#Lyrik

unter einem himmel

Stephan Eibel

// Rezension von Erkan Osmanovic

Lachen, Staunen, Tun.

„bestens geschlafen / gestreckt, gereckt / nass rasiert / heut passierts“ Diese Worte geben die Richtung des Gedichtbandes von Stephan Eibel Erzberg vor. Der eigene Körper, sein Innenleben, unsere Gefühle und die Politik. Das alles beobachtet Erzberg und verpackt es in Lyrik – die in einem markanten Tonfall daher kommt.

Mit einer imponierenden Tatkraft nimmt er uns mit in seine Alltagsbeobachtungen. Er startet voller Schwung in den Abschnitt Frühling. Und gibt gleich zu Beginn mit verkündung (an meine töchter) eine Warnung in Richtung leichtfertiger Liebe aus: „zieht nicht gleich an jedem joint / es ist nicht alles gut / was brennt / glaubt nicht bei jedem / er käme aus uppsala / wegen des lauten trallala / ihr werdet euch verrennen, verbrennen / und dabei vergesst bitte nicht: / liebeskummer ist keine pflicht“. Die Verse machen es deutlich: Erzberg will keine meterhohen Sprachwerke erschaffen, sondern holt seine Beobachtungen auf den Boden der Sprache.

Auf diesem Untergrund kommt nicht nur die Liebe zum Stehen, sondern auch die Politik. Unter dem Titel primitive konservative holt der Dichter zum Schlag gegen das konservative Österreich aus und verpackt seine Abneigung in einen lockeren Reim: „lasst das frühjahr rocken / und propagandisten schocken / dichten wir uns ein lustigsein / und trinken dazu roten wein“. Erst die letzte Strophe bricht das Schema auf und mit ihm die Fassade jener Partei: „und niemand erhört das geplärre / der partei für milliardäre: / geld ist ein naturgesetz der welt!“ Der 1953 in Eisenerz geborene Wahlwiener Stephan Eibel, der Zusatz „Erzberg“ ist Teil seines Künstlernamens, nimmt in seinem Gedichtband unter einem himmel kein Blatt vor den Mund. Trotz seiner impulsiven Zeilen verwehrt er sich dem allzu Plakativen.

Die hitzige Stimmung erhöht sich im Abschnitt Sommer auf ein neues Niveau. Dabei setzt Erzberg die Leidenschaft auf formaler Ebene um, indem er die bande der liebe III mit einer 14-zeiligen zweiten Strophe bestückt. Der Akt des Küssens wird so zum Mantra eines schwankenden Europas: „ein pole küsst einen slowaken / eine französin küsst eine bulgarin / eine schwedin küsst eine spanierin / ein lette küsst eine einen deutschen […] / eine litauerin küsst einen luxemburger / eine niederländerin küsst einen israeli“. Die Schlusszeile löst jeglichen Anflug von Kitsch auf und kommt einem Kinderausspruch gleich: „wer sich küsst / ist fix zsamm“

Die Liebe hat auch im Herbst noch ihren ein oder anderen Auftritt, wird aber verdrängt von Zerfall und Krieg. Der Fokus wird verschoben: weg vom Innenleben hin zum Körper. In chemo / (für alle plus prof. zielinski) wird nicht nur der Inhalt, sondern auch die Form direkter. Erzberg gebraucht den Imperativ mitsamt Umgangssprache gekonnt: „schmiers dir / schmiers dir in die hoar / dein: sei kein noar / schmiers dir / schmiers dir einfach in die hoar / dein: leben ist immer wunderbar / schmiers dir / schmiers dir einfach in die hoar / dein: alle männer brunzen aus einem rohr“. Mit dem letzten Vers entlädt Erzberg den Hass eines kranken Mannes und gibt auch so etwas wie Mitleid einen Raum: „schmiers dir / schmiers dir in die hoar / dein: alles net woahr“

Im Winter müssen sich die Leserin und der Leser schließlich auch dem Zerfall der restlichen Welt stellen. Der österreichische Blick trifft auf das Weltgeschehen: Krieg und Flucht finden ihren Weg in die Zeilen Erzbergs. Zuweilen verzichtet er auf den Klang eines Reims, um dem Inhalt mehr Platz zu geben. In einheimisch zerrt er die Österreicher und Österreicherinnen vor den Spiegel der Geschichte und fordert sie zum Handeln auf: „damals wurden grenzen / dichtgemacht / einheimische warfen / babys an die wand / weil die zeit damals so war / heut verlangen einheimische: / grenzen dichtmachen / weil es zeit sei“. Und doch zeigt er mit warum auch seinen geschickten Umgang mit dem klassischen Reimformen, ohne dabei seine Kritik an der Gesellschaft zu vergessen: „warum und / weshalb / ist im warmen / vielen kalt / warum und / weshalb / sind im warmen / viele eiskalt“.

Am Ende der lyrischen Reise sieht man das Leben tatsächlich anders. Man hat in kurzer Zeit eine Unmenge miterlebt – angefangen bei den Gebrechen des Alters hin zu den Verbrechen der Politik. Egal was es ist, Erzberg bannt es durch seine Worte auf Papier, macht es spürbarer. Dabei schafft er es die Leserin und den Leser durch seine präzise Schnoddrigkeit zu begeistern und bis in die feine Unterwäsche ihres Bewusstseins vorzudringen.

Stephan Eibel (Erzberg) unter einem himmel
Gedichte.
Mit einem Nachwort von Franz Schuh.
Innsbruck: Limbus, 2016.
120 S.; geb.
ISBN 978-3-99039-089-4.

Rezension vom 07.10.2016

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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