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Trojer. Texte aus dem Nachlaß

Johannes E. Trojer

// Rezension von Karin Cerny

Man kannte den in Osttirol als Dorfschuldirektor lebenden Johannes E. Trojer zu Lebzeiten als Herausgeber der Kulturzeitschrift Thurntaler, als gesellschaftskritischen und regionalgeschichtlich versierten Journalisten. Als Trojer 1991 an Krebs starb, entdeckte man in seinem Nachlaß eine neue, bislang unbekannte Seite. Unter Stößen von Aufzeichnungen über den Dorfalltag, hunderten Fotografien, einer umfangreichen Sammlung von historischen Dokumenten, neben Tonbändern, die Gespräche mit Zeitzeugen, Verwandten und Bekannten protokollierten, fand sich eine Mappe mit dem Vermerk „Privat“. Sie enthielt – erst auf den zweiten Blick erkennbar – literarische Arbeiten Trojers, mit Schreibmaschine auf die Rückseite von belanglosen Postwurfsendungen, Informationsschreiben oder Mitteilungen von Schulbehörden getippt.

Das von Ingrid Fürhapter und Andreas Schett vorgelegte Buch macht diese literarischen Arbeiten erstmals zugänglich. Die beiden Herausgeber ergänzen den Band mit einem informativen und umfangreichen Nachwort sowie eine Fotoserier des Autors mit Bildern des örtlichen Friedhofs aus Vogelperspektive. Ein Begräbnis im Zeitraffer. Die ersten Aufnahmen zeigen den von Menschen fast übervollen Friedhof, alle mit Blick auf ein offenes Grab. In der Folge verflüchtigt sich die Begräbnisgesellschaft mehr und mehr, bis schlußendlich nur noch die Totengräber zurückbleiben, ihr Tagwerk abschließen und das Grab zuschaufeln. Danach herrscht wieder Ruhe auf dem Friedhof.

Auf eine Art visualisieren diese Fotos sehr treffend, was die Stärke von Trojers Prosa und Lyrik ausmacht: der genaue und neugierige Blick auf den dörflichen Alltag – leidenschaftlich im Wissensdrang und doch kühl-distanziert in der Beobachtung, durchdrungen von einem nicht zu unterschätzenden Maß an Ironie. Trojers journalistisches und literarisches Schaffen blieb zwar zeitlebens tief im dörflichen Leben verankert, trotzdem ging ihm der kritische Blick von außen nie verloren. Im Dorfgefüge blieb Trojer stets beides: Angesehenes Dorfmitglied und unerbittlicher Kritiker von lokalen Mißständen. Er schrieb an gegen blindlings übernommene Werte und einen falschen, verlogenen Kulturbegriff („Mit der Kultur ist es (nicht zufällig) wie mit dem Orgasmus: Je verkrampfter man sie betreibt, desto mäßiger fällt sie aus.“), gegen Packelei und Machtmißbrauch im Gemeinderat, gegen dumpfen und überheblichen Patriotismus („Jedes Schnupf- und Pfeifenclubmitglied sieht sich bereits als delegierter Botschafter tirolischer Eigenart.“). Trotzdem folgte seine Literatur nie dem Zeittrend der „schwarzen Idylle“, der neuen, kritischen Heimatliteratur. Sein Schreiben blieb weitgehend assoziativ, Trojer ließ seinen Gedanken freien Lauf, was manchmal zu einer fast atemlosen, ineinander verschachtelten und verschobenen Prosa führte. Die meisten der Texte sind bissig („muede von der schicht ins weiße siedlerhaus zurueckgekehrt erfrischt den arbeiter die freizeitarbeit“) und trotz der oft konkreten Themenwahl von enormer literarischer Experimentierfreudigkeit.

Der Pressetext des Haymon-Verlags spricht zu Recht von einer hochkarätigen literarischen Entdeckung. Vor allem aber beweist Trojers Schaffen, daß man überall, auch im kleinsten Dorf, die ganze Welt literarisch entdecken kann.

Trojer. Texte aus dem Nachlaß.
Herausgegeben von Ingrid Fürhapter und Andreas Schett.
Innsbruck: Haymon Verlag, 1998.
140 Seiten, gebunden, mit einer Fotoserie des Autors.
ISBN 3-85218-278-6.

Verlagsseite mit Informationen über das Buch

Rezension vom 02.02.1999

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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