#Prosa

Totreden

Margit Hahn

// Rezension von Walter Fanta

Unglaublich wahre Geschichten aus der Büroarbeitswelt.

Totreden muss wohl die beste Übersetzung des heute mit Recht sehr gebräuchlichen Begriffs „Mobbing“ sein, obwohl das englische Wort in den Erzählungen kein einziges Mal vorkommt. Mobbing ist ein Verhaltensmuster in der modernen Büroarbeitswelt, es bezeichnet längst nicht nur mehr das, was den Beobachtungen aus der Tierwelt abgewonnen worden ist, dass Gruppen ein von der Norm abweichendes Individuum attackieren, sondern es sind systematische Handlungsweisen, die zu unserem Berufsalltag gehören. Ein entscheidender Aspekt scheint dabei zu sein, dass Leistungen nicht mehr gemessen werden können in manueller industrieller Arbeit und die Bestimmung des Werts eines Menschen an Arbeitsplätzen der modernen Dienstleistungsgesellschaft einem freien Spiel gruppendynamischer Kräfte ausgesetzt ist. Die Form der Aggressionsausgetragung ist der Psychoterror, aber es steckt in ihm immer noch Animalisches, auf den Körper und seine intimen Teile Zielendes.

Den Erzählband von Margit Hahn lese ich als eine einzigartige Sammlung überwältigend profunder Mobbingstudien mit den Mitteln der Literatur von einer Insiderin, die ganz genau weiß, von was sie da erzählt, die das alles unmittelbar selbst erlebt haben und das Klima ganz genau kennen muss, in deren Texten aber kein Mitleid und keine falsche Melodramatik aufkommen; sie sind vielmehr in entwaffnender Art kaltschnäuzig vorführend und analysierend. Dazu gehören unheimlich konkret beschriebene Schauplätze und Situationen, ohne dass je Firmennamen oder Branchenbezeichnungen auftauchen, trotzdem habe ich als Leser ständig das Gefühl, dass es diese namenlosen Firmen und unbezeichneten Beschäftigungen wirklich gibt; die Namens- und Bezeichnungslosigkeit ist ein großer Kunstgriff, es wirkt so, als ob sich alles in einem Nebel befände, der es gleich macht, ob es sich um eine Konzern- oder Versicherungszentrale oder ein Ministerium oder eine Universität handelt, wo gemobbt wird. Und wie mit seidenen Fäden ist Geld und Macht und Sexualität in ein unentwirrbares Netzknäuel verknüpft, das die Intimität der Figuren, ihre geheimen Wünsche und Begierden und die Bereitschaft, sich für diese zu verkaufen, auf das falsche Gerede vom Betriebsklima und das hohle Pathos von Unternehmensethik prallen lässt. Ich glaube Margit Hahn: So geht es in Österreichs Betrieben mitunter zu!

In den insgesamt 23 teilweise sehr kurzen, nur vier-fünf Seiten langen Erzählungen breiten wechselnde Figuren Lebenslügen aus. Da ist zum Beispiel in der ersten Geschichte mit dem Titel „Jan“ die coole Sekretärin, die sich über eine Singlebörse einen Partner angeln möchte, weil sie die Wochenenden nicht gerne allein verbringt, und die sich den erfolgreichen Manager und Gesundheitsfanatiker Jan angelt. Sie glaubt, dass man sich beim Sex am schnellsten und am besten kennen lernt. Mit Jan klappt das nicht, aber die junge Frau denkt, dass sie auch nach dem missglückten Erlebnis etwas dazu gelernt hat. „Ich muss jetzt einmal lange nachdenken. Über meine Zahnpasta und alles andere. Zuerst einmal frühstücken, im Bett die Zeitung lesen, dann masturbieren […].“ (S. 14; siehe Leseprobe) Das ist der sympathische Zynismus einer Überlebensstrategikerin, die gelernt hat im Leben zu nehmen. Darauf kommt es vielleicht am meisten an, den Figuren in der Erzählung und vielen von uns.

