In seinem Roman Unerhörte Nachrichten verknüpft Christian Lorenz Müller geschickt Zeitgeschichtliches mit Einblicken in die Konstruktion von Mediendiskursen und dem ganz privaten Alltag seiner Figuren. Dabei hat er die Handlung in eine Parallelwelt versetzt, die der unseren in vielen Details zum Verwechseln ähnlich sieht … in einigen aber auch nicht. An so manchen Schräubchen hat der Autor gedreht, öffentliche Akteure ausgetauscht, internationale Rollen verschoben. In Deutschland gibt es keine Kanzlerin, stattdessen legt eine fiktive ungarische Präsidentin den Grundstein für eine humanitäre Kooperation zwischen Staaten der Europäischen Union und solchen, die es werden wollen. Dafür lädt sie ausgerechnet Lokaljournalist*innen aus vielen Teilen Europas ein. Womit wir wieder bei Ingo Prähausner wären.
Der Roman wird aus seiner Perspektive, und damit aus der Perspektive eines Redakteurs der Salzburger Neuesten Grätzelnachrichten erzählt. Während die Zeitung plötzlich im Mittelpunkt allgemeinen Interesses steht und sich dabei merkbar finanziell erholt, lebt sich die gehörlose Geflüchtete in seiner Wohnung ein, freundet sich mit seiner Tochter an und verliebt sich in seinen Kollegen (und vice versa). Es läuft also gut für die meisten Beteiligten. Nur Prähausner selbst, geschiedener Workaholic, lässt sich immer noch von Termin zu Termin treiben und geht dabei seinem Privatleben aus dem Weg. Bis ihn die Erinnerung einholt, in Gestalt der Karrierefrau und Femme fatale Marina, mit der ihn ein unrühmliches gemeinsam Erlebtes verbindet, bei einer auf Naivität gegründeten und gründlich schiefgegangenen Hilfsaktion in Bosnien in den 1990er Jahren.
Während Prähausner sich in der Gegenwart beruflich beinahe ohne sein Zutun saniert, versinkt er in einer Aufarbeitung des Vergangenen und beginnt einen Emanzipationsprozess. Er hört allmählich auf, sich in die Arbeit zu flüchten oder sich von Marina an der Nase herumführen zu lassen. Während er den Vorgängen in seiner Wohnung ihren Lauf lässt, nimmt er sein Leben nun sukzessive selbst in die Hand.
Der Roman ist dicht erzählt. Wahrnehmung und Erinnerung schichten sich neben- und ineinander, genauso wie politisches Geschehen und privates Erleben. Christian Lorenz Müller schildert teils in der dritten Person, teils lässt er seinen Protagonisten als Ich-Erzähler zu Wort kommen. Prähausners Erinnern ist ein Reflektieren des Erlebten, das Private ein Ausschnitt im Kleinen, der zeigt, wie es auch im Großen sein könnte. Eine Fantasie. Wie jene, die Prähausner umtreiben, wenn er über seine Ex und andere Frauen in seiner Umgebung nachdenkt. „Wir schaffen das“ bleibt unausgesprochen. Und doch schwebt es wie ein Mantra über dem ganzen Roman. Nicht nur dann, wenn es um Geflüchtete geht.