#Prosa

Und essen werden wir die Katze

Nadine Kegele

// Rezension von Erkan Osmanovic

„Die Tragik unseres Landes, Freddy, die ist ja, dass wir nicht bloß aus dem Ausland überrannt werden, nicht bloß von außerhalb. Aber ich bin ein positiver Mensch. Ich habe trotz allem noch meine Hoffnung. Vor allem jetzt, Freddy, vor allem jetzt.“ In dem Monolog „Wolfen“ lässt sich eine ältere Ich-Erzählerin über all die angeblichen Ungereimtheiten Österreichs aus: Homosexuelle, Rumäninnen, Afghanen, Syrer, weiße Turnschuhe, Nasenbohrer – eigentlich alles. Doch es ist nicht nur Wut vor dem Unbekannten, die hier auftaucht, es ist auch Angst vor dem Bekannten. Nadine Kegele zeichnet in Und essen werden wir die Katze genau nach, was einen Menschen zum Menschen macht. Was sicher, was Angst, ja, was ein Leben zum Leben macht.

Bereits 2017 blickte sie mit Lieben muss man unfrisiert in die Biographien fremder Menschen. Neunzehn Frauen und Transgender-Personen im Alter von 16 bis 92 Jahren erzählen darin von sich und ihrem Leben. Nach diesem Interview-Band widmet sich Kegele in Und essen werden wir die Katze mit Erzählungen, Text-Bild-Collagen und Grafiken erneut Lebensgeschichten. Auf den ersten Blick drehen sich alle Texte um Heimat: Wo kann ich ich sein? Wo will ich ich sein? Auf den zweiten Blick verändert sich aber die Perspektive. Die Menschen werden facettenreicher. Die 1980 in Bludenz geborene, aber in Wien lebende Autorin zeigt, wie Literatur nach Identitäten fragen kann. Was macht einen Afghanen zum „Afghanen“? Und was ist mit „der Afghanin“? Kann sie etwas anderes sein als „die Afghanin“? Ist man immer nur eins? Oder nicht doch auch manchmal mehr als das – sind wir nicht alle eine Ansammlung von Eindrücken und Erfahrungen? Also immer auch einzigartig und doch vieles? Mit solchen Themen beschäftigt sich Nadine Kegele nicht nur als Schriftstellerin, sondern auch journalistisch in der Wiener Straßenzeitung Augustin und als Erwachsenenbildnerin an der Volkshochschule Wien. Vielleicht ist es auch diesem beruflichen Hintergrund zu verdanken, dass ihren Porträts die Gratwanderung zwischen erlebter Realität und literarischer Wirklichkeit gelingt.

In Albin erzählt Kegele die Geschichte des gleichnamigen Bauarbeiters, der mit seinem Schicksal hadert: „Wer einmal am Bau arbeitet, wird nie mehr richtig sauber. Wer nie mehr richtig sauber wird, wird irgendwas anderes als er selbst. Einen Bau kriegt man nicht aus sich raus. Der bleibt in einem drin und baut weiter. Unter den Nägeln wird gebaut. In den Nasenlöchern wird gebaut. In allen Ritzen der Haut. Da hilft kein gar nicht. Kein Schrubben, kein Schlafen, nichts. Die Zeit, als Albin sich dafür schämte, ist vorbei.“
Albin merkt, welche Grenzen sich in seinem Leben auftun. Warum? Weil er Bauarbeiter ist. Und einer vom Bau darf nur das sein, was man sich von ihm erwartet: Ein Arbeiter, der entweder über Frauen oder Arbeitsunfälle spricht. Doch Albin interessiert sich für Vögel, Kunst, er pflanzt Gemüse an, liest gerne, denkt nicht nur an die Arbeit. Sein Beruf ist nicht er. Auch wenn es ihm die Menschen nicht abnehmen.

Als er eines Tages am Fenster einen Eichelhäher erblickt und auf den Namen Kasimir tauft, bricht es aus ihm hinaus: „Lauthals lachen muss er über seinen neuen, gefiederten Mitbewohner. Und als das Lachen ihn schüttelt, schüttelt es ihn so durch, dass noch ein anderes Lachen aus ihm herausbricht. So laut lacht Albin darüber, dass ihm nachgesagt wird, er mit seinem Bau als Beruf und seinem Vogel als Haustier sei ein Bewohner einer sicherlich engen Welt. Mit niedriger Schulbildung, also wenigen Schuljahren. Mit nichts als Plump- und Grobheiten. Während so viele andre eine kulturelle Welt besäßen, eine Kultur, und das, das weiß Albin, wird benutzt als Erhöhungsbegriff. Klingt das zu intellektuell für einen Bauarbeiter? Kommt klar damit!“ Albin ist klar, was er ist, bestimmt nicht er. Nein. Das machen seine Kollegen, seine Eltern, seine Nachbarn, die Medien, die Politik, die Geschichte: „Albin denkt, so viele von seiner Art glauben diesem Befehl: einen lesenden Arbeiter gebe es nicht. Keine Wahrheit ist das, sondern ein Befehl. Kasimir nickt“