Zu nehmen gelernt hat auch der Typ in der Erzählung mit dem Titel „Sex“, ein 43-jähriger Manager, der von oben den Sprung nach noch weiter oben packen will, dazu scharwenzelt er vor dem Patriarchen, dem Eigentümer, herum: „Ich suche das Gespräch mit ihm, so oft es geht. Ich versuche, zufällige Begegnungen herbeizuführen.“ (S. 124, siehe Leseprobe) Mit einer seiner Mitarbeiterinnen, Lisa, geht er ein „Beinahe-Verhältnis“ ein; mit etwas Süffisanz wird erzählt, wie er sich vor der Nacht mit Lisa noch rasch eine frische Unterhose kauft. Unterhosen, Managerunterhosen sind ein wichtiges Requisit bei Margit Hahn, vielleicht das wichtigste Männerrequisit in ihren „Totreden“-Erzählungen. Dabei kann man von einer Gender-Schieflage, einer einseitigen Denunziation der Männer als Mobbing-Partei gar nicht sprechen, gemobbt wird quer durch den Geschlechtersalat. Trotz der neuen Unterhose klappt es mit Lisa im Bett nicht – Erektionsprobleme. Dafür muss Sandra büßen, die Sekretärin, mit ihr geht der Chef nicht ins Bett, sondern er leitet ein Strafmobbing ein, gegen Sandra statt gegen Lisa, weil Sandra ausgelieferter ist. Es gibt so wie in der ersten Geschichte auch wieder ein Happyend für die Ich-Figur. Auch der Mann beginnt zu onanieren. „Ich versuche meine Erektionsprobleme zu bekämpfen. Bislang regt sich nichts weiter. Ich bin zuversichtlich, das wird schon wieder. Ich denke dabei nicht an Lisa. Es geht mir gut. Ich bin sehr erfolgreich. […] Ich habe es nicht notwendig, mich zu belügen.“ Hier belügt sich niemand. (S. 132f)

„Harald Meister ist an der Macht“ in einer weiteren Geschichte, wieder mit einem, der gelernt hat, im Leben zu nehmen. Aber er „hat einmal gelesen, wenn man eine Führungsaufgabe übernimmt, solle man sich überlegen, wie man den Abschied gestalten kann, damit man nicht weinend am Tisch sitze und dem Dienstwagen nachtrauere“. (S. 139) Er schafft diesen Schritt nicht, er entwickelt eine Paranoia, einen panischen Verfolgungswahn, dass seine Untergebenen ihn vernichten wollen. Nur seine Sekretärin Karin Oberhofer zieht er ins Vertrauen. Er beauftragt sie, gegen das Gerede, das vermeintliche Geschwätz gegen ihn vorzugehen. In dieser Erzählung treten zwei Merkmale fast aller Erzählungen deutlich hervor: Erstens sind auch die, die an der Macht sind, gegen das Mobbing, das sie selbst zu inszenieren bereit waren, nicht gefeit. Zweitens ist das Reden, das Gerede, tatsächlich ein Totreden, die Personen, die die Büroräume dieser Erzählungen bevölkern, reden (sich) tot statt sich tot zu arbeiten, so könnte man sie allgemein charakterisieren, das Gerede ist das Gift, das in dieser Welt den Tod beschert, bereitet den Mord vor, der in einigen Erzählungen dann auch tatsächlich vorkommt. Für Harald Meister gibt es kein Happyend, in einer skurrilen Überdrehung des Prinzips, durch Reden zu töten, stirbt er bei einem Liftunfall. Aber war es ein Unfall? Oder Sabotage von Karin Oberhofer?

Die Erzählungen von Margit Hahn sind handwerklich wahre Meisterstücke in ihrer raffinierten Konstruktionsweise und in der Maliziosität, mit der die Sprache die Figuren und die Situationen, in denen sie sich verfangen haben, bloßstellt. Was mich besonders für diese Geschichten eingenommen hat, ist die Unbefangenheit einer Sprache, die in einer unglaublichen Treffsicherheit die ‚akustische Aura‘ dieser Figuren wiedergibt, die fast wir alle sind. Ich habe 2006 kein anderes Buch gelesen, das unseren moralischen Zustand so genau beschreibt, am Ende angelangt habe ich gleich wieder von vorne angefangen, darum erscheint diese Besprechung nun ein wenig verspätet.

Margit Hahn Totreden
Erzählungen.
Innsbruck: Skarabaeus, 2006.
184 S.; geb.
ISBN 978-3-7082-3197-6.

Rezension vom 09.01.2007

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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