Somit wäre dies eine der seltenen Gelegenheiten, da man im Umfang einer Rezension das ganze Buch zitieren könnte, gerecht würde man ihm damit naturgemäß nicht. Nicht nur, weil man diese Zeichnungen sehen muss. Knappheit und Rhythmus der Sätze legen den Vergleich mit dem Haiku nahe, auch die Nähe zur Natur ist gegeben. Aber vielleicht ist es gar nicht notwendig, dieses Stück Literatur mit etwas zu vergleichen. Vielleicht folgt das überall wohlwollend aufgenommene literarische Erstlingswerk der oberösterreichischen Malerin dem in Zeiten, da Vielen vieles zu viel wird, vordringlichen Bedürfnis nach „weniger“.
Einmal wurde mir in einem Wiener Kaffeehaus ein Haar in einem Wasserglas serviert. Es sah aus wie in flüssiges Plastik eingelegt, ein perfektes blondes Haar, ein Kunstobjekt. Zwar hatte ich Wasser bestellt, keine Kunst, war aber trotzdem beeindruckt und hätte es am liebsten behalten.
Teresa Präauers Buch siedelt sich auf einem ähnlichen Terrain an. Perfekt und beeindruckend in seiner zufällig wirkenden Schlicht- und Schönheit. Vielleicht ist es ein Baum, auf dem die Vögel sitzen, immerhin hat es 30 Blätter. Es könnte auch ein Gedicht sein, dass sich einfach ausgedehnt hat, bis es ein Baum war. Pardon: ein Buch. Jeder Satz nimmt sich soviel Platz wie möglich, wirkt dadurch auch wichtiger, als wenn die Sätze alle auf einer einzigen Seite aufgereiht wären.
Die „Taubenbriefe“, denen als Motto ein Zitat von Ilse Aichinger hintan gestellt ist –
„Wo Vögel ausgeflogen sind, dorthin kehren sie im folgenden Jahr zurück: manche mit Briefen im Schnabel. / Und raschelnd, in Schichten gefaltet, zwischen Papier und Hölle, so ‚rennen die Küken barfuß im Wind'“.
– nehmen den Duktus von Aichingers Satz auf und führen ihn in eine ganz neue Art von Fusion-Literatur, wo Zeichnungen und scheinbar Skizzenhaftes sich (erfolgreich) gleichberechtigt mit textbetonteren, traditionelleren Formen behaupten. Ein Spatz, der sich mit erhobenem Kopf dazustehen traut, mitten auf einem Platz?
„Da fragt man, was die Vögel tun,/und hört, was sie berichten.“, schreibt Präauer. Es gibt einen namens „Krüppelgeier“, bei dem sieht man, was er gefressen hat: einen gespaltenen Wurm (oder die Krallen eines anderen Vogels). Der „Dicksvogel“ ist ebenfalls teilweise durchsichtig, zeigt etwas wie … sein Herz? Und es gibt einen „Kinderschnäpper“, „Ballonblässling“, „Anfresser“, „Zutraulichen Astgabler“ und das „Kräuselküken“.
Man tut sich leicht zu sagen, all diese Vögel, die gibt es nicht. Würde man aber eines Tages wirklich in der Lage sein, alle existierenden Vogelarten aus den Urwäldern zu sieben, wäre man froh um dieses Repertoire an Namen und bräuchte noch viele mehr.
„Dort war der Wurm, / der Spuren macht.“
Oder: „Gras verheddert sich in Gras.“
Die haptische Qualität des Buches wurde in jeder bisher erschienenen Rezension gelobt. Und es ist wahr, es liegt so gut in der Hand, passt in jede Handtasche, die Seiten ließen sich – wie im Konzept vorgesehen – tatsächlich leicht abtrennen und als Postkarten verschicken. Nur, hat das wirklich je ein Leser getan? Ich wollte es behalten, und dabei zerfällt es mir.