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Terminifera

Michael Stavaric

// Rezension von Ulrike Matzer

Wie den Risiken des Folgeromans entgehen, nach einem „fulminant“ rezensierten Debut? Ein Zweitbuch anlegen, komplementär zum ersten, eine Möglichkeit. Es weiter schreiben, eintiefen dabei. Wie ein Diptychon nehmen sich stillborn (2006) und Terminifera aus. Durchaus empfehlenswert, beides zu lesen und im Stereoskop zu sehen. Anschlüsse gibt es jede Menge, Passstücke auch – was sich nicht nur aufs Spiel mit dem „Passieren“ bezieht und darauf, dass Misfits und Monster Protagonisten sind. Befindlichkeiten, Ängste, gesteigerte Wahrnehmung sind Themen, ebenso Routinen und das unverhofft Poetische (wenn man so will) darin.

Bipolar die Motive jeweils auch, die erzählenden Figuren: Mittdreißiger alle zwei, ambivalente, androgyne Wesen. Irrlichterte die „totgeborene“ Elisa durchs eine Buch, eine Maklerin, die mit Leere Affairen treibt, so hat Lois als Ritter von der traurigen Gestalt und Krankenpfleger seinen Part, zwischen Notgeburten, OP-Schwesterndasein, Nacht(kunden)dienst. Das Setting Krankenhaus steht exemplarisch für die Technisierung, die Entzauberung der Welt. Ein topografisch vages Wien bleibt weiterhin Kulisse.

Wer heute noch so verrückt sei, Romane zu schreiben, solle wenigstens darauf achten, dass der Inhalt sich nicht nacherzählen lasse, so Milan Kundera, der wie Michael Stavaric aus Brno stammt. Darin, dass Literatur kein Sprint Richtung Zieleinlauf sein soll, sondern ein Festmahl mit vielen Gängen, dürften sich die beiden einig sein. Und auch darin, dass es Dichtersache sei, Metaphern ernst zu nehmen. Schlägt der rote Faden unversehens um in Nasenblut, ist das kein Wunder, sondern Inbild der Idiosynkrasien eines verletzten Ich. „(I)n der Kindheit, dort muss man ansetzen, den ersten Schnitt führen“, lesen wir in stillborn – und das Schneiden, unter die Kruste Gehen, die Haut, wird forciert im Operieren mit Körperbildern.

Recht hinterwäldlerisch in einem Heim am Arlberg hat Lois als Waise diese Zeit verbracht. Nun lebt er in Wien. Unübersehbar hat er einiges vom Autor, der als Schulanfänger mit den Eltern emigrieren musste, dem vertrauten tschechischen (Sprach-)Umfeld entrissen. Eine Unbehauste war Elisa auch, unheimlich sowieso, hyperaktiv von einem Bau zum andern jagend, gefangen in ihrer Innenwelt. Noch mehr inside out Gestülptes bietet Terminifera (Name einer Wanderheuschrecke im Übrigen, nicht von ungefähr, nicht ungefährlich und abermals ein fremdsprachiger Titel, der das Ende in sich trägt): „Mit meinen Träumen stimmt etwas nicht, da fährt niemand auf Kreuzfahrt, kein Walzer, nicht ums Verrecken. Von der Pieke auf Alpträume. Früher dachte ich noch, die Alpen, ein Gebirge mit Risswunden, tief in den Fels das Gerangel um Rastplätze auf glasigen Hängen. Wenn ich ehrlich sein soll, der Schlaf macht es schlimmer. Die Leere in mir, im Kopf, man muss das vielleicht sportlich sehen. Nacht um Nacht im Gemenge, zwischen den Handlangern der Träume, die teilen aus, gsunde Watschn, und mein Flennen führt zu gar nichts.“

Eigen, die Sprache: eingängig und zugleich brüchig, enigmatisch, lyrisch überhöht, bedeutungsschwanger. Jeder Satz lässt denken, ein „Vexierspiel“ (Thomas Rothschild) über Finten, die stutzen machen. Päderastie wird angedeutet, von seiner Periode redet Lois (aka Lois Lane), seinem Schwanz und seinen Titten, seinen zwei Köpfen auch. Gender Troubles, Chiffren für Devianz oder bloß Sprachverspieltheit, wie bei Elisa, dem Mädchen, das ein „Muttersöhnchen“ ist? Delikat ist „in Variablen“ sprechen allemal. Rangierbar scheinen auch Sequenzen innerhalb des Textes, manche könnten sich genauso gut im vorigen Buch finden. Oder in anderen Publikationen Stavarics. Heißt: Es gibt zwar eine Handlung, die streng genommen keine ist; Spannungsbögen gibt es nicht, eine Abfolgelogik nur bedingt. Aber es gibt Schlaufen, es gibt Wiederkehr und Variationen, zuhauf, ein Insistieren auf bestimmten Fragen, wie alles kam und wie alles zusammenhängt, während das Leben Revue passiert im Kopf. Erzählt im Plot basierten Sinn wird sicher nicht, „Ich erinnere mich“, „im Heim“, „als die Pappel stand“: Floskeln nehmen Anlauf – und versanden. Der Duktus weicher als in stillborn, weniger kom(m)atös, sein Atem länger. Angerissen wird und aufgezählt, groteske Lexikoneinträge erinnern an Elisas Listen. Heißt weiter: die Geschichten wiederholen sich, das Auftischen von G’schicht’ln.