Jede Geschichte wird auch formal anders präsentiert. So verfolgen wir in Schmetterling und Holz zwei parallel verlaufende Lebensberichte in Ich-Form. Dabei zieht sich ein horizontaler roter Strich durch die Seitenmitte. Oben eine seit ihrem 16. Lebensjahr verheiratete afghanische Frau; unten spricht ein alleinstehender Geflüchteter. Beide verbindet die Flucht vor Gewalt und Tod. Und die Einsicht, dass auch im Westen Freiheiten erkämpft, aber auch erkauft werden müssen: „Mein Plan ist Scheidung. Aber er will nicht. »Suchst du einen anderen«, hat er gefragt. »Nein«, habe ich gesagt, »mir reicht ein Mann. Lass uns einfach in Ruhe« Ich muss Geld verdienen für die Scheidung und danach. Ich möchte den Hauptschulabschluss machen und arbeiten.“ Auch der Syrer will arbeiten, aber er will noch mehr. Das ganze Paket sozusagen: „Ich will Arbeit. Und Leben. Ich will heiraten und Kinder. Eine eigene Familie. Das wird schön.“ Davon hat die Frau allerdings schon genug – zumindest von einigen Überbleibseln ihres Lebens will sie sich verabschieden: „Ich mache das Kopftuch überhaupt immer weniger. Lockerer – bis irgendwann gar nicht mehr. Meine Tochter lasse ich keines tragen. Mein Mann sagt: »Noch drei Jahre, dann muss sie.« Meine Tochter sagt: »Nein!« Ich sage das auch. Und ihr Bruder sagt: »Sie muss nicht. Mama hat genug Kopftuch!« Wenn wir alle sagen, sie muss nicht, kann er nichts tun. Ich habe gesagt: »Das ist doch unfair!« Zum Beispiel trinkt er Alkohol und geht im Sommer fein mit kurzer Hose. Warum sollen Frauen alles zumachen, wenn sie das nicht selbst wollen? Er hat gesagt: »Das ist nicht unfair, das ist eure Aufgabe.« Ich habe gesagt: »Nein, nicht meine.«“

Im Text Syrien ist heimlich in Polen verliebt blicken wir in den Alltag einer Lehrerin, die geflüchteten Kindern Deutsch beibringt. Die Schülerinnen und Schüler tragen Namen wie Armenien, Afghanistan, Syrien, Kurdistan, Ukraine, Türkei, Polen und Ägypten. Sie streiten, spielen, lachen und lernen miteinander. Doch sie sind nicht nur Kinder. Ihnen haftet bereits das Erwachsene an. Es sind nicht nur die Erfahrungen der Flucht, die sie haben innerlich altern lassen, auch das Leben in Österreich zwingt sie (nicht nur für sich) Verantwortung zu übernehmen: „Kurdistan sagt: Ich brauche ein neues Blatt, mein Vater will auch lernen, und morgen bin ich mit ihm auf Termin. Du kommst morgen nicht? Nein, sagt Kurdistan, ich dolmetsche morgen bei Sozial. Du wirst fehlen, sage ich.“ Sie oszillieren zwischen zwei Welten. Auf der einen Seite ihre alte Heimat, auf der anderen Seite Österreich. Vielleicht ein neues Zuhause?

Nadine Kegele zeigt sich als aufmerksame Zuhörerin und großartige Erzählerin. Und essen werden wir die Katze schafft es, Figuren verschiedener kultureller und sozialer Herkunft trotz all dieser Unterschiede als Menschen zu präsentieren. Alle durch dieselben Sorgen, Hoffnungen und Wünsche vereint: Kann ich leben, wie ich will? Soll ich lieben, wen und wie ich will? Darf ich sprechen, wie ich will?

Nadine Kegele Und essen werden wir die Katze
Lebensgeschichten.
Wien: Kremayr & Scheriau, 2018.
208 S.; geb.
ISBN 978-3-218-01123-5.

Rezension vom 04.02.2019

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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