#Prosa

Unter Jägern

Bettina Balàka

// Rezension von Martin Reiterer

Von Subtextschichten durchzogen, von einem verzauberten Schleier überzogen kommen Bettina Balàkas Erzählungen daher, bald mit leiser Ironie, bald als unüberhörbare Parodien.

In der Tat ist die Spannweite der sieben (großteils bereits zwischen 1998 und 2002 in Literaturzeitschriften veröffentlichten) Prosatexte erstaunlich, was sich insbesondere an ihren extrem unterschiedlichen Geschwindigkeiten ermessen lässt. Die Sätze in „Barbara erwacht“ oder „Weg auf Steinen“ etwa bewegen sich wie Tausendfüßler in Zeitlupe, die auf das Zusammenspiel ihrer Buchstabenfüße genauestens zu achten scheinen. Während im Vergleich dazu der Text „Als ich Mutter wurde“ wie aus einer ständigen inneren Beschleunigung heraus geschrieben wirkt und sich äußerlich geradezu einem Telegrammstil annähert. Tempo und Kürze kommen hier einander entgegen. Auch das Mittel der Ironie erhält dabei erwartungsgemäß ein je unterschiedliches Gesicht. Mit der gesteigerten Geschwindigkeit wird dieses markanter, knochiger. Verbindend sind dann aber noch immer die surrealistischen Elemente, die Balàka gezielt einsetzt und die ihre Texte mitunter in einen plötzlichen Wirbel versetzen. Zuweilen gibt es auch ein leichtes Abdriften ins Absurd-Groteske, wie in „Die Wohnung“, einer ausnahmsweise eher schwachen Erzählung des Bandes. „Die Ruine, das Tor, der Schlüssel und das Schloß“ wiederum verknüpft auf subtile parodistische Weise Töne der gothic novels mit einem surrealen Oberton.

Zu sagen, die Protagonistinnen von Balàkas Erzählungen seien Frauen, bedeutet wenig, denn im Zentrum stehen zumeist, regelrecht nach Versuchsanordnungen ausgerichtet, deren Wahrnehmungen, Beobachtungen. Alle Erinnerung, alle Gewöhnung abgeschüttelt, erwacht Barbara (in „Barbara erwacht“, eine der besten Erzählungen des Bandes). Der Schlaf, die Nacht hat alle Verbindungen, Kontinuitäten entzwei geschnitten. Oder war es das Erwachen? Alle an- und hingenommenen Zusammenhänge scheinen aufgelöst, in ihre Bestandteile zerlegt. Handelt es sich vielleicht um traumartige Zusammenhänge, traumatische Verknüpfungen? Es sind möglichst kleine Einheiten, die Barbara (an)erkennt, wahrnimmt und annimmt. Es ist die Gewissheit der eigenen Sinne, auf die sie sich verlässt. „Was bleibt, ist der eigene Körper“, lautet die Prämisse dieser Versuchsandordnung, auf die der Text immer wieder zurückkommt. „Ein Herz, das dahinkrabbelt wie eine am Handschuh abgeschnittene Hand. […] Dann die Brüste: wie mit Wasser gefüllte Säckchen so prall. […] Dann das Gehirn, von dem sie nicht weiß wie es aussieht, das aber ebenfalls schwimmt […]. Dann die Zehen […]. Dann der Rücken, […] der Nabel […]“ (18), usf. Doch schließlich geht es um eine schrumpfende Gewissheit, um eine Form des Zweifelns, die selbst vor solchen scheinbar unhintergehbaren Einheiten nicht halt macht. „Einmal. Es war einmal bedeutet Einmaligkeit.“ (12) Jedoch selbst das Einmalige der Ereignisse ist nicht bedingungslos einmalig, reiht es sich doch gleichzeitig in das Einerlei der Ereignisse ein, „die Ähnlichkeit vieler Morgen ist groß, wie die Wohnungsgrundrisse“ (12) der wechselnden Wohnungen, in denen Barbara erwacht. Die Entkoppelung angenommener Zusammenhänge lässt sich noch steigern: „Vielleicht wird auch alles noch schlimmer, und meine Zeit schrumpft, und ich kann nur noch eine Stunde lang durchgehend denken. Dann beginnt schon die nächste Stunde, am nächsten Ort. Kein Zusammenhang. Stündlich neue Gesichter, fremde Gesichter, fremde Hände, bis auch die Stunde zu kleinen Einheiten schrumpft. Der Blitz einer Wohnung! Der Blitz eines Tals! So aufschreckend jeder Moment. Nicht einmal mehr ein Kartenspiel wäre möglich […].“ (20) Es ist die Ironie, die zuletzt solchen fortschreitenden Auflösungen entgegenwirken kann. Und das ist durchaus folgerichtig, denn die Ironie entfernt zwar die Zweifel, rückt sie in die Ferne, löscht sie aber nicht aus. Vielmehr ist es charakteristisch für diese Erzählungen und ihre Protagonistinnen, dass sie sich einen Freiraum schaffen, einen Hof um sich herum, in dem sich ihre Wahrnehmungen und Beobachtungen vorerst in der Schwebe halten. Dadurch gewinnen die Figuren selbst an Handlungs-, vorerst jedoch an Reflexionsspielraum. Angelegt ist dieser in der sprachlichen wie strukturellen Vielschichtigkeit der Texte. Statt linear auf ein Erzählende hinzusteuern setzen sie, montageartig, immer wieder ab. Absatzweise schaffen sie – auch für den/die LeserIn – eine Vielfalt an Einsatz- und Anhaltspunkten. Immer aber steht auch ein gerüttelt Maß an Ironie – an feiner Ironie – bereit.

