#Prosa
#Debüt

Verlass die Stadt

Christina Maria Landerl

// Rezension von Angelo Algieri

Bevor die Glut in dir erlischt
Verlass die Stadt
Die keine ist
Ein neuer Wundbrand in Athen
S‘ ist an der Zeit endlich zu gehn.

Dieser Refrain stammt aus dem Album „Verlass die Stadt“ der österreichischen Musikerin Gustav alias Eva Jantschitsch. Verlass die Stadt nennt auch die Oberösterreicherin Christina Maria Landerl ihren ersten Prosaband. Das Buch ist soeben im Frankfurter Verlag Schöffling & Co erschienen.

Es ist eine Geschichte über vier Freunde, die in Wien wohnen, wobei Margot, die Ich-Erzählerin, plötzlich im Sommer unangekündigt verschwindet. Es fällt zunächst nicht auf, weil sie an einer Magisterarbeit über Ingeborg Bachmanns „Malina“ und Wien schreibt. Doch als der Freundeskreis – Gudrun, Max und Peter – Margot seit längerem weder gehört noch gesehen hat, machen sie sich Sorgen. Vermuten gar, dass sie mit ihrer Alkoholsucht rückfällig geworden sei. Es beginnt eine Suchgeschichte, dabei erfahren wir viel über die Zerwürfnisse zwischen den Vieren sowie über ihre Charaktere, porträtiert in einzelnen Bildern mit vielen Dialogszenen. Die drei Freunde geben eine Vermisstenanzeige auf, fragen bei der Stadtverwaltung nach, gehen an die Universität und telefonieren die Krankenhäuser ab – doch Margot ist nirgends zu finden. Schließlich schauen sie in ihrer Wohnung vorbei. Dort wohnt Maria, die Untermieterin. Sie hat einen Brief bekommen. Die Freunde beschließen zum Absender, einer unbekannten Elisabeth, zu fahren: nach Wien-Kagran. Doch es gibt weder die Hausnummer noch eine Elisabeth in diesem Stadtteil. Schließlich machen sie den Brief auf. Darin ist nur ein Bob-Dylan-Zitat zu lesen. Die Freunde sind sich sicher, dass diese Botschaft an sie gerichtet ist, auch wenn sie den Kontext nicht verstehen. Dennoch sind sie beruhigt. Margot scheint noch am Leben zu sein.

Die junge Autorin Christina Maria Landerl, Jahrgang 1979, zeichnet sehr genau die Möglichkeit des Verschwindens auf. Denn diese Geschichte entspinnt sich allein im Kopf von Margot. Am Ende erfahren wir, dass sie tatsächlich gar nicht weg war. Sie hat an ihrer Magisterarbeit geschrieben und sich eine Fiktion neben der Realität ausgemalt, die der Wahrheit näher zu sein scheint.
Mit diesem möglichen Verschwinden wirft Margot einen genauen Blick auf die Gesellschaft, auf die Stadt und auf ihre Freunde. Es entsteht eine bemerkenswert scharfe Analyse bei gleichzeitiger Gesellschaftskritik. Nicht nur inhaltlich bestechend, sondern auch durch die lakonische, ökonomisch austarierte und sezierende Sprache. – Kein Wort ist zu viel, keines zu wenig.

Die eigentliche Protagonistin der Geschichte ist Wien. Landerl hat eine Hommage geschrieben – auch wenn sie nichts beschönigt. Sie zeigt dabei, dass diese Stadt sich im Laufe der Jahre verändert hat. Die Donaumetropole scheint gesetzter, weniger aufrührerisch zu sein. Oder ist es das Älterwerden? Sehen wir die Großstadt durch die Brille früherer Jahre, weil wir neugieriger, unverbrauchter waren? Oder ist es ein Mix von beidem? Kurz: Was ist verschwunden? Die Stadt, die Ideale, die Jugendlichkeit? Weil das Weggebrochene keine Orientierung mehr bietet, keinen Rückhalt? Bleibt somit nur der Rückzug, die Stadt zu verlassen? Vielleicht als neue Chance?

Christina Maria Landerl hat mit ihrem Debüt Verlass die Stadt ein bemerkenswert ernüchterndes Portrait ihrer Generation gezeichnet – ähnlich wie Gustav.

Christina Maria Landerl Verlass die Stadt
Prosaband.
Frankfurt am Main: Schöffling & Co, 2011.
136 S.; geb.
ISBN 978-3-89561-255-8.

Rezension vom 07.09.2011

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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