#Prosa

Untrüglicher Ortssinn

Elfriede Czurda

// Rezension von Martina Wunderer

„Monotheismen Monogamie Monologie Monosexualität: hier spricht immer nur EINER. Und nur EINER hat Recht.“ Die anderen, die Frauen, die Töchter, sie sind zum Schweigen verurteilt. Zu einem Schattendasein.

„Or sai chi l’ombra rapire a me volse … sang die längst verstorbene Frau von Puttnitz in leichter Abwandlung des Originaltexts. Du weißt wer mir den Schatten rauben wollte.“ Der Verlust des Schattens aber, so lehrt schon „Peter Schlemihls wundersame Geschichte“, bedeutet den Ausschluss aus der Gesellschaft. In Elfriede Czurdas Prosastück „Scham“ ist es nun nicht mehr der reiche Kaufmann, der dem Mädchen den Schatten rauben will, sondern die Mutter. „Du wirfst einen Schatten, sagte [sie], als ich größer wurde. Wirf keinen Schatten, das gehört sich nicht. Schäm dich.“ Die gleiche Mutter, die ihren Söhnen zuruft: „Such dir eine, die schamhaft ist. Die immer in deinem Schatten bleibt. Die nichts ist als dein Schatten.“ Es ist nicht mehr Kafkas übermächtiger Vater, mit dem Czurdas Erzählung ringt, sondern die Mutter, die ihrem Mann Schatten war. „Schattengeschlecht. Scham.“ Diese Scham will die Tochter abwerfen, das Schweigen brechen, aus dem Schatten hinaus und ins gleißende Licht treten, „in dem die Mütter keine Ruhe finden.“ Denn „im Licht besehen“ sind diejenigen, die keinen Schatten werfen, Königin.

Die dreizehn Prosastücke, die Elfriede Czurda in dem Band Untrüglicher Ortssinn versammelt, durchbrechen den Mantel des Schweigens und werfen kühne Schlaglichter auf allzu oft Verschwiegenes und Verborgenes, auf die nationalsozialistische Vergangenheit Österreichs, die Gräuel des Jugoslawienkrieges, auf erstarkende Fremdenfeindlichkeit und Rassismus. Kritisch stellen Czurdas Erzählungen und Essays die herrschende Ordnung in Frage – die der Geschlechter, der Generationen, der Gesellschaft – und insbesondere der Sprache, die sich ihr andient und unterordnet. Den starren Begriffen und leeren Floskeln, den Klischees und Euphimismen, die unsere Alltagssprache beherrschen, setzt Czurda experimentelle, hermetische Sprachkunstwerke entgegen.

Welche Sprengkraft diese Sprache besitzt, bleibt zunächst verborgen hinter feiner Ironie, lustvollen Wortspielen und kühnen Metaphern – doch bei genauer Lektüre entdeckt der Leser hinter den Worten Zerstörung, Abgrund, Zerrissenheit: „Es hatte etwas mit Krieg zu tun mit Vernichtung und Terror und Vertuschung aber was konnte ich schon davon wissen ein halbes Kind […]“. Doch das Kind ist erwachsen geworden, selbst „DAS HAUS MEINER KINDHEIT steht nicht mehr das windige Haus meiner Kindheit.“ Die „Dichterin“ ist ihres Kinderlandes gewaltsam enteignet worden, es fiel der allgemeinen Zerstörung anheim, die der Krieg mit sich brachte.

Als Heimatlose streift sie wie die anderen Figuren Czurdas durch Städte und Wüsten, durch Bücher und Erinnerungen, auf den Spuren so unterschiedlicher ‚Helden‘ wie Odysseus, Ahasver oder Philip Marlowe; „Archäologen und Paläontologen auf der Suche nach verflossener Wirklichkeit die wir freundlich imaginieren weil wir ihr keinesfalls mehr begegnen müssen“. Auf den Spuren einer Wirklichkeit, die sich zu erkennen gibt als sprachlich fingiertes Artefakt, dessen Bausteine aus dem Steinbruch der Literaturgeschichte stammen.

Denn alles, „was vom Untergegangenen zurückkehrt sind Ruinen. Bruchstücke einer Vergangenheit die nicht mehr rekonstruierbar ist weil eine Unzahl von Einzelheiten an ihrem Bestand beteiligt war.“ Allein Fragmente können geborgen und in einen neuen Kon-Text integriert werden. Die unhintergehbare Bezogenheit ihres, ja eines jeden Schreibens auf vorausgegangene Texte ist bei Czurda jedoch ambivalent besetzt.
Einerseits eröffnet das intertextuelle Spiel eine Möglichkeit, neu zu schreiben, weiter zu erzählen, obwohl – wie im „Brief des Herrn Chandos an Herrn Bacon“ beschrieben – die Erzählung ihren Gegenstand, ihren Protagonisten verliert und ihn in Umschreibungen und Wortfeldern wiederzugewinnen versucht.
Andererseits sind dadurch selbst die kühnsten Bilder rückbezügliche: „Abschriften der Gussform. Vergleichbar. Gleichgeschaltet. Manchmal Plagiator manchmal Simulant. Erfindet Techniken der Reproduktion Fälschung Travestie Verstellung.“

Max Frisch hat in seinem Roman „Stiller“ die berühmten Worte vom Zeitalter der Wiederholung geprägt. Die großen Autoren haben die Welt mit ihren Wortbildern zugeschrieben. Diese Bilder gilt es zu stürmen, um wieder zu den Worten zu gelangen.
Czurda löst die verbrauchten Wörter aus dem jeweiligen Kontext und betrachtet sie als Einzelne; auf diese Weise werden sie wieder geheimnisvoll, vieldeutig, fremd: „Stollenland Spindel Ballon Katarakt – je näher man ein Wort anblickt desto ferner schaut es zurück.“
Doch ist es gerade die Verfremdung, die die poetische von der Alltagssprache unterscheidet. Erst dadurch wird das Wort wieder zur Gefahr für den EINEN, der bisher über die Sprache verfügte, der das Haus der Sprache in Besitz nahm. Die Figur der Dichterin tritt ihm gegenüber als „eine von denen die ihnen Heimat UNHEIMLICH macht.“

Elfriede Czurda Untrüglicher Ortssinn
Kurzprosa und Erörterungen.
Berlin: Verbrecher Verlag, 2009.
198 S.; brosch.
ISBN 978-3-940426-31-4.

Rezension vom 11.01.2010

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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