#Roman
#Debüt

Verlangen nach Drachen

Verena Roßbacher

// Rezension von Martina Wunderer

Auf Klara folgt Nacht.

Klara Grün, Studentin der Paläontologie, arbeitet als Hilfskellnerin im Wiener Kaffeehaus Neugröschl, Treffpunkt für Aufschneider, Träumer, Erfinder und Entdecker, hier laufen alle Fäden zusammen, hier beginnt Verena Roßbachers Roman Verlangen nach Drachen. Ein vielstimmiger, dichter Roman über Verwandlungen, Erinnerungen, Verwirrungen, über Beziehungen und Störungen, ein herrlich komisches, phantastisches, skurriles Debüt, doch zugleich klug, nachdenklich und ernst.Ein Roman in sieben Kapiteln über Klara und ihre Männer, über das Aufkeimen und das Verlöschen von Zuneigung, über den Rausch der ersten Verliebtheit und die Ernüchterung „wenn man feststellt, dass man sich geirrt hat.“

In der Erinnerung der verlassenen Männer, die in den einzelnen Kapiteln ihren Schmerz, ihre Trauer und ihre Wut zur Sprache bringen, erscheint Klara als märchenhafte, geheimnisvolle, fremde Gestalt, „schön bis zur Unerträglichkeit“, mal Lulu, mal Lolita, mal femme fatale oder Unschuld vom Lande, mal grausam und ungerecht, mal zärtlich und hellsichtig. „Wissen Sie, Klara ist nie einfach nur Klara,“ erklärt der Pianist Wurlich, „[…] mitunter denk ich, ich habe diese Klara geträumt. Klara, welche Klara?“

Der erste, der von Klara verlassen wird, ist ihr Vater, Lebenskünstler, Geigenbauer, Modezar, Erfinder und stetiger Erneuerer seiner selbst – „Ich brauche einen neuen Namen […] einen anderen Beruf, am besten eine neue Adresse und eine andere Vergangenheit,“ erklärt er, als wieder eines seiner Projekte gescheitert ist. Er leidet an der Liebe seiner Tochter zu dem Gärtner Valentin Kron und versucht, sie gegen ihn aufzubringen. Vergeblich. Als der Streit zwischen den beiden eifersüchtigen Männern eskaliert, zieht Klara endgültig zu ihrem Freund.
Valentin weckt nicht nur Obst und Gemüse sondern auch tote Tiere ein. Auf diese Weise, so sagt er, konserviere er „ein ganzes Leben. Den letzten Moment und viele, die ich gar nicht kenne. Weil ich sie konserviere, bleiben sie.“ Doch Liebe und Glück lassen sich nicht einwecken; Klara wird Valentin noch am selben Abend verlassen. „Sie hatte immer gesagt, ich würde riechen wie Feld und Heide, sagte Kron, das klang schön, ich dachte, sie mag das. Mochte ich auch,“ so Klara, doch nun ist eine andere Zeit angebrochen.
Verführt von seinem Geruch nach Rauch und Brot, nach Abenteuer, wendet sich Klara dem Cellisten David Stanjic zu. Doch auch dessen Jahr der Liebe mit Klara nimmt ein abruptes Ende, als sie dem Floristen Alexander von Lenau begegnet, einem modernen Alchimisten mit einem Faible für Steine, Uhren, Fabelvögel und Chimären. Er fotografiert das „Aufleuchten der Vergangenheit […], die Erinnerung des Wassers“, konserviert das Mondlicht in Form von Eiswürfeln, backt Kekse, die angeblich die Liebe befördern und braut geheimnisvolle Zaubertränke auf der Basis von Lindenblütentee, die das Erinnern und Verstehen erleichtern sollen. Doch Klaras Gefühle bleiben selbst ihm ein Rätsel:
„Alexander, sagte sie, ich liebe dich nicht. Verstehst du.
Nein, sagte Lenau, nein. Das verstehe ich beim besten Willen nicht.“

So bleibt jede der mit autistischen Zügen kokettierenden Figuren – und mit ihnen der Leser – gefangen in der jeweiligen personalen Perspektive. Diese Beschränkung verschleiert die Logik der Handlung ebenso wie die Zeitstruktur und spiegelt auf formaler Ebene den Mangel an Empathie und gegenseitigem Verständnis der Liebenden wieder. Ihre Beziehungen scheitern letzten Endes an unüberwindlichen Kommunikationsschwierigkeiten: „Du hast mich nicht mehr verstanden, denn dann hättest du mich geliebt, so einfach.“ Es gibt keine Privatsprache der Liebe, „die großen Liebesgeschichten sind vorbei.“
Zurück bleiben allein Bilder und Erinnerungen und selbst diese ändern sich. „Zeit verändert Dinge, ich verstehe noch nicht, wieso,“ schreibt Klara. Dies ist gleichzeitig ein Fluch und ein Segen. Die Zeit heilt alle Wunden. Doch die Zeit heilt auch „alle Wunder, schon nach wenigen Jahren, nur noch Narben da wo Wunder waren.“
Aus dieser Erkenntnis speist sich die Sehnsucht der Figuren nach Ewigkeit, nach dauerhaftem Glück, ihr Verlangen nach dem Drachen, denn er „hat alles bezwungen – er ist den Zeiten entschlüpft und wird weiter wachsen […] und ewig leben.“ Ein anmaßender Wunsch, ungeheuerlich, wie Roßbachers Roman: eine andere Recherche, ein Buch der Suche nach der verlorenen sowie nach der zu gewinnenden Zeit.
Hast du je einem Drachen ins Auge gesehen? Was siehst du?

Verena Roßbacher Verlangen nach Drachen
Roman.
Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2009.
443 S.; geb.
ISBN 978-3-462-04097-5.

Rezension vom 16.03.2009

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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