Vor über 10 Jahren haben sich Setz, der für den Text verantwortlich zeichnet, und Karoline Kuttner, die die Zeichnungen dazu liefert, zusammengetan und gemeinsam diesen Comic geschaffen – in einer Zeit, in der die beiden als aktive Mitglieder des „offenen autorenkollektivs“ (heute wohl autor:innenkollektivs) „plattform“ die Grazer Literaturszene unsicher machten, in der Setz mit seinen ersten Publikationen bei Suhrkamp begann, richtig durchzustarten, und in der außerdem das Medium Comic unter dem Schlagwort ‚Graphic Novel‘ gerade salonfähig gemacht wurde. Viele Underground-Klassiker und Geheimtipps aus den USA, Japan und auch dem frankobelgischen Raum konnten im Zuge dieses kleinen Hypes erstmals ins Deutsche übersetzt werden und teilweise in renommierten Verlagen auf dem deutschsprachigen Buchmarkt erscheinen.
Einige dieser Klassiker klingen auch bei Setz und Kuttner an, allen voran Chris Wares Jimmy Corrigan, the Smartest Kid on Earth, das Setz an anderer Stelle als eines seiner absoluten Lieblingsbücher nennt. Nicht der Zeichenstil oder die (bei Ware überaus komplexe) Erzählform sind es, die an Jimmy Corrigan erinnern, sondern die behandelten Themen, ein Hang zum Surrealen und Absurden und vor allem die sanfte Seltsamkeit in der Gestaltung der Hauptfigur.
So stellt auch Unique mit seinem titelgebenden Protagonisten einen depressiven, jungen Außenseiter ins Zentrum, der als einsamer Sonderling mal mehr mal weniger erfolgreich mit den diversen Zumutungen seines Alltags ringt. Doch wo Ware zur breiten, generationenübergreifenden Erzählung ansetzt, bleiben Kuttner und Setz bei fragmentarischen Momentaufnahmen. Erzählt wird nach alter Comic-Tradition seriell – (fast) jede Seite stellt ein in sich geschlossenes Handlungselement dar, einen ‚Onepager‘, der sich an den nächsten reiht und sich so in einem losen narrativen Geflecht in der Gesamtheit des Comics zu einer Erzählung fügt. Dabei wird die Geschichte des anthropomorphen Einhorns Unique erzählt, der als letzter Europäer seiner Art ein trauriges Dasein in „Gradetz, der zweitgrößten Stadt des Landes“ fristet: Unique verliert seinen Job, wird von seiner Freundin verlassen, das ärztlich verschriebene Zaumzeug ist ihm eine unzumutbare Erniedrigung und zu allem Überfluss scheint sein Therapeut sich nicht seinen Problemen widmen zu wollen, sondern selbst ein Problem mit ihm zu haben: „Ich glaube, mein Therapeut hat Angst vor mir […] vor meinem Horn. Er schaut immer so komisch. Macht so Andeutungen.“ Das spitze Horn am Kopf, die Existenz als Einhorn, die eigene Einzigartigkeit, die schon im Namen der Figur steckt, sind es, die Unique am meisten zu schaffen machen. Ja, es ist scheiße, das letzte Einhorn Europas zu sein. Dabei ist Unique mit diesem Problem nicht gänzlich alleine, denn die Welt, die Kuttner und Setz hier schaffen, ist bevölkert von allerlei sonderbaren Existenzen und hybriden Tierwesen, die sich wöchentlich zu Gruppentherapiesitzungen in einer Selbsthilfegruppe für Einzigartige zusammenfinden. Doch auch in der Gruppe findet Unique nicht recht Anschluss. Erst als ein Lungenfisch – diese eigentlich nur mehr in wenigen Gebieten der Erde beheimatete Zwischenform zwischen Fisch und Amphibie besiedelt im Comic den städtischen Raum wie sonst Tauben – in Uniques Leben tritt, scheint sich dessen Leben von Grund auf zu verändern. In diesem seltsam unförmigen Fisch, der in einem Planschbecken auf Uniques Sofa sein neues Zuhause findet, hat das Einhorn endlich einen Freund, jemanden, der Zeit mit ihm verbringt und ihm vor allem zuhört, wenn er seinen oftmals verqueren Blick auf die Welt schildert. Während Unique sein Innerstes preisgibt, sagt der Fisch kein Wort, er blubbert nur vor sich hin, bildet Blasen vor seinem Mund, die Unique nicht zu deuten weiß, die er offensichtlich auch missversteht, sodass auch der Fisch irgendwann wieder aus Uniques Leben verschwindet.
Wie viele vor allem frühe Texte von Setz erzählt der Comic von einer offenbar unüberwindbaren fundamentalen Einsamkeit und den vielen Strategien, die Menschen (und Einhörner und Fische) sich schaffen, um damit umzugehen. Die Form des Comics ist dafür ideal gewählt, denn die Zeichnungen Kuttners unterstreichen die grundlegende Atmosphäre dieser seltsamen Erzählwelt, in der die Monotonie des kleinstädtischen Einhorn-Daseins in der Monochromie der Zeichnungen seine grafische Entsprechung findet. Die grafische Gestaltung bricht die Schwere der Thematik aber auch immer wieder auf – in der bizarren Detailliertheit der Hintergründe, die mehr als nur Kulissen bilden, und in den allgegenwärtigen Tierdarstellungen, einer Referenz auf die Gattungstradition der Funny Animal Comics, die Art Spiegelman schon in seinem epochemachenden Werk Maus zum wesentlichen Stilmittel machte. Heute kann man auf die Cartoons von Lisa Hanawalt und Raphael Bob-Waksberg (BoJack Horseman und Tuca & Bertie) sowie die Comics von Anna Haifisch (The Artist) verweisen, die sich ähnlicher ästhetischer Kniffe bedienen, um existenzielle Ängste, Depressionen und ganz allgemein Mental Health zu thematisieren. Besagte Serien und Strips haben heute gerade in dieser Verschränkung von Humor und Gravitas popkulturellen Kultstatus erreicht – sie träfen damit die besondere Verfasstheit der Generation Y, irgendwo zwischen Selbstironie und Weltschmerz, so der Tenor, wobei auch in Unique, mal leiser mal lauter, Kritik am Individualisierungsdruck unserer Zeit anklingt, dem mit sozialer Isolation und Einsamkeit gleich die eigene Kehrseite gegenüber gestellt wird. Gerade hier brillieren Setz und Kuttner, wenn sie darstellen, wie die fundamentale Beschränktheit der zwischenmenschlichen (oder speziesübergreifenden) Kommunikation nie deutlicher zutage tritt als in einer Gegenwart, in der der Möglichkeit des eigenen, individuellen Ausdrucks technisch wie gesellschaftlich nur mehr wenige Grenzen gesetzt sind. Aber was weiß man schon vom anderen? „Wie soll man wissen, ob man einem anderen Wesen etwas Gutes tut?“
Vielleicht waren Setz und Kuttner mit ihrem Comic also einfach ihrer Zeit voraus – ein möglicher Kultstatus sei ihnen jetzt jedenfalls vergönnt, denn in seinen besten Momenten ist der Comic ein spielerisches Erzählen in Episoden und Fragmenten, in dem Setz‘ frühes Talent für Dialoge und erzählerische Kleinformen durch den reduziert seltsamen Zeichenstil von Kuttner ideal komplementiert und komplettiert wird, zu einem tragikomischen Gesamtkunstwerk, das heute, nach zehn Jahren Wartezeit, vielleicht besser funktioniert als zum Zeitpunkt seines Entstehens.