#Theater

Tollhaus

Gustav Ernst

// Rezension von Peter Landerl

Dass das Alter milde macht, trifft auf Gustav Ernst nicht zu. Obwohl sein 60. Geburtstag nun auch schon wieder drei Jahre her ist, ist er ein Zorniger geblieben, ist er im Zorn jung geblieben. 38 Texte enthält sein neues Buch Tollhaus: Dialoge, Szenen, kleine Stücke, Minidramen des Alltags: böse, witzig, gemein, zornig, absurd, intensiv, explosiv.

Gustav Ernst ist ein scharfzüngiger Nachfahre der Wiener Volkskomödienschreiber, die ihr Publikum in die seelischen Abgründe ihrer Mitbürger schauen ließen, ihre Defekte und Schwächen ausstellten und damit das Publikum belustigten, immer aber auch zum kritischen Nachdenken anregten. Ernst scheut sich nicht, seinen meist namenlosen Protagonisten entlarvende und entblößende Derb- und Grobheiten in den Mund zu legen. Ihre Sprache ist die Umgangssprache, doch was beim Lesen so einfach, so „normal“ wirkt, ist nicht nur die glaubwürdige Literarisierung des Alltagslebens, sondern auch literarische Schwerstarbeit. Sein Material findet Ernst auf der Straße: Rentner, Wirtshausbrüder, Ehepartner, Kellner, Nachbarn sind sein Personal, Altnazis, Ausländerhasser. Aufs Maul schauen, beim Wort nehmen: Ernst seziert Alltagsdialoge und dramatisiert sie mit Gewinn für den Leser.

Es gibt Leute, die sagen in einer Runde zwei, drei Sätze und haben schon einen Streit, einen „Wickel“ vom Zaun gebrochen. Ähnliches passiert in Gustav Ernsts Texten: Jemand sagt etwas, ein zweiter antwortet und schon wird gestritten und gerotzt und geschimpft, prallen Vorwürfe und Gegenvorwürfe aufeinander, sind die Dialog“partner“ einfach nicht in der Lage, miteinander zu kommunizieren.
„Menschen, Menschen sind wir alle“ kreist etwa um das „Problem“ der slowenischen Minderheit in Kärnten. „Also, ich bin fürs Wegputzen. Nehmen und rüberhauen über die Karawanken zu den Dreckhanseln, wos hingehören.“ So beginnt der Dialog – wohin kann er führen?
„Auguri, Auguri“ zeigt ein munteres Frauenquintett am Grabe des jüngst verstorbenen Landtagspräsidenten. Was die fünf ihrem ehemaligen Liebhaber ins Grab nachwerfen, ist ziemlich derb, jedenfalls nichts für zartbesaitete Gemüter und bestimmt nicht jugendfrei. Bourgeoise und konservative Leser würden dem Text vermutlich jegliche literarische Existenzberechtigung absprechen, doch das konservative Bildungsbürgertum war wohl nie Gustav Ernsts Zielpublikum. Deshalb kümmern wir uns nicht darum, erfreuen uns des bitterbösen Humors und lesen weiter.
„Wissen Sie, was Kultur ist?“, diese Frage lässt Ernst seinen Protagonisten in „Zwei Herren“ fragen und auch gleich selbst beantworten: „Wenn einer allein im Keller sitzt, im Finstern, und sich trotzdem die Hand vorhält beim Gähnen.“ „Midnight“ zeigt einen jungen Mann und eine junge Frau im Bett, sich gegenseitig heiß machend, indem sie ihre Todesarten imaginieren und dem Partner erzählen. In „Franz und Maria“ schildert Ernst meisterhaft und „en miniature“ den Lebenslauf eines Paares. Fünfzehn Lebensstationen zeigt er, jeweils eine Äußerung der beiden genügt, um den tristen Lebensweg der beiden anschaulich zu schildern.

Den Abschluss des Buches bildet der Monolog des Kommandanten des U-Bootes Kursk (das bekanntlich nie wieder aufgetaucht ist). „Nicht rühren! Nicht reden! Jeder Augenaufschlag eine Tonne Luft weniger! Nicht denken! Jeder Gedanke eine einzige Sauerstofffreßmaschine, eine einzige Sauerstoffentzugsvorrichtung! Denken abschalten! Das ist ein Befehl!“ Dreiundzwanzig Orden hat der Kommandant an seiner Brust hängen, den Untergang seines Schiffs kann er nicht verhindern. Buchstäblich bis zum letzten Atemzug redet er, gibt Befehle, bis er schließlich verstummt. „Ersticken üben! … ersticken üben … Genossen! … jetzt ersticken üben, um im Ernstfall … das ist ein Befehl! … nicht zu ersticken … nicht zu er- … im Ernstfall … nicht zu er- … Übung! … Befehl! … nicht zu er- … nicht zu er- Er erstickt.

Gustav Ernst Tollhaus
Dialoge, Szenen, Kleine Stücke.
Wien: Sonderzahl, 2007.
130 S.; geb.
ISBN 978 3 85449 283 2.

Rezension vom 10.12.2007

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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