In der Erzählung „Sehen, berühren“ erscheinen die winterlich eingefrorenen Dinge und Ereignisse rund um den geschlossenen Seegasthof, als würde sie Karin, die Hauptfigur, mit ihren Händen sehen oder mit ihren Augen berühren. Von Zeit zu Zeit schließt sie ihre Augen: Durch die Berührungen ihrer Hand gelenkt und gleichsam unter dem Schutz ihrer Augenlider wird ein inneres und erinnerndes Sehen angeregt. Die Außenwelt wird unter einem inneren Sehwinkel heraus neu konstruiert, mit Bildern und Erinnerungen neu zusammengesetzt. Wiederum ist der Körper ein Ort der Vergewisserung und der Intensivierung der Wahrnehmungen. Karin streicht mit der Hand über das See-Eis: „Es sträubte sich, als Karin darüberstrich, stellte Splitter auf, stechend wie Glasstaub.“ (31) Der leiseste Schmerz scheint der klarste zu sein. Eine feine Schicht stechenden Glasstaubs zieht sich durch die Erzählung, die im winterlichen Außerhalb und vor der schleichenden Ankunft der neuen Tourismussaison zugleich eine verhaltene Liebesgeschichte beschreibt.

Als LeserIn fragt man sich, wo denn hier die Jagdgesellschaft ist? Auch wenn am Ende von „Sehen, berühren“ ein Raubvogel den Auftakt zur neuen Saison zu geben scheint („Ein Schrei war zu hören, ein Raubvogel, am Waldrand sprühten die Federn.“ 40), das vermag den/die LeserIn nur umso irritierender an den Titel des Bandes zu erinnern: Der Titel Unter Jägern wirkt wie eine Faust aufs Auge, irreführend und zu grobkörnig, um all die Erzählungen darunter zu subsumieren, mag er auch für die Titelgeschichte passen. In dieser Erzählung findet sich die Protagonistin, Carla, plötzlich und doch am Ende einer Kette von beziehungslösenden Ereignissen, jenseits der Stadt, zwischen Idylle und Wildnis, in einem Jägerdorf. Von Hannibal, mit dem sie sich soeben „zusammengeliebt“ hatte, hat sie sich soeben wieder getrennt, nachdem sogar ihre Versuche gescheitert sind, seinem Programm („Hannibals Handbuch“) gemäß mit ihm in einem Verhältnis zu leben. Als Frau alleine in einem Jagd- und Bergdorf wird ihr nahegelegt, sich einen Jäger zum Mann zu nehmen, der sie auf „die gefährlichen Schußzeiten“ aufmerksam machen würde, oder nach Vorbild eines der volkstümlichen Mythen selbst als rasende Reiterin bei der „Wilden Jagd“ mitzutreiben. Denn „Schonzeit“ ist keine vorgesehen. Freilich, den Hintergrund für solche radikalen Zuspitzungen bildet ein dichtes Netz von alltäglichen, aber wirksamen Beziehungen, Mütter-, Männer-, Familienbeziehungen. Doch sie erscheinen hier allesamt eingetaucht in jenes eigentümliche, surreale Licht.

Bettina Balàka Unter Jägern
Erzählungen.
Graz, Wien: Droschl, 2002.
144 S.; geb.
ISBN 3-85420-610-0.

Rezension vom 01.10.2002

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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