#Roman

Tante Jelka überfährt ein (Huhn) Hendl

Michaela Frühstück

// Rezension von Beatrice Simonsen

Der Italiener Giovannino Guareschi steht Pate für dieses mit Retrocharme gezeichnete Bild eines burgenländischen Dorfes – wie in Don Camillo und Peppone lebt die Erzählung vom ganz spezifischen „Klima“ des kleinen Orts. Die Journalistin Michaela Frühstück (Jahrgang 1971) hat ihre liebenswürdige Hommage an die Heimat ganz dicht an der ungarischen Grenze angesiedelt.

Die Protagonistin Jelka begegnet uns zuerst nicht als Teta (Tante), sondern als junge Frau, es ist „ungefähr“ 1950. Alles beginnt mit dem Wochenende, als Jelka das Hendl Viktorija überfährt und bei einem Schnaps darüber nachdenken muss, wie es jetzt weitergehen soll. Das Hendl gehört dem italophilen Pfarrer Don Stipe, und der nutzt Jelkas Vergehen schamlos aus, um seiner Leidenschaft für Don Camillo und Peppone zu frönen. In Zukunft wird Jelka mit ihm aus dem verehrten Werk Lesungen abhalten müssen. Aber noch ist die Zukunft nicht da, und wir stehen erst am Anfang der Welt in Mjenovo (Kroatisch-Minihof). Nach und nach lernen wir die wichtigsten „Minihofer“ kennen: die einzige Anarchistin mit dem Gesicht einer Madonna, den holzbeinigen Mesner, die Lehrerin, die Charleston-Kleider aus Fransen-Vorhängen trägt, den liebenswerten Esel mit ausgeprägtem Hang zu Kitsch, den verliebten Koch, der Erdäpfel in Herzerlform schneidet, die schreibende Tischlerin Margit und deren Freundin, die Postlerin Jelka.

Man darf nicht vergessen, dass wir uns im Burgenland kurz nach dem Krieg befinden und dass alles auch irgendwie damit zusammenhängt, dass Mjenovo in der russischen Besatzungszone liegt, dass die Armut groß ist und dass sehr viele Dorfbewohner ihr Glück lieber in Amerika versuchen. Deshalb vielleicht erträumen sich die beiden Freundinnen Jelka und Margit ihre eigene Welt hier am Ende der Welt, wo sie nachts gleich links hinter dem Rübenacker ins „schwarzblaue Schwarzblau“ schauen. Es wird viel geträumt und geschaut und gesehnt, besonders im Augenblick, in dem man bemerkt, „dass sich der Sommer … wie eine in vielen Stunden und ohne Eile bestickte samtene Decke über Mjenovo legt“ (S. 18).
Eine nicht unerhebliche Rolle spielen dabei auch Nussschnaps und Slivovic, die sämtliche DorfbewohnerInnen als Allheilmittel einsetzen. Im unterirdischen Verbindungsgang zwischen Kirche und Wirtshaus werden derartige Vorräte gehortet und nur genossen, wenn die Luft „russenfrei“ ist – ein neutrales Wort, da keine wie immer gearteten Begegnungen verzeichnet werden.

Der historische Hintergrund für die Geschehnisse in der „Sotbend“ genannten und tatsächlich existierenden Straße, in der Margit und Jelka zuhause sind, ist die Auswanderung von Tausenden Burgenländern, unter anderem nach „South Bend“ in Indiana, USA. Die Ausdehnung burgenländischer Geschichte nach Amerika und der Gebrauch vieler originaler Sprachen (darunter echtes Österreichisch samt Übersetzung im „Glossar“) schaffen das Gerüst für die Erzählungen aus dem symbolisch gemeinten Ort Kroatisch-Minihof. Im zweiten Teil des Buches, „Mehr oder weniger 20 Jahre später“, ist Jelka eine „Teta“, Margit mit einem Amerikaner verheiratet und Mjenovo berühmt für seine „Don-Camillo- und-Peppone-Festpiele“.

Zwar stehen die Protagonistinnen Margit und Jelka unverhohlen im Mittelpunkt, doch in immer neuen „Beispielen“ wird vom Leben der anderen, Eltern, Großeltern, Freunden und deren Verwandten erzählt. Die Kapitel tragen Kurzzusammenfassungen als Überschriften wie „Der Koch Jakov ist verliebt. Die Liebesgeschichte seiner Eltern hat mit Gurken zu tun. Don Stipe taucht aus dem Untergrund auf.“ Das Leben hält wohl auch Tragödien bereit, doch werden diese nur auf der Leiter im Birnbaum sichtbar und Tränen schnell mit dem Geschirrtuch getrocknet. Insgesamt verschränkt Michaela Frühstück die handelnden Personen so stark miteinander, dass es vorkommt, dass einer sagt, was der andere gerade denkt. Und die Tischlerin Margit neigt dazu, die Geschichten der anderen schon einmal aufzuschreiben, damit sie auch wirklich passieren.

Praktische Weisheit und poetische Wahrheit zeugen von Lebenserfahrung und schriftstellerischem Talent der Autorin. Michaela Frühstück erzählt in einer unverwechselbaren Mischung aus Klugheit und Naivität, Witz und Poesie in bildhafter Sprache und mit warmherziger Gesinnung. Die Kunst, den sanften und heiteren Ton nie zu verlieren, ohne dabei oberflächlich oder banal zu werden, beherrschen ganz wenige AutorInnen, weshalb das Debüt von Michaela Frühstück ein besonderes ist.

Michaela Frühstück Tante Jelka überfährt ein (Huhn) Hendl
Roman.
Oberwart: Edition Lex Liszt 12, 2012.
160 S.; brosch.
ISBN 978-3-99016-037-4.

Rezension vom 01.06.2013

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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