#Prosa

ungescheiden

Heinz Pusitz

// Rezension von Martin Kubaczek

33 Versuche oder Frazer-Variationen.

Charmant, diskret, verschmitzt: So sitzt der Chronist in seiner Loggia und studiert Quellen, Urkunden, Fälschungen. Getarnt als Ethnologe schiebt er sich durch die Archive des Gedächtnisses der Stadt, durchblättert Chroniken und Tagebücher, sichtet Material, versucht Befragungen der Einwohner. Er macht sich ein Bild von Föhrenklippen herab auf die Stadt, historische Fakten werden mit Befragungen und Auskünften verglichen, Belege werden gefunden, Gerüchten wird nachgegangen.

„Ich nehme die mit Gedankenflüssigkeit untrennbar getränkten Fakten und leere sie durch ein Methodennetz.“ So steht es im „25. Versuch über Ungescheiden“, einem Stadtbrevier, das sowohl Chronologie wie Differenzierungsarbeit eines Archivars und Stadtwanderers darstellt: „Ungescheiden“ ist der alte Name eines Stadtviertels in Baden bei Wien, Herkunftsort auch des Erzählers, der den ethnologischen Blick auf die eigene Herkunft anwendet (darum auch der Untertitel: Frazers „Golden Bough“ ist ein Kanontext der Ethnologie). Der Erzähler streift durch die Stadt, sitzt auf Parkbänken, beobachtet kleine Fische mit roten Flossen im langsam treibenden Wasser, vergleicht sie mit den Ungescheidenern: Sie tauchen auf und verschwinden in der Zeit, „ändern die Richtung ihrer Erfahrung, berühren die Ufer und lassen sich treiben.“

In den 33 Skizzen wird aber auch die eigene Verortung des Erzählers sichtbar: Im Haus der Mutter findet er ein Bild, anhand dessen sich etwas aufschließt, ein Stein im Kellergemäuer könnte Teil einer Burg gewesen sein, aber in all dem Erkennen bleibt immer ein Rest von Uneinholbarkeit und Distanz. Während in den symbolischen Ordnungen Erstarrung gesehen wird, setzt der Erzähler dieser sein Imaginäres und Vorstellungsraum, Träume, Erinnerung, sinnliche Wahrnehmung und eine Feier der Präsenz entgegen: eingebettet in sonnigen Lacken finden sich bukolische Szenen auf den Föhrenhügeln, Momente der Aufnahme des unvermittelt Wahrnehmbaren: „der Duft nach Honig und Ungeschiedenem und der Wind“. „Ungescheiden“ ist so auch ein Plädoyer für die Lust von Anschauung und Sinnlichkeit.

Tatsächlich baut sich der Text aber aus vergnügten Paradoxien auf: „Ungescheiden“ als der Ort, der sich durch Nicht-Unterscheidung unterscheidet vom Rest der Welt, der Erzähler als Ethnologe, der seinen Heimatort als das Fremdeste begreift, Skepsis gegen die Sprache bei gleichzeitiger Feier ihres Zaubers und Forschen in ihrem verborgenen Wissen. „Ungescheiden lebt nicht von der Differenz“, heißt es da programmatisch, und entsprechend spielt der Erzähler mit sinnlicher Empirie und kognitivem Diskurs, indem er dem Begriff als Abgrenzungs- und Unterscheidungsinstrument lautliche Devianzen entgegenstellt oder alten Wörtern nachforscht, wie „“Weinfechsung“, und selber neue schafft: „Wohnheit“, „Klarung“, „verdeuten“.

Schnittstelle aber wird ein Traum, in dem der Erzähler und die Geliebte, nackt wie im Augenblick der Schöpfung, vor einem Altar stehen, während die kirchlichen Mauern rundum fallen, zwei Exemplare einer Gattung am Ursprungsmythos, die sich in Ungescheiden noch erhalten hat. „Im Badener Wappen sitzen sie getrennt zu einander“, in Ungescheiden aber berühren sich das Ich und das Nicht-Ich des Anderen, liegt die Emphase nicht auf Dualität, sondern auf Intervall, Zusammenklang von Zeichen oder Laut (und der kann durchaus spannungsvoll sein): „Statt Ungescheiden könnte auch Musik gesagt werden.“

Ungescheiden wird damit zum Ort eines Sowohl/Als auch, ist jeweils beides: Umriss und Karte, Biographie und angedeutete Erzählung einer Feier der Wirklichkeit: „Trunken feiern Ungescheidener die Sprache“, machen sie jenseits ihrer Verweis-, Benennungs- und Diskursfunktionen wieder in ihrer sinnlichen Qualität sichtbar. Getrud Steins Evidenz-Tautologie „a rose is a rose is a rose“, die letztlich eine Flucht vor dem kognitiven Hiatus darstellt, variiert Pusitz in einem Dreischritt vom Namen zum botanischen Begriff zur Klangqualität: „Der Huflattich ist ein Huflattich. Huflattich“.

Am Ende findet sich der Chronist im Kaffeehaus, an einem Ort des Ausstiegs aus Zeit. Dass dieses Café „Metternich“ heißt, mag nicht nur realiter seine Richtigkeit haben, es hat dies auch in Sinn symbolischer Ordnung: an die Stelle von Überwachung wird hier ein Bild gesetzt sowohl von Vertrautheit wie Vertrauen, oder Vertraulichkeit, wenn die Kellnerin an den Tisch tritt und es gibt eine Berührung am Arm: tröstend, präsent. Irgendwo zwischen den Erzählungen aus Kellers Seldwyla und Herzmanovskys Scheibbs ist damit auch Pusitz‘ Ungescheiden angesiedelt: als utopischer Ort, in dem das Närrische und die Liebe zusammenfinden. Sobald der Erzähler-Ethnologe dies zulässt, wird auch die positivistische Archivierung und Verwaltung des Toten zur versöhnlichen Erfahrung: „Leben, Leben musst du sehen elastisch (…) Das ist Ungescheidener Freiheit“.

Heins Pusitz ungescheiden
Forschungsbericht.
Wien: Labyrinth Verlag 2010.
80 S.; o.P.

Rezension vom 15.04.2010

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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