#Roman
#Debüt

Und am Ende stehlen wir Zitronen

Eva Lugbauer

// Rezension von Sabine Schuster

Wild sein! Verrucht sein! Frei sein! Zumindest im Traum fliegen können. Aber nein: Nicht einmal im Traum gelingt das Fliegen. Isa Erlinger fühlt sich gehemmt, gefangen und viel zu anständig. Doch steckt auch eine andere in ihr? In der Rolle der unbändigen Lou lügt sie sich zwischen berauschendem Hochgefühl und seelischer Düsternis durch die Nächte und gibt sich endlich ihrer Sehnsucht hin. Sich auflösen im schönsten Augenblick – und leben mit der Angst, den Boden zu verlieren.

Eva Lugbauer legt mit ihrem ersten Roman Und am Ende stehlen wir Zitronen nicht nur Tempo vor, sondern auch einen äußerst flotten, erfrischenden und sicheren Schreibstil, den die junge Niederösterreicherin – sie ist 1985 geboren und in Purgstall aufgewachsen – vielleicht in ihrer jahrelangen journalistischen Tätigkeit erproben und entwickeln konnte. 2015 war sie Finalistin beim FM4-Kurzgeschichtenwettbewerb „Wortlaut“, nun hat der Wiener Verlag Wortreich die Autorin entdeckt – gut so!
Im kleinen Prolog des Buches ist die Romanheldin Isa Erlinger drei oder vier Jahre alt und hat ihren Kopf unter Wasser, sie steckt kopfüber im Schwimmreifen und findet das schön: „Einen Fisch sah ich schwimmen, wenn ich mich recht erinnere. Und ich dachte mir, der Fisch hat es gut.“ (S.9) Isa wird von ihrem Vater gleich wieder zurechtgerückt – Beine ins Wasser, Kopf in die Luft – alles ganz harmlos. So harmlos wie das Leben in Unterfichten, das die Ich-Erzählerin zwanzig Jahre später führt – hier setzt der Roman ein und die kleine Undine aus dem Prolog steht scheinbar mit beiden Beinen fest auf dem ländlichen Boden. Sie ist Kindergärtnerin und ihr Freund Martin schenkt ihr zum Geburtstag einen Fallschirmsprung, das Maximum an Abenteuer, denn im Alltag stehen Hausbau und zwei oder drei Kinder auf dem Plan. Die Männer im Ort starren Isa auf die Brüste und nennen sie „süße Maus“, weil sie nicht mitlesen können, welche Gedanken gerade durch ihren Kopf rollen. Schade, denn das ist weit spannender als ihre propere Fassade:
„Gänsehaufen, dachte ich. Eine Gruppe Frauen stand um Sandra herum. Jägermeister kippen, hopp hopp, hurra. Nichts als ein Gänsehaufen, dachte ich noch einmal. Vierzehn oder fünfzehn Frauen waren es, die sich in Unterfichten versammelt hatten, um Sandras Polterabend zu feiern. Gänse im Dirndl. Ich, auch eine Gans im Dirndl, Sandra, eine Gans in Dirndl und Schleier. (…) Heiraten also, in diesem Alter bin ich jetzt, dachte ich. ‚Immer nur her mit dem Schnaps‘, sagte ich. Hopp hopp, hurra. Runter mit dem Jägermeister und rauf mit uns Gänsen auf den Anhänger.“ (S.11)
Dieser Ton ist es, der einen sofort in das Buch hineinzieht – hier spricht eine kraftvolle junge Frau, die sich mit viel Ironie selbst beim Leben zuschaut. Dieses läuft nach dem Heimatroman-Schema vor ihren Augen ab, während sie, wie Ingeborg Bachmanns „Undine“, jetzt bitte endlich gehen möchte: „Mein Ungeheuer mit Namen Martin. Ich sah Martin an. Er schnitzte Herzen in eine Wassermelone. Ich legte das Buch zur Seite und entwickelte Horrorvorstellungen. Der Ring, in der Wassermelone versteckt. Der Ring, bei einem Kuss in meinen Mund geschoben. Der Ring, über den Lautsprecher im Strandbad ausgerufen. Ich drehte mich auf den Rücken, verdeckte mein Gesicht mit dem Buch und stöpselte mir Musik in die Ohren. Valerie! In der Dauerschleife.“ (S.56f)
