihrem Beitrag über Veza Canettis Erzählband „Geduld bringt Rosen“ und den Roman „Die gelbe Straße“ ebenfalls diese Fragestellung auf und weist auf die Unversöhnlichkeit von feministisch motivierten Sichtweisen auf der einen Seite und „Hütern des Nobelpreises“ auf der anderen Seite hin. Sie nimmt selbst eine vermittelnde Haltung ein und macht sich abseits der eifernden Auseinandersetzungen (etwa Gerald Stieg versus Anna Mitgutsch, siehe Anmerkungen S. 42) auf die Suche nach literarischen Korrespondenzen in den Werken der Ehepartner: Da gibt es etwa bei Veza Canetti die selbst gewählten Pseudonyme Veza Magd, Veronika Knecht und Martha Murner, mit denen sie in den zwanziger und dreissiger Jahren ihre Erzählungen zeichnete und hinter denen ein Konzept dienenden Magdtums steht, bei Elias Canetti die Beschreibung des Dichters als dem Knecht bzw. dem Hund seiner Zeit, der erst in der Unfreiheit und Niedrigkeit ungebunden ist, frei von einengenden Bindungen und Verpflichtungen und frei von der verderblichen Sphäre des Geldes (S. 31). Diese Idee erinnert zwar an die Figuren Veza Canettis, die in demütigenden und finanziell äußerst beschränkten Verhältnissen ihre innere Freiheit und Würde bewahren, ein gemeinsamer poetologischer Entwurf ist jedoch daraus nicht abzuleiten, eher erweisen sich die Differenzen zwischen den Konzeptionen „Magdtum“ und „Knechtschaft“ als interessant: „Begibt sich Elias Canetti mit seiner Rede von der hündischen Existenz des Dichters in einen luftleeren Raum – ist doch ,die Zeit‘ ein recht abstrakter Befehlshaber -, so entwickelt Veza Cantetti ihre Ideologie des Dienens mit einem scharfen Blick für Macht- und Ohnmachtsverhältnisse.“ (S. 33)
Bettina Banasch befasst sich sehr eingehend und kritisch mit den dienenden Frauen in Veza Canettis Erzählungen, deren Würde vorwiegend darin besteht, die ihnen zugefügten Erniedrigungen in bewusster Demut zu ertragen. Ein emanzipiertes oder gar feministisches Frauenbild kann Banasch in den Texten Veza Canettis nicht aufspüren, auch nicht in ihrem vorehelichen Werk, auf dessen feministischen Gehalt Elias Canetti in seinem Vorwort zu „Die gelbe Straße“ eigens hinweist (S. 32). Die Autorin vermutet dagegen, „dass Veza Canetti die für ihr Denken zentrale Ideologie des Dienens, die sie bereits in ihren frühen Arbeiten entwickelt, als eine willkommene Mitgift in die Ehe mit Elias Canetti eingebracht hat“ (ebd.). – Der Kreis zur vieldiskutierten Paarbeziehung der Canettis schließt sich also unweigerlich wieder, und die Autorin hat wohl mit ihrem kleinen Seitenhieb viele Sympathien auf ihrer Seite.

Ritchie Robertson widmet sich im anschließenden Beitrag der Darstellung häuslicher Gewalt in der Erzählung „Der Oger“, die Anfang der 30er Jahre in der „Wiener Arbeiterzeitung“ abgedruckt wurde und der Veza Canetti durch eine streng neutrale, rein visuelle Erzählhaltung große Eindringlichkeit verleiht. Diese lakonische und zugleich unverblümte Darstellung einer Ehehölle wird in Beziehung gesetzt zu früheren Thematisierungen der Gewalt in der Wiener Moderne und zu Diskursen der Presse, des Strafrechts und der Psychoanalyse.

Ein Aufsatz von Irmela von der Lühe untersucht Veza Canettis 1939 entstandenen Exilroman „Die Schildkröten“ im Kontext der deutschsprachigen Exilliteratur, und auch in diesem Genre besticht Veza Canetti durch große Eigenständigkeit. Ihr Text enthalte Formen künstlerischer Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, die „nicht nur innerhalb der deutschsprachigen Exilliteratur, sondern insbesondere im Vergleich mit Exilromanen anderer emigrierter Schriftstellerinnen eher ungewöhnlich sind“ (S. 65).
Der Roman, wehmütige und sarkastische Erinnerung und zugleich grotesker Abgesang auf die einstmals „fröhlichste Stadt Zentraleuropas“, verweist auf die Lebenssituation Veza und Elias Canettis in Wien in den Jahren vor der Emigration. Auch intertextuelle Bezüge zwischen dem Helden, dem Gelehrten und Dichter Dr. Andreas Kain, und Professor Peter Kien aus Elias Canettis Roman „Die Blendung“ (1935) wecken wiederum die Neugier auf das Zusammenleben und die Zusammenarbeit im Hause Canetti. Irmela von der Lühe geht es jedoch um einen anderen, eher sozial- kultur- und literarhistorischen Kontext; sie vergleicht „Die Schildkröten“ mit den Romanen Lili Körbers und Anna Gmeyners und markiert in der Abgrenzung zu den Zeitgenossinnen das eigenwillige literarische Profil der ohne ideologisches Netz arbeitenden Veza Canetti. Während bei Körber die Topoi der marxistischen Faschismustheorie unübersehbar seien, stosse man bei Gmeyner auf Elemente konservativer Kritik an der Moderne zur Erklärung der Barbarei. Anders als diesen beiden Autorinnen gehe es Veza Canetti nicht um die Darstellung einer brutalen, politischen Realität, nicht um die narrative Illustration der Alltagsgeschichte beziehungsweise der alltäglichen Entrechtung und Verfolgung der Juden im Wien des Jahres 1938, sondern um die „poetische Vergegenwärtigung einer Atmosphäre, eines elementaren Gefühls: der Angst, des abgründigen Erschreckens und der lähmenden Verzweiflung“ (S. 72).

