#Roman

Toni und Moni

Petra Piuk

// Rezension von Erkan Osmanovic

Oder: Anleitung zum Heimatroman.

Glücklich im Unglück

„Ich bekomme einen Schlag auf den Rücken, beginne zu schreien und lerne meine erste Lektion fürs Leben: EINE WATSCHEN IST GESUND. Es freuen sich alle im Kreißsaal, aber nicht, weil ich auf der Welt bin, auf mich hat nämlich keiner gewartet, sondern weil ich das Neujahrsbaby von Österreich bin. […] Wenn man so wie ich immer MEHR GLÜCK ALS VERSTAND hat, landet man sogar auf der Titelseite – die verschwitzte Mama, der besoffene Papa, das plärrende Kind mit dem Saugglockenschädel: ich, der Toni.“

Von nun an verfolgen wir Toni. Von den ersten Schritten der Kindheit bis hin zu seiner Hochzeit. Ja, Hochzeit. Die ist schon beschlossene Sache. Also zumindest für die Autorin, und wird auch schon zu Beginn verraten. Doch für die Ehe benötigt Toni noch ein passendes Gegenstück. Und schon ist sie da: Moni.
Moni, wie sollte es anders sein, ist ein hübsches Mädchen vom Land. Und da es in diesem Roman um die Heimat geht, gilt: „Mädchen in Heimatromanen sind immer schön. Vor allem, wenn sie im gebärfreudigen Alter sind. Wenn aus schönen Mädchen Mütter geworden sind, sind sie nicht mehr schön, sondern fürsorglich.“ Aber, die LeserInnen sollten nicht enttäuscht sein. Denn durch diesen Umstand, ergeben sich noch Möglichkeiten: „Dafür haben sie dann selbst ein schönes Mädchen. Oder mit etwas mehr Glück einen Buben. In unserem Fall ist es EIN GLÜCK IM UNGLÜCK, dass Moni ein Mädchen geworden ist, weil wäre Moni ein Bub, könnte ich die romantische Liebesgeschichte zwischen den beiden Nachbarskindern nicht erzählen.“ Doch die Geschichte Tonis und Monis interessiert Piuk nicht so recht, es geht ihr um die Verlogenheit des romantischen Heimatbegriffs.

Der Aufbau des Romans erinnert an eine Seminararbeit, samt Kapiteln, Unterkapiteln und Unterunterkapiteln. Jeder Abschnitt wiederum behandelt ein Thema des archetypischen Heimatromans, samt voraussagenden Titel. Von „9. Ein harmloser Konflikt“ zu Beginn über „21. Ein Kampf um die Liebe (Teil 1)“ hin zu „36. Eine Wiederherstellung der dörflichen Ordnung“. Dabei lässt die Burgenländerin Petra Piuk kein Klischee des Genres aus: die Jugendliebe, die Böse, die großherzigen Dorfbewohnerinnen und natürlich die finalen Hochzeitsglocken. In Fußnoten entspinnt die Autorin Dialoge mit ihrer Lektorin, die Einblick geben in die Schreibarbeit: „Liebe Petra, noch drei Monate bis zum Abgabetermin. Kommst voran? LG Tanja / Liebe Tanja, ich hab alles unter Kontrolle. Nur ein paar Diskussionen mit Toni und Moni, was die Figurenkonstellation und die weitere Handlung angeht, aber nichts Tragisches. LG Petra / Liebe Petra, pass bitte auf, dass deine Figuren das machen, was du von ihnen willst und nicht umgekehrt. Dass sich die Figuren während des Schreibprozesses verselbstständigen, ist ein Mythos. LG Tanja“ Tanjas Sorgen sind unbegründet. Denn außer Kontrolle gerät hier gar nichts.

Das Landleben, das schöne, ruhige, behutsame Landleben – darum geht es hier. Die Stadt? Bloß ein Sammelbecken für Abschaum, den man beseitigen sollte. So ist auch eine anonyme Dorfbewohnerin zu verstehen: „Das Stadtleben fördet die Entmenschlichung. Nur daheim bist du Mensch, daheim bei den Deinen.“ Allerdings zieht es Moni trotzdem in die Stadt. Nur kurz und einmalig, aber doch. Nur an ihr deutet Piuk so etwas wie eine Entwicklung an. Sie will Fotografin werden: „Ich habe ein Vorstellungsgespräch. Ich sehe sie an. Im Frisiersalon Hilde? Nein, Toni. In einem Fotofachgeschäft in der Stadt. Aber die Hilde sucht ein Lehrmädchen. Toni, ich will die Welt sehen. Sie beginnt zu singen und ihre Augen strahlen dabei wie bei unserer Hochzeit auf dem Dachboden. Einmal um die ganze Welt und – Ich unterbreche sie. Wir wollen heiraten, Moni. Toni, wir waren Kinder! Als du mich geküsst hast, waren wir keine Kinder mehr. Das war eine besoffene Geschichte. Für micht nicht. Ich weiß, Toni, es tut mir leid. Du bist ein toller Bursche, du wirst die Richtige finden.“ Ob sie sich da mal nicht irrt. Denn der Entschluss der Autorin steht bereits fest: Ein Happy Ending muss her. Im Dorf. Auf die Wünsche eines jungen Mädchens kann keine Rücksicht genommen werden. Oder doch?

Petra Piuk seziert mit ihren Zeilen gekonnt die österreichische Provinz und deren BewohnerInnen. Dabei wird deutlich, dass die inneren Organe eines idyllischen Heimatromans bösartig sind: Frauenverachtung, sexuelle Übergriffe, Fremdenhass und häusliche Gewalt. Das alles versteckt unter einem Gerüst von Heimatverbundenheit. Die heiter-lockere Sprache des Romans entblößt diese Verlogenheit und macht sie noch um ein Vielfaches sichtbarer.

Petra Piuk Toni und Moni
Roman.
Wien: Kremayr & Scheriau, 2017.
208 S.; geb.
ISBN 978-3-218-01079-5.

Rezension vom 06.09.2017

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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