#Sachbuch

Untersuchungen zum Prosawerk Thomas Bernhards

Johannes Frederik G. Podszun

// Rezension von Peter Stuiber

Oberflächlich betrachtet, bietet das Werk Thomas Bernhards die immer gleiche Wiederkehr derselben Themen, wie Selbstmord, (Geistes-)Krankheit, selbstgewählte Isolation der Protagonisten, die Kunst oder die Wissenschaft als Zufluchtsort für Geistesmenschen, die Sinnlosigkeit der menschlichen Existenz. So gesehen müßte man die Bücher des Dichters als banal und langweilig empfinden. In Wirklichkeit hat die Literaturkritik und die Wissenschaft jedoch mittlerweile das Klischee ausgeräumt, Bernhard schreibe immer das gleiche. Der Blick wurde geschärft auf die Variationen einer beschränkten Anzahl von Themen, auf Entwicklungslinien und Gewichtung der Motive, auf Besonderheiten einzelner Arbeiten des Schriftstellers.

Der Verfasser der vorliegenden Untersuchung des Motivs des Geistesmenschen und seiner Studie möchte seinen Beitrag zu einer genauen Bernhard-Lektüre leisten: „Lohnend scheint mir eine Beschäftigung mit dem Prosawerk Thomas Bernhards, wenn sie so angelegt ist, daß auf der Folie einer übergreifenden Thematik die Besonderheit seiner spezifischen Behandlung am einzelnen Werk deutlich gemacht wird.“ (S. 16) Podszun analysiert die Romane „Das Kalkwerk“ (1970), „Korrektur“ (1975) und „Beton“ (1982). Für die „Geistesmenschen“ in den genannten Romanen konstatiert der Autor konkrete Vorbilder, den Philosophen Francis Bacon für Konrad in „Das Kalkwerk“, Ludwig Wittgenstein als Roithamer in „Korrektur“ und schließlich Thomas Bernhard selbst in Gestalt des Rudolf in „Beton“. Die Protagonisten sind „verdichtete Kunstfiguren“ (S. 157), d. h. keine wirklichkeitsgetreue Nachbildungen; die sie beschäftigenden Studien sind jeweils unterschiedlichen Charakters. Konrads Studie über das Gehör dient der existentiellen Selbstbehauptung der Hauptfigur. Zugleich ist sie utopisch und rätselhaft, die Studie existiert nur im Kopf, die Realisierung einer Niederschrift der Gedanken ist an sich unmöglich.

Anders in „Korrektur“. Roithamers Vorhaben eines Kegel-Baues wird verwirklicht, die damit verbundenen Erwartungen erweisen sich jedoch als falsch. Zugleich existiert eine Studie Roithamers über seinen Herkunftsort Altensam, vermittelt über den Erzähler, der den Roithamerschen Nachlaß „gesichtet und geordnet“ hat. Diese Studie ist „eine Meta-Schrift und nicht mehr das eigentliche Projekt“ (S. 158) und der neuerliche Versuch einer Selbstbefreiung, von dem allerdings nach mehrfacher Korrektur nichts mehr übrigbleibt und der also scheitert. – In Beton wiederum kommt es, wie in „Das Kalkwerk“, nicht zur Niederschrift der geplanten Studie über Mendelssohn-Bartholdy. Allerdings gelingt dem Protagonisten eine „Ersatzschrift“, ein Rechenschaftsbericht über die eigene Lebenssituation. Diese Schrift bleibt als „authentisches Dokument seiner Lebensverfassung“ (S. 158) erhalten. Die absolute Geistesexistenz, die in den frühen Bernhard-Büchern grundlegend war, ist nicht mehr möglich, sie wird ironisiert.

Johannes Podszun ist es gelungen, die Entwicklungslinien eines grundlegenden Bernhard-Motivs anschaulich darzustellen. Seine Untersuchung zeigt allerdings auch die Gefahren einer allzu „konstruierten“, schematischen Interpretation der Bernhardschen Texte. Podszun sieht etwa im englischen Philosophen Francis Bacon ein Vorbild für die Hauptfigur Konrad. Er meint, Parallelen zwischen der Philosophie Bacons und der Wissenschaftstheorie Konrads zu erkennen und „belegt“ diese anhand einiger Textvergleiche. Auf den Philosophen Bacon ist der Verfasser anscheinend aufgrund einer Textstelle gekommen, in der es heißt, daß Konrad alle Sachen im Kalkwerk verkauft habe, „[…] in seinem eigenen Zimmer sei nichts mehr außer dem Francis Bacon, den Bacon aber verkaufe er nicht, er trenne sich niemals mehr von dem Bild.“ (S. 73) Podszun ist hier einem Trugschluß erlegen, wenn er das Bild als Porträt des englischen Empiristen interpretiert. Es handelt sich wohl um ein Bild des zeitgenössischen englischen Malers Francis Bacon, der seit den 60er Jahren bereits international bekannt war und dessen Werk Bernhard (wie sein Freund Wieland Schmied bezeugt) schätzte. Die theoretischen Parallelen zwischen Konrad und dem Philosophen Bacon sind – aufgrund eines Mißverständnisses – einfach überzogen.

Dennoch ist Podszuns Buch ein wichtiger Beitrag zum Verständnis der Bernhardschen Prosa. Zentral ist darin das Studien-Motiv, weil es zugleich für den Text selber konstitutiv wird. Der Text über die Studie wird zur Studie über den Text. Die Unmöglichkeit einer endgültigen Niederschrift wird thematisch aufgegriffen und im Text selber umgesetzt. „Korrektur der Korrektur der Korrektur der Korrektur, so Roithamer“.

Johannes Frederik G. Podszun Untersuchungen zum Prosawerk Thomas Bernhards
Die Studie und der Geistesmensch. Entwicklungstendenzen in der literarischen Verarbeitung eines Grundmotivs.
Frankfurt am Main u. a.: Lang, 1998.
Gießener Arbeiten zur Neueren Deutschen Literatur und Literaturwissenschaft Bd. 20.
175 S.; brosch.
ISBN 3-631-33979-8.

Rezension vom 16.02.1999

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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