#Prosa

und legte den atem beiseite

Josef Rieser

// Rezension von Matthias Köpf

Von „Heimat“ ist bei Josef Rieser nicht die Rede, nicht einmal kleingeschrieben – wie alles in und legte den atem beiseite. Und doch hat der 1961 ausgerechnet in einem steirischen Ort namens Obdach geborene Rieser mit seinem ersten größeren Prosatext eine Heimaterzählung vorgelegt: Eine recht heillose allerdings, in der Wärme und Geborgenheit kaum Platz finden und schon gar nicht von Dauer sein können.

Die hinkende Erna solle froh sein, eine Stelle als Küchenhilfe in einer Gastwirtschaft gefunden zu haben, so die Mutter. Doch die ersten drei Arbeitstage werden für sie zum Spießrutenlauf zwischen tyrannischer Herrschaft, mißgünstigen Kollegen, geilen Gästen und vor allem dem sadistischen Hausmeister Benn, der in ihr ein neues Opfer für seine Machtgelüste gefunden hat. Inzwischen dämmert auf einem schäbigen Dachboden der übel zugerichtete Paul dahin, den Erna Benns Zugriff entzogen hat und den sie sich als Last und Krücke zugleich vorstellt.

Diesen Paul läßt Rieser seine literarischen Grüße ausrichten: Im Delirium träumt er sich zum „friedhof der bitteren orangen, zuletzt noch gelesen den roman vom seppi winkler“. An Kafka erinnert, wenn sich Paul – der einzige Leser – in eine der ihn überkriechenden sprachlosen Wanzen verwandeln will: „einfach wanze sein, ohne bedeutung und mit ausgelöschtem wissen, einfach nur mehr durch und durch wanze.“

Doch um sie mit Kafka zu vergleichen, fehlt Riesers Erzählung die metaphysische Aufladung. Seine Abgründigkeit bleibt bodenständig, und das ist gut so: Rieser findet für diese Bodenständigkeit eine eigentümliche Sprache, die – umgangssprachlich und dialektgefärbt – ganz nah bei den Protagonisten bleibt und als Sprache eines Erzählers dennoch eine Distanz schafft, die über die Selbstreflexion der Figuren hinausweist. Nur manchmal unterläuft ihm dabei der eine oder andere Schnitzer, der Verwandten wie Ödön von Horvath oder Werner Schwab wohl nicht passiert wäre: Manche Neologismen (etwa „wegmaniküriker“ für Straßenarbeiter) oder innere Monologe („aber erna …. das wäre doch diebstahl.“) bleiben unplausibel und fallen aus dem sonst recht zwingenden Duktus.

Die Handlung selbst entwickelt sich zunächst mit bedrückend konsequenter Gemächlichkeit. Erst im letzten Drittel erfährt sie eine ungeahnte Beschleunigung, auf deren Höhepunkt – einer geradezu existenziellen Auseinandersetzung zwischen Erna und Benn – plötzlich für eine halbe Seite die Perspektive wechselt. Die eigentliche Katastrophe dagegen ereignet sich – zufällig und notwendig zugleich – fast wieder beiläufig.

Es ist die Ausweglosigkeit der ländlichen Verhältnisse, die Riesers unterdrückten Außenseitern letztlich zum Verhängnis wird. Seine Erzählung ist präzise, aber niemals kalt: Gerade wo er registriert, bleibt er fast lyrisch, und die einfühlsame Distanz seiner Sprache behält stets eine ganz eigene Qualität. Das Milieu, von dem er spricht, scheint Josef Rieser jedenfalls genau zu kennen. Ob er sein steirisches Obdach nun finden oder loswerden will: Vielleicht schreibt Rieser neben Dramen und Hörspielen noch den einen oder anderen Prosatext.

und legte den atem beiseite.
Erzählung.
Wien: Edition Selene, 1999.
100 Seiten, gebunden.
ISBN 3-85266-120-X.

Rezension vom 29.03.2000

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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