#Lyrik

Traktate des Windes.

Dine Petrik

// Rezension von Wolfgang Ratz

Klage Getöse Flucht.

Mit welcher Art von Traktaten haben wir es hier zu tun? Verstauben sie in verlassenen Bibliotheken oder handelt es sich um bunte Sektentraktätchen, die der Wind über die Mariahilfer Straße weht? Doch nein: schon im ersten Gedicht Solon geht spricht der Athener Staatsmann (und politische Lyriker!) stolz „meine thesen und traktate sind gesetz!“. Doch auch weise Männer können sich über- und verschätzen, und wie aus dem Nichts bricht alles zusammen: „über nacht verwirrung: datenverwirrung!“ Geistiges Chaos, olfaktorisch untermalt: „üble gerüche in athen!/meine traktate nehmen schaden“. Gerüche und vermutlich auch mindestens so üble Gerüchte in diesem Gedicht, das man als Petriks Kommentar zum Zeitgeschehen lesen kann und muss. Solon hat von seinen populistisch geblendeten Landsleuten die Nase voll, er schmeißt ihnen den Demokratiekrempel vor den Tempel und „blickt nicht mehr zurück“ – nicht einmal im Zorn.

Petriks neuer Gedichtband ist wieder eine reife und gereifte Leistung, ein wahres Panoptikum mit großer thematischer Bandbreite. Die Wendung „den rechten fuß im einerseits / und anderseits -“ aus dem Gedicht Sphinx II deute ich (für mich) als Hinweis auf die thematischen und stilistischen Polaritäten in diesem Werk. Öffentliches und Privates, Reisende und Touristen, Natur und Kultur, aber auch Natur und Naturvernichtung (Monolog der Erde in Erschütterung), Kultur und Kulturvernichtung in Palmyra „durch einen mob ohne gedächtnis“.

Petrik selbst ist eine Reisende im wörtlichen, aber auch im übertragenen Sinn. Ihr poetischer Weg führt uns zum Fudschijama mit seinem „schneeweißen cape“, an den Tian Anmen, durch Grasland und Wüste. „Schau dich erst um, bevor / nimm mich als leeres blatt für / deine überschießenden traktate / im trommelinneren tönt der wind / nachdem ich in die jahre gewallfahrtet bin“ (Savanne). Wie in der Romantik wird die Landschaft auch hier zum Spiegel der Seele und erkennt die Betrachterin in der Geometrie der Sternbilder sich selbst „orion hält mich an der hand / das hirn vor die deichsel gespannt / hackt das herz einmal kurz dreimal lang“.

In und gegen die hohe Sprache der Lyrik kartätscht Petrik immer wieder Irritationen, Störelemente, kalauernde Wortspiele, dann wieder kursive Einsprengsel aus unserem coolen Zeitgeist- und Computerspeak. Ich kenne derzeit kaum wen, der/die so souverän zwischen den Stimmen und Sprachen wechselt und doch immer unverwechselbar bleibt. Und ich denke, dass diese traumwandlerische Sicherheit im Umgang mit Sprache daher rührt, dass das Wort Petriks innigste Heimat und der Weg im Land der Worte ihre tiefste und wahrhaftigste Reise ist.

Doch auch geografische Heimaten, heiß- oder hassgeliebte, spielen in diesem Buch eine wichtige Rolle. So in Begegnung: „Wir lagern auf treppen aus minze und / gras, wir halten die stunden zwischen / den handflächen fest, wir gestehen uns / gegenwartsrechte zu: es ist alles anders / geworden, es ist alles gleich geblieben.“ Oder auch in Fluchtpunkt: „Über der stadt ein derber himmel, stets / bereit, herabzufallen auf die häuserzeilen / die auftrumpfenden fassadendächer mit / den blitzenden verglasungen, auf die in der / hitze swingenden portale, aufs morbid / duftende gemäuer, übermalt mit protzigem / schönbrunner gelb“, und endet rebellisch mit: „abertausende geschichten / Und kein platz für meine?“

Im letzten Teil finden sich die vielleicht berührendsten Gedichte, Texte zu Abschied und Tod, wobei die Trauer sogar angeblich unbeseelten Kreaturen gelten kann. Nachruf: „Meine erinnerung an dich / den letzten blick wirfst du mir von oben / herab als schweren sack um den hals / vom lastwagen oben, die TBC-marke / im rechten ohr, dein passierschein / zur schlachtbank blinkt in der sonne“. Der Tod ist die Grenze ohne Wiederkehr; eine im Leben erfahrene Distanz wird im Tod festgeschrieben. Steinern klingt die sonst so tänzerische Sprache Petriks in Daheim: „Am tisch die lampe das schweigen / die angst, die lust nicht verloren zu gehn / und um dich herum steht wie immer / ein fester zaun / nun säumt er dein grab“.

Gedichte.
Mit einem Nachwort von Daniela Strigl.
Weitra: Bibliothek der Provinz, 2019.
96 S.; brosch.
ISBN 978-3-99028-829-0.

Rezension vom 02.09.2019

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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