#Lyrik

Trauer Träumen

Hans Raimund

// Rezension von Elisabeth Hemelmayr

Nun kann man natürlich so tun, als wäre da eine bruchlos durchgehaltene Traditionslinie zwischen einerseits hermetischer Poesie und fünfziger-Jahre-Naturdichtung und andererseits dem heutigen Stand der Dinge in der ‚res publica poetica‘. Man kann in Requisiten schwelgen, soviel man lustig ist. Symbolismen der Preislage ‚Sand’/’Asche’/’Vergänglichkeit‘ neu erfinden. Wenn man gut ist – und das ist Hans Raimund – hat das Ergebnis am Ende sogar Hand und Fuß: Bearbeitet glaubhaft Jetziges, Tatsächliches statt der Posen vorgestriger Statuen. Was man aber nicht kann, ist dies: Im Leser die Assozitionen/Erwartungen löschen, die an so einen ‚klassizistischen‘ Tonfall geknüpft sind; an Kunstsprache, die bei vollem Bewußtsein ihrer Kunstsprachlichkeit dieselbe nicht, aber schon gar nicht problematisiert.

Soweit mein erster Eindruck von Hans Raimunds Trauer Träumen. Lyrische Texte aus den Hochtrasser Heften. Man mag zugestehen, der Mann sei nicht irgendwer. Er zählt zu denen, die hierzulande noch wissen, daß es irgendwann für Lyrik Regel und nicht possierliche Ausnahme war, gereimt, stramm rhythmisiert und dergleichen zu sein; zu denen, die wissen, welchen Sinn das einmal hatte. Auch zu denen, die aus solchem Wissen schöpfen: Nicht bruchlos, aber doch ist er irgendwie mit den fernen Gevattern verbunden, wo wir Jungspunde die private Literaturgeschichte bei Brinkmann und Konsorten eröffnen.

Daß in dem Band wesentlich mehr getan wird als nur die alten Leiern wieder anzuschlagen, auf daß sie nicht verstauben, sei aber nicht verschwiegen. In sechs stringent verklammerten Kapiteln findet sich genug Auseinandersetzung mit folgenden Themen, um mich die nächsten paar Wochen zu beschäftigen: Trauer, der geschützte Raum der Trauer, der Traum vom Verlorenen, seine Untragbarkeit angesichts des Hier-und-Jetzt, Strategien des Erwachens, der Erinnerung, des Vergessens. Das Ganze wird einmal privat, einmal ‚öffentlich‘ angerichtet und durchaus nicht, ohne Zeitbezug herzustellen.

Trauer träumen zu lesen, das ähnelt dem Durchschreiten des in Teil I beschworenen, beschriebenen Streckhofes in Hochstrass, Raum für Raum. Nicht restlos kontemplativ ist es hier, aber definitiv abgeschieden, nicht in sich widerspruchsfrei oder gar ‚heil‘, aber dem Unterfangen des Bandes angemessen: Eine sehr spezielle Trauersituation zu überformen und auf das Ich zurückzuführen. Anders gesagt: Wir beobachten ein Ich, das sich – nicht zum ersten Mal – durch einen Trauerprozess peitscht, um ihn endlich ad acta legen zu können. In diesem ‚Hof der Trauer‘ ist natürlich nicht alles sogleich auf das zugrundeliegende Motiv bezogen: Verästelungen in die eine, Erforschungen gemeinsamer Nenner in die andere Richtung finden statt.

Da wäre etwa die genaue Klärung, die dem Begriff des ‚Hofes‘ widerfährt, eine Vorbedingung für das eigentliche Unterfangen, die sich als solche aber erst nach und nach erschließt. Ordentlich, man ist versucht zu sagen didaktisch weit holt Raimund aus.

Ein anderes Beispiel für das Ausgreifen der Trauer in alle Richtungen ist in dem vorhin verwendeten Schlagwort ‚Zeitbezug‘ festzumachen. Hier wäre es allerdings zu modifizieren in Richtung ‚Bewußsein der Geschichtlichkeit‘. Ein Textbündel, das von ganz wo anders in dieses hermetische Bauernhaus von einem Gedichtebuch hineinragt; hineingewachsen scheint wie der Zweig einer Brombeerhecke beim offenen Fenster hereinwächst: Teil IV, „Höfe noch einmal“.

Denn hier sind ‚Höfe‘ eben auch die Wiener Gemeinde- und Zinsbauten mitsamt ihren Bewohnern, und die werden gnadenlos aufgezählt, finden ihren Ort, jeder für sich, in der Galerie des Raimundschen Trauerarbeitsgehöfts. Was ich hier mit ‚Bewußtsein der Geschichtlichkeit‘ meine, wo doch das Vorbeidefilieren von haufenweise Einzelschicksalen durchaus auch als ein alter Hut des heimeligen Hier-und-Jetzt unter den lyrischen Effekten gelten kann? – Dass ‚Bewohner‘ eben auch bedeutet: Frühere Bewohner. Vergaste, oder unter Hitler zu Geld und Ansehen gekommene, zum Beispiel. Womit Raimund mir die Heimeligkeit aber austreibt. Ohne dabei den real existierenden Charme der Bundeshauptstadt gleich mit aus seinem Aufzählungsgedicht zu verbannen. Sehr wohl, sirra, ein Kunststück. Und nicht einmal dem Relativierungsverdacht ausgesetzt: Geht es doch um ‚Trauer‘ und ‚Höfe‘, mithin darum, wie unter dem Verlust einzelner Aspekte bzw. Leben eine Welt sich konstituiert, zur Heimstatt wird, right or wrong, my country.

Man könnte nun noch auf Teil VI, „Danses Gothiques“, zu sprechen kommen, den Abschluss von Trauer Träumen, auf das hier inszenierte Auseinanderbrechen von Sprache selbst, auf das Sinnloswerden von Gedichtgrenzen angesichts der Form der Verklammerung (als eines ‚Festhaltens am Sinn‘), auf die Meisterschaft Raimunds, die sich auch hier im Detail zeigt, und dann…

Ja, dann muß man wohl, der man zu Beginn dem Band recht kritisch gegenüberstand, Erich Hackls Zitat zustimmen, wie es auf dem Umschlag steht: „..von Österreichs mißachteten Autoren einer der bedeutendsten.“

Trauer Träumen.
Lyrische Texte aus den Hochstrasser Heften.
Salzburg, Wien: Otto Müller Verlag, 2004.
108 Seiten, gebunden.
ISBN 3-7013-1085-8.

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autor

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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