#Lyrik

tausend tode könnt’ ich sterben

Rudolf Kraus

// Rezension von Armin Baumgartner

Tausend Tode könnt’ ich sterben – übersetzt man den Titel ins Englische, „I Could Die A Thousand Times“, könnte dies wohl auch eine Liedzeile aus einem grantigen Bluessongs sein, in dem der Sänger seine Sehnsucht nach seiner durch Eigenverschulden verlorenen Liebe oder nach der Wiedergutmachung eines eigens begangenen Unrechts in die Welt hinausheult. „Lost Woman Bluse“ von Motörhead wäre wohl ein geeigneter Kandidat, um die Atmosphäre musikalisch zu verbildlichen. Zieht man allerdings die optische Gestaltung des Buches mit dem gleich einer Parte umrahmten Schwarz-Weiß-Foto eines Grinzinger Grabengels in die Betrachtung mit ein, so könnte der Titel ebenso Wienerliedstimmung – also den Großstadtblues – verheißen.

Rudolf Kraus wäre aber nicht Rudolf Kraus, würde er diese Erwartungshaltung eins zu eins einlösen. Im Titelgedicht auf Seite 17 stellt der Autor alle Erwartungen daran auf den Kopf: Der einfach gestrickte Paarreim erscheint wie ein Kindergedicht, birgt jedoch explosiven nihilistischen Inhalt. Denn wenn man tausend Tode sterben kann, muss man demnach zuvor auch tausend Leben gelebt haben, in denen man tausend Mal möglicherweise für eine bessere Welt gekämpft hat, tausend Mal vielleicht der Gerechtigkeit gedient hat, tausend Mal eventuell für Respekt dem Lebewesen gegenüber eingetreten ist, tausend Leben, die jedoch nur erfüllt sind von Tadel, der von außen oder oben kommt, dem man ausgeliefert ist, der möglicherweise einer Hierarchie entspringt: „und selbst wenn’s leben chuzpe hätt / ist’s beim heimgang nicht adrett“ (S. 17). Da zerbirst der heitere Kinderreim wie die Champagnerflasche am metallenen Rumpf des Kreuzfahrtschiffs vor der feierlichen Jungfernfahrt geradewegs in die Katastrophe.

In der Tat ist die vorliegende Gedichtsammlung die schwärzeste aus der Feder des Piestingtaler Dichters, dessen „Sprachminiaturen“ (Zitat Kraus) sich jedoch nie so einfach schubladisieren lassen. Denn Kraus versteht es stets in subtiler Weise zu verblüffen und zu überraschen, er spielt mit der Form und konterkariert damit den Inhalt. Diese Gratwanderung zwischen dick aufgetragenem Lamento und beißender Ironie beschreitet er mit schelmischem Witz und schließt sich dabei selbst niemals aus.

Rudolf Kraus bedient sich dabei immer wieder einer kindlichen Trotzhaltung und erhebt sie zum Stilmittel. Dies gelingt auch deshalb so exzellent, weil er sich als Mensch das Kind in ihm mit all seinen noch unausgegorenen Ansichten, die es ihm auch erlauben, fehlbar zu sein, erhalten hat. „baden in der scheiße / die du angerichtet hast / baden in der scheiße / baden in der scheiße“ lautet das Gedicht auf Seite 10, betitelt mit „sensibel wie der teufel“. Man könnte dies durchaus auch als Selbstgeißelung lesen – doch wem gegenüber? Es ist dies eine kindliche Verlorenheit, die aus den Gedichten und auch aus ihrer Form spricht, die Machtlosigkeit des Kindes, das daran scheitert, mit all den Unbilden des Lebens und auch des Todes zurande zu kommen.

„ich hasse das leben“, lautet der Titel eines Gedichts ein paar Seiten weiter, „für all das / was es nicht für mich getan hat / und all das / was es weiterhin / verweigern wird / bei aller liebe zur melancholie“, und schon wähnt man sich in der Midlifecrisis eines verzagten und gekränkten Mannes. – Doch kommt der Mann schnell zur Vernunft: „mein gott / gottlos / unsterblich sein / ist auch kein / ziel“. Kraus verwendet stets eine schlichte Sprache, ist ein Freund der einfachen Begriffe, der auch mit Nonchalance flüchtige Mundartbegriffe in die Texte webt: „jessasna muchachos / überleben“ endet das Gedicht „tot wie gott“ auf Seite 15. Kraus nennt die Dinge eben ganz simpel beim Namen und erscheint so streckenweise der Banalität verhaftet, doch versteht er es meisterhaft, in seinen Texten doppelte Bedeutungsebenen zu eröffnen. Zudem ergeben sich immer wieder feine Wortkreationen wie „Wachtraumtorso“ oder „Seelenschrammen“ oder einprägsame Bilder wie etwa in „schlaflos“ auf Seite 18: „diese nächte“, schreibt Kraus, in denen die Gedanken den Schlaf auspeitschen, seien wie ein halbwüchsiger Tod – somit frech, nicht beherrschbar, aber auch nicht zu vermeiden, wie ein Halbwüchsiger eben, dem man nichts antun kann, der im Wissen darum jedoch auch nicht aufgibt und zur Vernunft kommt.

Der Band ist in fünf Kapitel gegliedert („memento mori“, „ars moriendi / ars vivendi“, „sieben haiku“, „wiener melange“ und „fundstücke / stückwerk“), wobei Kraus sieben Haiku ins Zentrum stellt. Auch in diesen Dreizeilern streckt Kraus dem Tod mild lächelnd seine Faust entgegen: „nicht nur im herbst folgt / begräbnis auf begräbnis / der tod stirbt nicht aus“, heißt es etwa auf Seite 47.

Es sind freche Gedichte, die Rudolf Kraus in dem gegenständlichen Band versammelt, die – Zitat „geradeheraus“, Seite 59 – zwar nicht stetig, aber wenn, dann weit über den Durst hinaus trinken: „ganz verwegen / sind sie dann / legen sich mit jedem an / selbst wenn es / der teufel / persönlich ist“. Verwegen sind sie allemal, die Gedichte von Kraus, und auch trotzig – wie die schweren Gitarrenriffs im rotzigen Blues.

Rudolf Kraus tausend tode könnt‘ ich sterben
sprachminiaturen über [leben] und [sterben].
Wien: Verlagshaus Hernals, 2014.
80 S.; geb.
ISBN 978-3-902975-07-2.

Rezension vom 03.12.2014

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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