#Prosa

Unter Wasser

Susanne Gregor

// Rezension von Beatrice Simonsen

In ihrem neuen Erzählband Unter Wasser knüpft Susanne Gregor mit verschiedenen Spielarten gescheiterter Beziehungen an ihre beiden ersten Romane „Kein eigener Ort“ und „Territorien“ an. Spätestens nach der zweiten der acht versammelten Erzählungen weiß man, dass keine der dargestellten Beziehungen eine glückliche sein wird. In diesem Ton erzählt niemand von Glück. Präzise und nüchtern werden Situationen dargelegt, Emotionen eingefroren. Es erscheint widersprüchlich, dass trotz der Klarheit so vieles im Unklaren bleibt. Aber genau das macht die Kunstfertigkeit der Autorin aus – in aller Deutlichkeit ihren LeserInnen einen Spielraum der Fantasie zuzugestehen.

In acht Beziehungen läuft ab einem gewissen Zeitpunkt etwas schief und manchmal gleich von Beginn an. Natürlich lässt sich im Vornherein nicht sagen, ob gerade jener, den man eben durch Zufall auf einem Fest, auf Reisen oder sonstwo kennengelernt hat, wirklich zum eigenen Leben passt. Nur die Erfahrung lässt einen klüger werden. „Phil hatte ich auf einem Fest kennengelernt …“ (19) „Paul hat sich in mein Leben geschlichen …“ (27) „Noch habe ich mein gewohntes Leben, noch kann ich ganz leicht so tun, als hätte ich ihn nie getroffen.“ (81) „Ron verstand nicht. Wie, trennen, was meinst du?“ (16) „Dann bitte ich ihn, anzuhalten, steige zwei Straßen früher aus, schlage die Tür zu.“ (64) „Er fehlte mir ein paar Wochen lang, dann ließ das Gefühl nach.“ (70) Mit diesen mutwillig aus verschiedenen Erzählungen herausgerissenen Sätzen lässt sich der Inhalt jeder einzelnen Geschichte – so unterschiedlich sie sind – im Zeitraffer zusammenfassen.

Ein bedeutsamer Parameter für den Grad einer Beziehung ist der Einzug in die Wohnung des neuen Partners. Er gibt das Naheverhältnis an, das man bereit ist, einzugehen. Erträgt man die fremden Schuhe im eigenen Vorzimmer und die eigene Zahnbürste im fremden Badezimmer? Und wie fühlt es sich an, wenn diese Gegenstände wieder eingepackt und abtransportiert werden? Diese Vermischung von Mein und Dein, die Vermengung in ein Wir, das Aneinander gewöhnen birgt für beinahe alle Ich-Erzählerinnen eine Gefahr. Sie sind von einem auffälligen Misstrauen gegenüber den potentiellen Partnern beherrscht. Das geht soweit, dass sie Taschen und Schränke durchwühlen und in den Notizheften nach Intimitäten suchen. Ist es, weil sie sich mehr Ehrlichkeit wünschen oder um sich gegen eine drohende Gefahr zu wappnen? Lügen sind auf beiden Seiten üblich, Vertrauen ist demnach Mangelware und Distanz sehr oft erwünscht. Dann wieder wird die Distanz sehr schnell von einer engen Nähe abgelöst, die aber nicht automatisch von innerer Nähe begleitet wird. Die Emotion ist ein unsicherer Boden, auf dem alles ins Rutschen kommt – es scheint so, als ob die kühle, vernunftbetonte Sprache vor dem totalen Absturz bewahren soll. Silvia Plath lässt grüßen: „I shut my eyes and all the world drops dead. (I think I made you up inside my head.)“ steht als Zitat den Erzählungen voran.

Leserin und Ich-Erzählerin sitzen im selben Boot: Wir machen uns ein Bild vom Anderen, den wir manchmal begehren, dem wir aber trotzdem nicht nahekommen (wollen). So lassen wir ihn fallen und machen uns auf zur nächsten Begegnung. Immer bleibt nur eine Art von Ahnung, was Phil in dem verschlossenen Zimmer verbirgt, welche Rolle Bernd in Wahrheit für Leo spielt, warum Jonas nicht auf das Angebot von Vera reagiert. Wir wissen es nicht, aber wir ahnen es. Mit kurzen beschreibenden Sätzen erreicht Susanne Gregor eine Unmittelbarkeit des Geschehens, das darin mündet, uns die letztliche Unantastbarkeit des Anderen vor Augen zu führen. Nie liegt das Wesen des Anderen wie ein offenes Buch vor uns, immer ist da diese letzte Unberechenbarkeit – wie im eigentlichen Leben. Vertrauen in sich selbst oder in den anderen, das ist der blinde Fleck in diesen Beziehungen, die nie eine echte Erfüllung finden.

Nur die Titelgeschichte Unter Wasser kommt dem Glück noch am nächsten. In ganz zarten Schritten wird das übliche Misstrauen verdrängt, Vertrauen gestärkt: „Ich sah an die Decke und dachte an den Tag, als Paul mich ins Wasser gezogen hatte. Wie er unter Wasser nach mir griff, mich an die Oberfläche führte. An das Brennen meiner Augen in der Sonne.“ (41) Zuneigung macht sich breit, Liebe vielleicht – nur um diesmal vom Zufall namens Schicksal zerstört zu werden. Nie aufgeregt, immer sachlich führt die Autorin ihre Figuren durch ihre kurze gemeinsame Geschichte. Auch wenn sie hier ein Bild des Vertrauens zu erwecken sucht, alles ist doch so, als würden diese Figuren nie an die Wasseroberfläche gelangen: Mit verlangsamten Bewegungen rudern sie gegen die zähe Widerstandskraft des Fluidums, das ihnen zwar den scharfen Blick gewährt, aber den einander zugerufenen Worten ihre Kraft nimmt.

Susanne Gregor Unter Wasser
Erzählungen.
Graz: Droschl, 2018.
120 S.; geb.
ISBN 978-3-99059-014-0.

Rezension vom 13.02.2018

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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