#Roman

Verwüstung der Zellen

Markus Mittmansgruber

// Rezension von Angelo Algieri

Der Philosoph Markus Mittmansgruber, Jahrgang 1981, hat bisher Essays und Sachbücher publiziert, 2012 etwa den Band „Das ‚Gespenst‘ und seine Apokalypse. Von Jacques Derridas Körper“, worin er philosophische Überlegungen über Körper und die Bedeutung des Gespenstes nach Jacques Derrida anstellt. Mit den unterschiedlichen Dimensionen des Körpers hat sich Mittmansgruber (gemeinsam mit Elisabeth Schäfer) auch in einem sehr lesenswerten Essay auseinandergesetzt, der in der Anthologie „Korporale Performanz. Zur bedeutungsgenerierenden Dimension des Leibes“ (transcript Verlag 2013) erschienen ist.
Seinem philosophischen Steckenpferd folgend, nähert sich Markus Mittmannsgruber dem Thema Körper nun auch erzählerisch an. Sein Romandebüt Verwüstung der Zellen ist im Wiener °luftschacht Verlag erschienen.

Der Text“körper“ teilt sich in zwei unterschiedliche Geschichten auf. Zum einen geht es um einen Sohn, dessen dominanter, dementer Vater nicht will, dass man ihn im Hospitz besucht. Doch später, als der Sohn vom Arzt angerufen wird und hingeht, kann der Vater sich krankheitsbedingt nicht mehr daran erinnern. Auch die depressive Mutter überwindet diesen Bann und blüht in der Folge auf. Dieser Wandel der Mutter ist wiederum dem Sohn unheimlich und macht ihn – aus unerfindlichen Gründen – auch zornig. Versucht die Mutter sich vom Vater zu emanzipieren – wie sie es bisher nie gewagt hat? Der Sohn indes besucht einen seltsamen Selbstfindungskurs. Dort lernt er Johanna kennen, sie machen gemeinsam körpererschöpfende, selbstentblößende Übungen, haben später Sex miteinander. Ist er in diese Frau verliebt? Kann er sich von der übermächtigen Vaterfigur körperlich befreien?
Zum anderen wird – scheinbar konträr – die Geschichte des Zombies Massepunkt, dargestellt als •, erzählt. Er geht durch eine apokalyptische Welt und frisst stumpf und rabiat Menschen, die überlebt haben. Die Szenerie erinnert ein wenig an Heinz Helles Apokalypse-Roman „Eigentlich müssten wir tanzen“ (Suhrkamp, 2015). Bis • überraschend einbetoniert wird…

Markus Mittmansgruber erzählt von Abgründen, körperlichem Verfall und wie wir in unseren Körpern gefangen sind – und wie diese eine eigene Erinnerung haben. So erinnert sich der Sohn in Ekstase an ein unschönes Ereignis mit seinem Vater in der Kindheit. Der Körper, so scheint es, vergisst nie. Eine weitere Frage, die herauszulesen ist: Wie viel Vater steckt im Körper? Kann man rein körperlich seinen Vater „abschütteln“? Allemal spannende, kluge Fragen. In diesem Zusammenhang ist auch der verfaulende Körper des Zombies zu sehen. Wie viel lebendige Vergangenheit bleibt im Zombie-Körper übrig? Metaphorisch gesprochen: Bleibt am Ende immer etwas übrig, das uns widerspenstig an die Vergangenheit erinnert, oder das bei Verdrängung gelegentlich durchschlägt? Die Körper, so schreiben Mittmansgruber und Schäfer im oben genannten Essay, „sind nicht übersetzbar, sind nicht chiffrierbar: Sie enthalten sich und sie enthalten ihrer Übersetzbarkeit immer etwas vor.“

Allerdings ist die Eltern-Sohn-Story nicht so spannend erzählt wie die Zombie-Geschichte. Eine Straffung hätte dem Text gut getan. Zugegeben: Es gibt Sätze, die man gerne auf T-Shirts drucken würde. Etwa: „Bin ich nur deine Sekundärliteratur?“, „Lasst die Diktatur des absoluten Rausches zu!!“ oder: „gegen das leben, weil es falsch erinnert. und gegen den tod, weil er falsch vergisst.“ Kurz und prägnant.
Doch leider gibt es auch unreflektierte Zuschreibungen und übereifrige Metaphern. Etwa: „die wechselstrompupillen der steckdosen“ oder: „steckte bereits tief im Gebälk seiner Kehle“. Und ganz unverständlich: der „sichtbar schwule Verkäufer“ – darauf folgt keine Beschreibung, was nun an diesem Verkäufer sichtbar(!) schwul sei.
Dennoch: Mit Verwüstung der Zellen ist Markus Mittmansgruber ein nachdenkliches Debüt mit teils griffigen Sätzen gelungen. Und ganz philosophisch stellt der Text Fragen – Fragen über Körper aus verschiedenen, ungewöhnlichen Perspektiven.

Markus Mittmansgruber Verwüstung der Zellen
Roman.
Wien: Luftschacht, 2016.
232 S.; geb.
ISBN 978-3-902844-93-4.

Rezension vom 10.05.2016

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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