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#Prosa

Veitels Traum

Andreas Weber

// Rezension von Helmut Sturm

In das Anmeldeformular eines Hotels vermerkt der Erzähler von Andreas Webers jüngstem Roman „Tobias Veitel, Beruf: Komiker“. Der Verlag betitelt das Buch als Entwicklungsroman und tatsächlich werden wir über einige Ereignisse aus dem Leben Tobias Veitels zwischen seinem 18. und 21. Lebensjahr informiert. Er zieht von zu Hause aus und beginnt ein Germanistikstudium, und er stammt aus einer schriftstellernden Familie. Der Großvater war Wehrmachtsoffizier und hat über 30 Romane veröffentlicht, der Vater Dorfgendarm und Lyriker. Und wir sind dabei, das Werk des Studenten und selbsternannten Komikers zu lesen.

Ausgangspunkt der Entwicklung ist das mysteriöse Ende Joachim Veitels, des dichtenden Gendarmen, der im Bett seiner Geliebten an einem Herzinfarkt stirbt, aber auf dem Parkplatz des einzigen Nachtklubs seiner Heimatstadt tot aufgefunden wird. „In Uniform. Mit einer Pistole erschossen.“ So kann der Waschzettel nicht zu Unrecht auch einen packenden Krimi ankündigen. Warum das Ganze eine „Liebesgeschichte“ sein soll, wird nicht so ganz klar. Freilich geht es wie in jedem Roman auch um Liebe. Jedenfalls gibt es in der männlichen Linie der Veitels einen gewissen Hang zur Abwechslung und bei Vater wie Sohn eine Präfarenz für ältere Frauen. So richtig geglückt scheint keine der Beziehungen. Was wir als altklugen Realismus des jungen Erzählers akzeptieren.

Der „Komiker“ Tobias Veitel ist nicht ohne Humor und Witz. Sein Thema ist, wie er der Schriftsteller wurde, der der Vater gerne gewesen wäre. Der Beweggrund dafür ist, dem „Vater ein Denkmal zu setzen“. Der Handballspieler Tobias Veitel sieht gerne Filme und lernt nach und nach, nicht zuletzt durch die Vermittlung von Rapid-begeisterten Universitätsgermanisten, die Gedichte des Vaters verstehen und schätzen. Er stellt sich in die Tradition der Aufklärung, die seine Befreiung aus dem engen kleinstädtischen Milieu der beginnenden 80er Jahre fordert und fördert. Tobias ist in diesem Sinne auch angriffslustig und gibt Klerikales und Kleinstädtisches der Lächerlichkeit preis.

Es verwundert nicht, dass er, der am Beginn seines Studiums steht, noch wenig differenziert. Seine Abwertung von technischen, medizinischen oder juristischen Studienrichtungen gegenüber der Germanistik sieht letztere ohne ihre ebenfalls dunkle, aufklärungsfeindliche Geschichte. Die Großschriftsteller des 20. Jahrhunderts, die gerade auf der Grundlage anderer Studienrichtungen im Sinne der Aufklärung gearbeitet und geschrieben haben, sind für ihn noch ohne Bedeutung. Überhaupt gilt: das Diskussionsniveau in der Familie Veitel ist nicht allzu hoch. Auch nicht auf dem Gebiet der Religionskritik, die in diesem Fall eine Kritik an der römisch-katholischen Kirche ist. Diese ist dem Erzähler so wichtig, dass er festhält: „Diese Geschichte beginnt mit meinem Austritt aus der Kirche“. Es ist witzig wie am Stammtisch in der Kleinstadt, wenn der Bruder des Vaters, Regisseur von populären Fernsehfilmen, sagt: „‚Gratuliere!‘ Hm ‚Zum Austritt aus dem Kuttenbrunzer-Verein‘. Alle lachten.“

Der Vater, Joachim Veitel, hat ja Gedankenlyrik geschrieben. Etwas mehr Gedanken täten der Prosa und der Entwicklung des Tobias Veitel stellenweise gut. Zumindest hätte ihn das nicht gerade sorgfältige Lektorat darauf hinweisen sollen.

Daneben ist Tobias Veitel Talent nicht abzusprechen. Er erzählt seine Geschichte vom Erwachsenwerden unterhaltsam, versteht es kritische Stiche zu setzen, und sein „Denkmal für den Vater“ liest sich gut.

Andreas Weber hat da einen sympathischen, nicht großartig gebildeten jungen Schriftsteller einen erfrischenden Erstling schreiben lassen. So könnte auf dem Klappentext auch wie heute nicht unüblich stehen: „Ein fulminantes Debut“. Wir Leser, ganz im Sinne der Aufklärung, bilden uns ohnedies unser eigenes Urteil.

Veitels Traum.
Roman.
Wien: Picus Verlag, 2010.
190 Seiten, gebunden.
ISBN 978-3-85452-665-0.

Website mit Informationen über Buch und Autor

Rezension vom 15.09.2010

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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