Am Schluss des Bandes bietet Angelika Schedel ein kompaktes Paket an biografischen Informationen, eingeleitet mit einem Aufsatz zu den Jahren im Londoner Exil: „‚Bitte das über seine Frau nicht auslassen‘. Briefe an Erich Fried, eine ,gefälschte‘ Autorenschaft und Frauen im Hintergrund“. Der sprechende Titel verrät fast alles – die Informationen über Vezas Londoner Jahre sind – so die Biografin – ebenso dürftig wie jene über die erste Lebenshälfte in Wien und stehen fast ausschließlich in Zusammenhang mit dem Leben und der Arbeit des schreibenden Ehemannes. Der Roman „Die Schildkröten“, den Veza Canetti gleich nach der Ankunft in London 1939 schrieb und für den sich noch im selben Jahr ein englischer Verlag interessiert haben soll, fand schließlich keinen Verleger, die Werke Elias Canettis allerdings zu diesem Zeitpunkt auch nicht. Veza verdiente also Geld mit „commercial correspondence“, Sprachunterricht und anderen wenig einträglichen Arbeiten, die Flüchtlinge annehmen konnten. Später arbeitete sie als Lektorin für den Hutchinson Verlag, übersetzte ins Deutsche und kümmerte sich um die Korrespondenz ihres „saumseligen“ Ehemannes. Während Elias Canetti in London 20 Jahre lang beharrlich an seinem großen Werk „Masse und Macht“ arbeitete und laut eigener Aussage jede Silbe darin mit seiner Frau „zusammen bedacht und besprochen“ (S. 86) hat, schrieb auch Veza mindestens bis ins Jahr 1952 weiter, sogar in englischer Sprache, doch sind von diesem Schreiben so gut wie keine Spuren zu finden. 1956 soll sie Elias Canetti zufolge selbst Manuskripte verbrannt haben.
Viele erhaltene Briefe und Notizen dokumentieren den engen Kontakt zu Erich Fried, auch die oben erwähnte „gefälschte Autorenschaft“ hat mit ihm zu tun: Fried sollte eine Einleitung zu dem von Viktor Suchy herausgegebenen Canetti-Sammelband „Die Welt im Kopf“ schreiben, der Text ließ jedoch so lange auf sich warten, dass Veza Canetti, die wie immer die Korrespondenz erledigte, selbst einen Text verfasste, der dann unter Erich Frieds Namen erschien. Fried hat das 24-seitige Manuskript lediglich überarbeitet.

In einer zehnseitigen Vita dokumentiert Angelika Schedel schließlich chronologisch alle verfügbaren Informationen zum Leben Veza Canettis – mit Querverweisen zum Werk, etwa zur im Band abgedruckten Erzählung „Geld – Geld – Geld“, in der Veza Canetti ihren gewalttätigen Stiefvater Menachem Alkaley portraitiert. Eine zweite bisher nicht in der Werkausgabe enthaltene Erzählung, „Das Schweigegeld“, wurde ebenfalls in den Materialienband aufgenommen. Beide Texte sind ursprünlich 1937 unter dem Pseudonym Veza Magd in der Sonntagsbeilage der Wiener Zeitung „Die Stunde“ erschienen, Eckart Früh hat sie nun wiederentdeckt und 2001 in seiner Veza und Elias Canetti gewidmeten Nummer der Zeitschrift „Noch mehr“ erstmals vorgestellt.

Die ausführliche Bibliografie verzeichnet nicht nur die ab 1990 posthum herausgegebenen Buchpublikationen, sondern auch die einzelnen, in den 30er Jahren unter den erwähnten Pseudonymen in Zeitungen abgedruckten Erzählungen sowie ein übersichtliches Sekundärliteraturverzeichnis – wegen der bislang kleinen Zahl von wissenschaftlichen Veröffentlichungen enthält es auch eine kritische Auswahl an Rezensionen.

Gerade wegen seiner Verdienste wäre dem schmalen Bändchen mehr Körper zu wünschen, wird es doch für längere Zeit die erste Informationsquelle zu einer Autorin sein, die gerade im Begriff ist, nachträglich ihren verdienten Platz in der Literaturgeschichte zu erobern.

Heinz Ludwig Arnold (Hg.) Veza Canetti
Text u. Kritik 156.
München: edition text + kritik, 2002.
111 S.; brosch.
ISBN 3-88377-717-X.

Rezension vom 09.12.2002

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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