#Comic

Thomas Bernhard. Die unkorrekte Biografie

Nicolas Mahler

// Rezension von Holger Englerth

Die unkorrekte Biografie hätte kaum einen besseren Titel haben können. Zum einen ist Thomas Bernhards Leben durchaus fern einer wie auch immer verstandenen political correctness Beispiel für ein ‚unkorrektes‘ Leben, das zum Ärgernis für Nächste und Höchste wurde. Zum anderen ist der Titel ein Bekenntnis zu den Freiheiten, die sich Nicolas Mahler im Umgang mit der Biografie Thomas Bernhards nimmt: Der Zeichner und Autor schafft sich da durchaus seinen eigenen Bernhard, der jedoch gar nicht so weit entfernt ist von den wechselnden Einschätzungen durch Literaturwissenschaft und Öffentlichkeit, die Bernhard über die Jahre erfuhr. Seine Comicbiografie stellt eine Art Kondensat dieser Zugänge dar, geprägt und erweitert durch den persönlichen und unverkennbaren Stil Mahlers.
Seine Comics werden oft mit dem Begriff „Minimalismus“ bedacht, im Falle des aktuellen Werks trifft er wohl nicht so ganz: Hier werden eine Fülle von Verfahren und Ideen angewendet, Anschlüsse gesucht und Anspielungen gebracht, die geradezu den gegenteiligen Effekt einer Reduktion haben.

Die Comicbiografie ist ein nicht ganz unproblematisches Genre, selbst innerhalb der ganzen Bandbreite des Mediums Comic: Häufig war gerade sie mit dem unbedingten Anspruch auf jenen Ernst und jene Seriosität verbunden, die dem Medium generell abgesprochen wurden. Damit gingen jedoch oft eine ermüdende Detailversessenheit, erzählerische Schwächen und mangelnder ästhetischer Einfallsreichtum einher. (Selbstverständlich lassen sich da auch Gegenbeispiele nennen: „Kiki de Montparnasse“ von Catel und Bocquet, „Maus“ von Art Spiegelmann oder „Epicurus the Sage“ von William Messner-Loebs und Sam Kieth etwa.)
Dem entzieht sich Mahler in seiner Bernhard-Biografie – hier gibt es keine Längen, sondern stets etwas zu entdecken. Es muss keine Heldengeschichte erzählt werden, und dennoch wird Thomas Bernhard als Künstler und Mensch ernst genommen – auch oder gerade in der Darstellung der Schwächen, Skurrilitäten und Lächerlichkeiten, die sein Leben begleiteten.

Verbunden ist das alles mit einer bemerkenswerten formalen Strenge: Pro Seite teilen sich ein – in seltenen Fällen auch zwei – Bilder den Raum mit dem biografischen Text und den Zitaten. Diese drei Bestandteile – Bild, Text und Zitat – stehen in einem gleichberechtigten Verhältnis zueinander, kommentieren und ergänzen sich gegenseitig, können sich aber auch widersprechen. Und dabei wird eine beachtliche Menge an Witz produziert.
Als Beispiel die erste Seite: Zuallererst steht der Text: „Am 9. Februar 1931 wird Thomas Bernhard in Heerlen (Niederlande) geboren.“ Damit befindet sich noch alles im üblichen und konventionellen Rahmen des biografischen Genres: Faktenorientiertheit und Start am chronologischen Beginn, also der Geburt. Der Text setzt fort: „Die Nachgeburt hat die Form Österreichs.“ Und damit hat sich Mahler schon vom Versprechen auf Wahrheit, das der Biografie immer in der einen oder anderen Form zu eigen ist, mit aller Verve verabschiedet. Zugleich liegt in der Pointe aber auch eine höhere Wahrheit: Österreich wird Thomas Bernhard tatsächlich als Thema ein ganzes Leben begleiten oder – vielleicht eher – verfolgen.
Das nun folgende Bild dreht die Sache noch ein Stück weiter. Ein winziger, nackter und schwarzüberwölkter Thomas Bernhard entfernt sich von seiner stehenden (!) Mutter und der am Boden liegenden, nur entfernt an die Umrisse von Österreich angelehnten Nachgeburt (ohne Anspruch auf anatomische Korrektheit, einfach ein schwarzer Fleck). Die Verwandtschaft von Mutter und Sohn wird einzig über die Nasenform erkennbar gemacht. Hier wurde kein Kind geboren, sondern ein grummelnder, mies gelaunter alter Mann betritt die literarische Szene.
Auf dieser ersten Seite haben die zwei abschließenden Zitate eher umspielenden Charakter, an anderen Stellen können sie auch der Aufhänger einer ganzen Seite sein. Aber selbst hier bietet der Ausspruch von Bernhard selbst über seine Geburt („Ich war nicht dabei, aber ich glaub‘, sie war völlig normal.“) einen gelungenen Kontrapunkt zum absurden Geschehen auf der Seite – nicht ohne gleichzeitig eine neue Absurdität hinzuzufügen.

Zweifel am Wahrheitsgehalt mancher Stellen regen sich bald, und da beim ersten Durchblättern schon der Anhang auffällt, steht die schöne Entdeckung bevor, dass der Biografie neben einem Verzeichnis der „Quellen“ auch eines der „Fehlerquellen“ angefügt ist. Darin wird der biografische Text des Comics in durchaus unterschiedlicher Weise korrigiert. Was dann wo zu finden ist, muss gar nicht immer offensichtlich sein: Wenn etwas völlig überzeugend klingen mag, entspringt es vielleicht der Phantasie Mahlers, anderes wirkt vollkommen absurd und doch hat Thomas Bernhard es wirklich so gesagt oder getan. Unterstützt wird der Effekt zudem immer wieder durch die Neukontextualisierung von Zitaten, die eigentlich in anderen Zusammenhängen gefallen sind.
Verblüffend ist auch, wie offen die Comicbiografie ihrem Publikum gegenüber ist: Sie eignet sich sowohl für eine allererste Begegnung mit Thomas Bernhard, die das größte Potential hat, die Neugierde auf mehr zu wecken; aber auch jenen, die mit seinem Leben und Werk bzw. dem literarischen Betrieb seiner Zeit vertraut sind, bietet der Band Vergnügen und Anregung – und zwar nicht nur durch den verknappten und dennoch ungemein vieldeutigen Text von Nicolas Mahler, sondern auch durch seine Bilder: So werden Ingeborg Bachmann und Christine Lavant im Text gar nicht namentlich genannt und sind doch unverkennbar. Und wie ließe sich die Dreiecksbeziehung mit den Eheleuten Lampersberg besser illustrieren als durch eine illustrierte Anspielung auf Truffauts „Jules et Jim“?

Bei all dem Witz gelingt es Mahler, Thomas Bernhard in seinem Zorn und seiner Trauer gerecht zu werden – auch da in allen drei Bestandteilen: Er verzichtet in seinem Text an genau den richtigen Stellen auf mögliche Pointen und findet berührende Zitate; die Illustrationen können Einsamkeit und Schweigen auf eine Art einfangen, die mit Worten schwer zu erreichen ist. Es ist mit kaum über 100 Seiten ein schmales Werk, aber wie dicht und einfallsreich sind diese Seiten geworden!

Nicolas Mahler Thomas Bernhard. Die unkorrekte Biografie
Comicbiografie.
Berlin: Suhrkamp, 2021.
119 S.; geb.
ISBN 978-3-518-47125-8.

Rezension vom 10.05.2021

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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