Selbstfindung, Ausbrechen aus verinnerlichten Mustern ist ein Thema, ein Slalom durch Stimmen von wo immer: pubertäre Sprücherl, Verlegen- und Verlogenheitsausdrücke, Anstandswauwaublabla. Gekappt und einen Tick nach links gedreht wird daraus Poesie – dies ist zugleich die Naht zwischen Michael Stavarics und Michaela Falkners Schreiben, deren Tonspuren, Choreografie, konzeptueller Unterwerfung eines Raumes. Durch diesen flottieren Superman und Mr. Spock als kommerzielle Aliens – Abenteuer überall, und Todesfälle. Was Wunder, dass das samtrauchig laszive Timbre einer Mona Moore (better half des Elektronikduos Sin) mit im Schwesternkittel steckt. Zitate aus der Populärkultur gibt es en masse, Tiere für ein halbes Bestiarium.

Sprechsysteme tun das Ihre – wie im Kinderbuch des Autors über Tücken animalischer Verständigung (Gaggalagu, kookbooks 2006), dazu Google- und anderer Infotrash – vergleichbar dem Europa-Essay (kookbooks 2005), wo in schwindeliger Litaneimanier ein „und“ alles mit all dem verbandelt, was den Kontinent vom Rest des Erdballs unterscheidet, vom Urknall weg bis jetzt. Im wendigen sich Auf- und Hin- und Herschwingen lebt dieser „Narrativ“. Bedeutungen springen, auch ohne Enjambements, von einem Feld ins andere. Nicht unriskant, derartige Manöver zwischen Höhenflügen und dem Fallen ins Triviale. Bisweilen kracht es surreal dabei, blühen Bizarrerien als Veilchen aus: Leise beglückt fassungslos macht das, Levitation durch Sprache.

„(M)eine Hände fanden einander, zwei langjährige Nachbarn, die damit auskamen, Kaffee aufzusetzen, während ich mir anderweitig Gedanken, ein karges Frühstück gemacht“. Um die Dichotomie von Leib und Seele geht es, eine Spurensuche, ein Zurückgehen in die eigene, die Menschheitsgeschichte. Eine Tiefenbohrung und Form von Autobiografie. Indem Alltägliches sinnbildhaft mutiert, tun sich Schleusen auf zum Archetypischen. Mythische Topoi, elementare, chthonische kursieren nicht von ungefähr. Indem er bestimmte Bilder borgt und Fäden, sie neu verknüpft, verhängt, verwebt, zu seinem Teppich, schreibt Michael Stavaric sich in ein lyrisch-episches Dazwischen ein: jenes von Anne Carsons Versromanen, die antike und zeitgemäße Dichtung raffiniert verquicken. Oder dasjenige Per Olov Enquists, der es ebenfalls mit Monstern, mit Vulkanen, Engeln und deren Stürzen hat (als Inbildern von Androgynität und Transzendenz schlechthin) und dem sein nimmermüdes Fragen nach Herkunft, Rückbindung, den Beschädigungen eines Menschen Struktur bildend im Schreiben ist: thematische Variationen greifen über den einzelnen Roman hinaus, bündeln seine Bücher.

Das Binden von Geklittertem (der Rhythmus gebundener Sprache durchzieht dezent den Text), vergleichbare Bildintensität und Reduktion machen Stavarics Schreiben aus, Terminifera im Besonderen: beständig pendelnd zwischen Ratio – Imaginatio, Positivismus – Poesie, Hervorbringungen von Traumfabriken – Träumen. Integral ist, wie locker alles ineinander greift: „ein Wunder, Moleküle für eine derart komplexe Form (…) zu begeistern“, kann man nur sagen.

Dass Michael Stavaric als Autor zu einigem imstande ist, steht außer Frage. Und dass noch einiges passieren wird, bleibt zu erwarten. Auch wenn am Ende des Buches alles vor die Hunde geht (nicht von ungefähr am Cover erneut ein totes Tier) – eine Ahnung davon, was Menschsein heißt, bekommt man allemal: das Leben, eine Odyssee.

Terminifera.
Roman.
Salzburg, St. Pölten: Residenz, 2007.
146 Seiten, gebunden.
ISBN 9783701714759.

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autor

Rezension vom 23.01.2007

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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