#Roman

Und nehmen was kommt

Ludwig Laher

// Rezension von Peter Landerl

Es ist keine schöne Geschichte, die Ludwig Laher in seinem neuen Roman Und nehmen was kommt erzählt. Von Monika, einer jungen Roma, berichtet er. In einer trostlosen Hütte in der Ostslowakei wird sie geboren, in einem Haus in einer österreichischen Bezirkshauptstadt endet der Roman mit einem vagen Happy-End. Dazwischen liegen 23 Lebensjahre voller Misshandlungen, Demütigungen und Enttäuschungen, dazwischen liegt ein 200-seitiger Gang durch die Hölle, die nicht so weit entfernt von uns, in Mitteleuropa, im Herzen der EU liegt.

Der Oberösterreicher Laher legt in seiner Literatur oft den Finger in politische oder soziale Wunden. Eben deshalb – und weil er ausgezeichnet schreiben kann – ist er ein wichtiger Autor der österreichischen Gegenwartsliteratur. Mit den Lebensweisen von Roma und Sinti hat er sich schon früher auseinandergesetzt, unter anderem hat er die ORF-Dokumentation „Sinti ob der Enns – wider die Zigeunerklischees“ gedreht, die in der Langfassung mit dem Titel „Ketani heißt miteinander“ auch in die Kinos gekommen ist. „Und nehmen was kommt“ ist der erste Teil einer Trilogie, für die Laher das Robert Musil-Stipendium zugesprochen wurde.

Trostlos ist die Nacherzählung der Handlung des Romans. In einer Romasiedlung in der Ostslowakei wächst Monika mit einer älteren behinderten Schwester und mit einem jüngeren Bruder auf. Der Vater ist ein Säufer, die Mutter, die kein Wort Romanes spricht, mit den Kindern überfordert, einzig die Großmutter ist der Lichtblick in Monikas Leben. Es fehlt an Liebe, es fehlt an Bildung und an Geld. Schließlich verlässt der Vater die Familie, worauf auch die Mutter zu trinken beginnt und in ihrer Ausweglosigkeit schließlich mit den Kindern als Haushälterin zu einem querschnittgelähmten Mann geht. Dort gibt es ein paar Hoffnungsschimmer, die ersten Schuhe, der erste Schultag, aber Monika wird von einem Verwandten missbraucht, die Mutter ermordet, ohne dass der Täter zur Rechenschaft gezogen wird. Monika kommt in ein Heim, sie ist verhaltensauffällig, denkt an Selbstmord, fügt sich Wunden zu, wird in eine geschlossene Anstalt eingewiesen, reißt aus, wird mit 18 entlassen. Da beginnt ihr Leidensweg aber erst, denn: „Kein Mensch aber in beiden Erziehungsanstalten findet es je der Mühe wert, die Mädchen vor dem scheinbar schnellen Geld auf dem Straßenstrich, in den Clubs und anderen einschlägigen Etablissements zu warnen, ihnen brauchbares Rüstzeug mitzugeben, der Außenwelt auf Augenhöhe begegnen zu können und nicht in die erstbesten Fallen zu tappen.“

Zwangsweise gerät Monika an die falschen Leute, tappt in die ihr gestellten Fallen, verliert ihr Geld, nimmt Drogen, hat kein Zuhause, landet am Straßenstrich, wird von Zuhältern halbtot geschlagen, wird verkauft, nimmt noch mehr Drogen, arbeitet in Bordellen, versucht, der negativen Spirale aus Drogen, Gewalt und Prostitution zu entkommen, muss jedoch immer wieder scheitern, weil es ihr eben an Wissen, Selbstbewusstsein und Selbstachtung fehlt. Am Ende ihres Leidenswegs aber steht Philipp, ein junger Österreicher, ehemaliger Schauspieler, der vom Aussteigen träumt und vom Taxifahren lebt. Er ist der schmale Strohhalm, an den sie sich klammert und mit dessen Hilfe sie schließlich den Ausstieg schafft.

Dass die zehn Millionen Roma in der EU, vor allem die in Osteuropa Lebenden, Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt sind, ist zwar immer wieder in Zeitungsartikeln zu lesen, auch Karl Markus Gauß hat in seinem viel beachteten Buch „Die Hundeesser von Svinia“ über die unerträgliche Situation der Roma in der Ostslowakei berichtet, von politischer Seite ist aber nicht viel zur Verbesserung der Lebensumstände der Roma und Sinti getan worden, Pläne, Projekte und Geld fehlen. Ludwig Laher schildert das Leben Monikas als täglichen Kampf. Er tut das auf nüchterne, distanzierte Weise, seine Erzählzeit ist das Präsens. Mitunter ist die Kette von Negativem schwer auszuhalten, Gewalt folgt auf Gewalt, der Leser erhält keine Pause, keine Erleichterung. In einem Interview mit den Oberösterreichischen Nachrichten meinte Laher: „Der Schriftsteller, jedenfalls einer wie ich, darf sich nicht zu sehr von seiner Geschichte vereinnahmen lassen. Ich erzähle mit authentischem Hintergrund, weil ich überzeugt bin, die wirklich spannenden Themen muss man nicht erfinden. Die Leserschaft soll mit ihnen bekannt gemacht werden, und zwar jenseits journalistischer Verkürzung und Zuspitzung, aber auch ohne ihr vorzugeben, wie sie zu reagieren hat.“

Während in den ersten vier Kapiteln Monikas Leben in protokollhaftem Stil erzählt wird (nirgendwo ein falscher Ton, niemals voyeuristisch), macht das fünfte und letzte Kapitel deutlich, dass Monika selbst ihre Geschichte dem Erzähler geschildert hat. „Länger als ein Jahr habe es gebraucht, erzählt Monika, bis sie die erste Nacht durchschlafen konnte.“ Dadurch bleibt Monikas Geschichte eben nicht „nur“ eine Geschichte, sondern wird dem Leser leibhaftig. „Und nehmen was kommt“ ist ein zweifellos hartes Buch, ein Roman mit vielen dunklen Seiten, der aber zuletzt – und das ist das schöne daran – eine Frau zeigt, die ihre langjährige, nicht selbst verschuldete Unmündigkeit überwindet, sich der Vergangenheit stellt und zu Selbstreflexion und Anklage fähig wird: „Monika steht auf und öffnet eine Dose Tierfutter, während sie laut darüber sinniert, wie zynisch es ihr vorkommt, daß Mädchen mit achtzehn ganz legal kommerziell verwendet werden dürfen. Die meisten sind immer noch Kinder, sagt Monika, und viele gehen kaputt. Mir kommt das so vor wie mit den jungen Soldaten, wenn sie achtzehn sind und in den Krieg geschickt werden.“

Ludwig Laher Und nehmen was kommt
Roman.
Innsbruck, Wien: Haymon, 2007.
206 S.; geb
ISBN 978-3-85218-530-9.

Rezension vom 11.04.2007

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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