Das Buch ist in fünf Teile gegliedert: eine Wanderung durch Theresienstadt nach einem Manuskript von Hugo Friedmann, das in Yad Vashem gefunden wurde, eine Darstellung der offiziell gestatteten „Freizeitgestaltung“, mit den zuständigen Leitern für Theater, Literatur, Vortragswesen, Instrumentalmusik, Kaffeehausmusik etc. bis hin zu Basketball und Tischtennis (47). Es folgen achtzehn Porträts von ermordeten Vortragenden, elf Interviews mit Vortragenden, die überlebt haben, und schließlich ein Lexikon mit den Titeln der 2 309 Vorträge und Kurzbiographien der 489 Vortragenden. Einzig ein Gesamtregister wäre ein Desiderat gewesen.
Leo Baeck notierte, daß das kulturelle Leben das einzige Phänomen sei, „das uns wieder zu Menschen machte.“ (54) Zu den Überlebensmechanismen gehörte auch die Vorstellung eines Lebens nach dem Lager, der bereits erwähnte Klaus Scheurenberg berichtete auch, wie er in einer Gruppe von jungen Leuten wie besessen Englisch lernte. (136) Für Kinder und Jugendliche wurde ein umfangreiches Programm entwickelt und inzwischen sind viele Gedichte und Zeichnungen der Theresienstädter Kinder veröffentlicht worden. Die Musik der nach Theresienstadt und Auschwitz deportierten und ermordeten Komponisten wie Pavel Haas, Gideon Klein, Hans Krása und Viktor Ullmann wird inzwischen aufgeführt. Aber diese Vortragstexte waren kaum bekannt, etwa 80 der Vorträge, die halbverhungerte Intellektuelle dem halbverhungertem Publikum hielten, konnten gefunden und hier bekanntgemacht werden. Den Hunger vergessen, die Jugend auf ein eventuelles Leben nach dem Lager vorbereiten und überleben, überleben, überleben. Dazu kam es in den meisten Fällen gar nicht, aber allein die Hoffnung half. Greifen wir hier drei Frauenschicksale exemplarisch aus dem Band heraus.
Friedel Dicker-Brandeis (1898-1944), der Bauhaus-Schülerin und verehrten Zeichenlehrerin der Theresienstädter Kinder, ist inzwischen mehr Aufmerksamkeit zuteil geworden, eine Ausstellung zu ihrem Leben und Schaffen wurde am 14. November 2000 im Pariser Museum für Kunst und Geschichte der Juden eröffnet. [Anm. 1] Sie hielt 1943 Vorträge über Kinderzeichnungen (152, 382) und notierte auf einer Postkarte, wie viele interessante Leute in Theresienstadt seien, wenn man nicht immer Angst vor der Deportation haben müßte. Ihre Angst war berechtigt, am 6. Oktober 1944 wurde sie nach Auschwitz deportiert und ermordet. Von Regina Jonas, der ersten weiblichen Rabbinerin, sind 44 Vortragstitel verzeichnet. (96-101, 407) In der Neuausgabe ihres Buches Kann die Frau das rabbinische Amt bekleiden wird berichtet, wie sie zu den „Quartieren“ der Frauen ging und dort über jüdische Geschichte, jüdische Feiertage und Gebräuche zu sprechen. Oft schenkten sie ihr zum Dank eine Kruste Brot, die sie jedesmal ihrer Mutter zu essen gab. [Anm. 2] 44 Vortragstitel von ihr wurden gefunden (96-101, 407) Am 12. Oktober 1944, sechs Tage nach Friedl Dicker-Brandeis wurde sie, 42jährig, mit ihrer 68jährigen Mutter nach Auschwitz deportiert und ermordet. Sogar die erblindete Dramatikerin Elsa Bernstein (Pseudonym: Ernst Rosmer), die im „Prominentenhaus“ lebte, hielt zwei Vorträge in Theresienstadt über die beiden Säulen ihres Lebens, einmal ihren evangelischen Glauben, den sie in Theresienstadt, wo sie zwangsweise aufgrund ihrer Herkunft wieder zur Jüdin wurde, nicht aufgab und einmal über Peter Cornelius, Franz Liszt und Richard Wagner, deren Musik sie ihr Leben lang aufrecht erhalten hatte. [Anm. 3] Sie überlebte.
Dieses unglaubliche Monumentalwerk zeigt, welcher intellektueller Reichtum in Theresienstadt vorhanden war und zerstört wurde, aber auch wieviel Material in verschiedenen Archiven noch vorhanden ist und welches reiche Quellenmaterial über Verschollene in langer, mühseliger Arbeit noch ausgeschöpft werden kann.
Anm. 1: Newsletter Theresienstadt Martyrs Remembrance Association No. 50, Januar 2001, S.1.
Anm. 2: Fräulein Rabbiner Jonas, Kann die Frau das rabbinische Amt bekleiden? Hrsg. und kommentiert von Elisa Klapbeck, Hentrich und Hentrich Verlag Teetz 1999, S.76.
Anm. 3: Elsa Bernstein, Das Leben als Drama. Erinnerungen an Theresienstadt. Dortmund 1999 S.93.