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…und Jesus war eine Frau

Elisabeth Schrattenholzer

// Rezension von Monika Maria Slunsky

…und Jesus war eine Frau lautet der leicht provokative Titel des Romans von Elisabeth Schrattenholzer. Das Buch ist jedoch nicht der Anstoß zu einer weiteren religiösen Debatte. Tatsächlich erzählt die österreichische Schriftstellerin eine Liebesgeschichte aus rein weiblicher Perspektive, in der sich die Heldin nach einer Enttäuschung selbst zu finden versucht. Kurz gesagt: es geht um die Ehre der Frau. Im Sinne einer Wiederherstellung dieser Ehre führt uns Elisabeth Schrattenholzer nicht nur geografisch von Wien ausgehend in eine 2000 Jahre alte Stadt nach Jordanien, sondern wir reisen gedanklich auch in jene Zeiten zurück, als es im Polytheismus noch Göttinnen gab.

Am Anfang des Liebesromans steht ein schwerer zwischenmenschlicher Vertrauensbruch, den die Ich-Erzählerin Petra durch ihren Partner Thomas erleidet. Dass er keinen Unterschied zwischen einem „One night Stand“ und einer Liebesnacht unter Liebenden erkennt, versetzt Petra in Sprachlosigkeit. Thomas sagt ihr, dass er sie liebt, während er gleichzeitig den gemeinsamen Liebesakt als „eine Nummer“ vollzieht. Von wütender Verzweiflung angetrieben, schreibt sich Petra ihre Enttäuschung in Briefen buchstäblich von der Seele und funktionalisiert das Schreiben für sich selbst zu einem Akt der Befreiung. Sie spart dabei nicht mit Vorwürfen, es geht, wie so oft zwischen Mann und Frau, um die Degradierung der Frau als Objekt der Begierde. Ob Thomas dies jemals lesen wird, bleibt offen.

Petra verfügt als studierte Germanistin gewiss über einen umfangreichen Wortschatz, dennoch muss sie für den Ausdruck ihrer höchstpersönlichen sexuellen Wünsche, Träume und Enttäuschungen nach Worten ringen. Umgangssprachliches wie „megageil“ kann diesen Zweck nicht erfüllen. Ein spezifisches, geradezu sinnliches Vokabular, wie es etwa für die Beschreibung von Haute-Cuisine Gerichten etabliert ist, scheint unauffindbar. Auf der Suche nach Antworten in der Literatur findet Petra Zuflucht in Werken ihres Lieblingsautors Ufre Sarduk. Sie rezipiert die Geschichte einer jungen Frau über das „erste Mal“ und ein Gedicht, das zumindest ansatzweise heftige Wollust auszudrücken vermag.

Eine Reise zu sich selbst erlebt Petra in der jordanischen Hauptstadt der Nabatäer, genannt Petra. Petra befindet sich also in Petra – so der ‚running gag‘. Neben dem Kennenlernen von einheimischen Bräuchen taucht Petra in die nabatäische Denkkultur ein. Sie muss dabei erfahren, dass Jesus eine Frau war. Unmissverständlich geht es aber nicht um die Darstellung Jesu als Mensch weiblichen Geschlechts, sondern um Göttinnen einer noch viel älteren Mythologie. Ursprünglich anbetungswürdig, sind sie nun aus unserem westlichen Denken verschwunden. Das Schlüsselwort Göttin zieht sich leitmotivisch durch den Liebesroman. Der Ausspruch „o Göttin“ existiert neben dem alltäglichen „o Gott“ nicht mehr gleichwertig. Diese „Göttinnenlosigkeit“ bietet Petra eine anfängliche Antwort auf ihre Frage nach einer Sprache für den Ausdruck weiblicher Lust.

Elisabeth Schrattenholzers Erzählstil zeichnet sich durch kurze Sätze, Gedankensprünge und zahlreiche rhetorische Fragen aus. Sowohl die Rahmengeschichte über die Liebesbeziehung zu Thomas als auch die Binnenerzählung der Jordanienreise werden in der Gegenwart erzählt. Wir nehmen unmittelbar an den Gedanken und Erlebnissen der Protagonistin teil und erfahren intime Details.

Mit ihren intertextuellen Verweisen auf ausgewählte Literatur unterstreicht Elisabeth Schrattenholzer den germanistischen Aspekt des Romans. Gelungen erzählt sie von Sprachlosigkeit und der Ohnmacht gegenüber dem Fehlen einer spezifischen Sprache, um individuell weibliche Lust auszudrücken. Ihr Stil ist modern und punktuell von umgangssprachlichen Worten wie „gecheckt“ oder „groggy“ geprägt. Ein zeitweise sarkastischer Unterton zeigt sich in Fragen wie: „Betet Europa denn Cola-Dosen an?“ Neologismen wie „Nachdenkkaugummigeschichten“ oder „Zauberprinzenmännlichkeit“ erheitern bei der Lektüre.

Da Elisabeth Schrattenholzer einige Jordanienreisen unternommen hat, zeugt der Reisebericht von Authentizität. Fantasie ist trotzdem gefragt, etwa wenn es gilt, sich gemeinsam mit der Protagonistin mittels „nabatäischem Leihgehirn“ drei verschiedene Religionen auf einem Bildschirm anzusehen.

Die eine oder andere Leserin wird sich gewiss mit der Heldin identifizieren und ihre Geschichte zur Selbstreflexion nutzen. Männliche Leser wiederum könnte die weibliche Perspektive auf Lust und Liebe interessieren.

…und Jesus war eine Frau.
Roman.
Wien: Septime, 2012.
203 Seiten, gebunden.
ISBN 978-3-902711-14-4.

Homepage der Autorin

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autorin

Rezension vom 18.10.2012

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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