„Sich frei durch die Welt bewegen, wie eine Nixe im Wasser“, das ist Isas Traum, frei von jeder Todessehnsucht, während die „Haller-Hilda“, eine Frau aus dem Ort, mit einem Rucksack voller Steine ins Wasser geht (siehe Leseprobe). Isa schließt Freundschaft mit deren Nichte Zora, einer Journalistin aus Wien, und entdeckt beim Entrümpeln des Hauses Fotos und Notizen von Hildas Tochter Lou, die zehn Jahre zuvor bei einem rätselhaften Unfall verstorben ist und Isa auffallend ähnlich sieht. Nur: Lou war – anscheinend – mutig, aufregend, glamourös, hat das Leben bis zur Neige ausgekostet.
„Ich will mich auflösen im schönsten Augenblick“ ist nur einer der Lou-Sätze, die sich in Isas Kopf einnisten, sie regelrecht infizieren. „Sie war ausgebrochen, hinausgeschwommen in die Welt. Ich saß im Kaff, sie war per Autostopp durch Europa gefahren. Ich traute mich per Autostopp nicht einmal in den nächsten Ort. Sie war nach Rom gegangen. Ich hatte mein Au-pair Pläne verworfen. In meinem Alter hatte Lou längst neues Gebiet erobert, während ich noch immer wie eine engesperrte Undine in Unterfichten herumgammelte. Ach was, Undine! Eine Meerjungfrau war ich ja! Eine scheue, unschuldige, naive Meerjungfrau!“ (S.94)
Es fließen noch einige Schnäpse, bis die hin- und hergerissene Isa den Sprung wagt, Beziehung und Job hinter sich lässt und zu Zora nach Wien zieht.
Nun beginnt eine schonungslose Identitätssuche, die zunehmend einer Auflösung gleichkommt. Isa will Lou sein und trägt deren Kleider und Namen wie eine zweite Haut, um über sich selbst hinauszuwachsen, sie stürzt sich ins Nachtleben und in sexuelle Abenteuer. „Fallen“ und „Tauchen“ heißen die beiden Buchkapitel (nach „Stehen“ und „Springen“), in denen Isa den Kontakt zu sich verliert, beim Erzählen in die Du-Form wechselt, sich selbst im atemlosen Stakkato als „Frau Isa“ anspricht: „Die Augen aufmachen. Das Gesicht eines Mannes sehen. Wer ist das, Frau Isa? Welcher Mann? Reinhard? Das kann nicht wahr sein, Frau Isa, wo bist du? Weg hier, weg. Hinaus. Gehen. Durch finstere Straßen. Regen auf der Haut. Wie heißes Wasser. Am Körper, im Körper und rundherum. Alles brennt. Ein Brennen, so ein Brennen.“ (S.211)
Man will dieser Isa auf ihren Tauchgängen nicht überallhin folgen, auch ihre Sprache verliert hier an Kraft, und doch entkommt man dem Sog der Geschichte nicht. Erst langsam begreift sie, wie sehr ihr das Leben entgleitet, wie sehr es vielleicht auch Lou entglitten ist, bevor sie von den Klippen ins Meer gestürzt ist, oder gesprungen. Endlich dämmert es Isa: „Sich auflösen im schönsten Augenblick“ heißt sterben. Aber eigentlich wollte Isa fliegen, in Rom leben und Zitronen stehlen, nicht auf ihrem eigenen Grab tanzen.

Eva Lugbauers erstem Roman merkt man den Debutstatus nicht an, er ist vom Eingangszitat bis zum Epilog durchkomponiert, Undine schwimmt immer mit und begleitet als Motiv die Entwicklung der Heldin. Als Draufgabe gibt es ein schönes Cover und das Lektorat lässt ebenfalls keine Wünsche offen. Was nachhaltig im Kopf bleibt, sind Sprachklang und Musik. Der Text ist voller Vitalität, laut, unterlegt mit wummerden Bässen und den rauhen Stimmen von Amy Winehouse und Gianna Nannini, das programmatische Eingangszitat stammt von den Foo Fighters, aus „Learning To Fly“: „Run and tell all of the angels, this could take all night / Think I need a devil to help me get things right.“
Von dieser Autorin wird man sicher noch hören.

Eva Lugbauer Und am Ende stehlen wir Zitronen
Roman.
Wien: Verlag Wortreich, 2018.
256 S.; brosch.
ISBN 978-3-903091-41-2.

Rezension vom 28.05.2018

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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