Der Titel sagt es schon programmatisch: Das „Übermaß“ wird wie ein Vorhang auseinander geschoben, die Sicht wird frei auf ein beschreibendes „über maß“, es wird gezeigt, wie und wo die schnellen Schnellen schnellen. Ja, es lohnt sich und Christine Hubers Texte laden dazu ein, bei den Wörtern semantisch möglichst alle Bedeutungsebenen im Auge zu behalten und strukturell alle Wortartmöglichkeiten ins Auge zu fassen, wie es beispielsweise bei den Texten von Gertrude Stein erforderlich ist: Konversion, so nennt das die Linguistik und die Gedichte im vorliegenden Band sind vorzügliche literarische, lyrische Umsetzungen: KonVERSionen, Verdichtungen eben.
Um ein paar Themen zu nennen, die hier verdichtet werden, nur als Auswahl: Es geht um das Denken und seine Kategorien, Raum und Zeit („die schau in den raum seit zeit ist“ – S. 18), geraume Zeit, Geschichte somit („das lunten gibt sich wie geschichte“ – S. 61), Schichten, Stapeln, wir sind damit in der Warenwelt, der Prägung der Sprache durch Soll und Haben („etwas sagen und schon rabatt“ – S. 61), um das Ordnen („gedreht gedacht die schnitte ordnen“ – S. 50), das Einordnen in die oberflächliche Welt der Fanfaren und Slogans („offen schüren flirren / rings um muffen sprühen“ – S. 47), um das Mitlaufen im Takt („umtaktet“ – S. 5, „taktstock“ – S. 19), „vertaktet“ – S. 45), um Hierarchien („reden sagen auf ein oben“ – S. 53).
Syntaktisch wird verschoben und permutiert, was das Zeug hält, Wortbestandteile und Lettern werden vertauscht. Damit verlassen die Sätze auch das zeilenweise Vonlinksnachrechts, sie dehnen sich flächig aus, halten zum Kreuz- und Querlesen an, unterstützt durch die Zeilenbrüche, die ihrerseits an den Versen weitere Verzweigungen, Stränge und Fasern hinterlassen. Fasern, Strukturen, Bündel – diesen Eindruck vermitteln auch die ansprechend im Buch verteilten Lithografien der Autorin. Die Gedichte können nicht nur einzeln und für sich stehend gelesen werden, sie fügen sich fortlaufend zu einem Langgedicht zusammen, narrative Elemente an den Gedichtanfängen wie „und schließlich“ (S. 39) oder „denn“ (S. 47) legen das auch nahe. Sogar das Inhaltsverzeichnis kann als Gedicht gelesen werden.
„sprachliche übereinkünfte sind übereinkünfte, also veränderbar. auf jeden fall zu hinterfragen“, heißt es im Nachwort der Autorin (S. 63). Der Text enthält durchgehend Einladungen zur Hinterfragung sprachlicher Konventionen und kommt dabei zu vielen überraschenden Wendungen, er regt „zum stolpern“ (S. 64) an. „über maß und schnellen“ ist ein Festhalten und zugleich die Reflexion des Kommens zur Sprache. Dabei wird die musikalisch-rhythmische Ebene in gleicher Weise beachtet wie die visuelle: „das dem pausen ein ist ständig mit“ (S. 23) – ein Bild abpausen und Pause machen. Letzteres braucht es auch ab und zu mal, denn die Verse vermitteln viel Bewegung, Räume werden in Vorgänge aufgelöst.
In Christine Hubers neuem Lyrikband schnurren die Verse katzengewandt und führen dabei sehr präzise die Domestikation durch konventionalisierte Vor-Schriften vor. Nicht zuletzt sind sie Kunst aus Sprache und das ist über alle Maßen faszinierend.