#Prosa

Tagwan

Franziska Füchsl

// Rezension von Angelika Reitzer

Tagwan las die Rezensentin zuerst als Wandern, Wandeln, Tagwandeln, etymologisch leitet sich der Titel des im Ritterverlag erschienen Textgewebes von Franziska Füchsl vom Tagwerk (Juchart), einem Flächenmaß sowie der (Fron-)arbeit, die in einem Tag getan werden kann, her. In diesem Fall die äußerst lustvolle Arbeit am und mit dem Text.

Nach einem 2018 in der edition mosaik erschienen Büchlein mit dem Titel „rätsel in großer schrift“ (die online verfügbare Leseprobe zeigt konsequente Kleinschrift, verweist auf Zitate von Derrida und lässt durchscheinen, dass die Autorin von Beginn an mit Sprache Literatur geschaffen hat) nun also ein abendfüllendes orchestriertes Werk für Freiluftgelände der 1991 in Oberösterreich geborenen Autorin und Gestalterin Füchsl. Die Autorin ist auch für den Satz verantwortlich und zeigt direkt, wie aus Natur Kultur wird: als Vorsatz/Motto stellt sie ihrem Text den Druck/eine S/W-Zeichnung einer Baumlandschaft voran und ans Ende des Textes (aber vor dem Glos/Glossar) platziert sie ein Webstück/Gewebe in S/W. Das eine geht in das andere über, verwandelt sich, geht daraus hervor. Holz und Stoff bilden den Rahmen, sind aber auch selbst Gewebe.

Füchsls Wortlandschaft ist stark rhythmisiert und äußerst beweglich, der Sog aber geht vor allen von den grandiosen Wortschöpfungen aus, die leicht und genau zugleich sind, mitunter launig, aber viel öfter gute Laune schaffen, es ist kaum möglich, sich diesem Sog zu entziehen, aber warum auch?!

Tagwan teilt sich in drei Wortstriche/Landschaften/Gegenden: Im ersten Teil – „Es sickert mich in die Welt“ (S.16) – sinkt und sickert das Ich in die und versinkt in der Erde, schreibt am Rain, den Rändern entlang um den Acker herum ihr (sein) Tagwerk, dieses Ich ist auch die Sprache selbst, es erschafft sich aus der Erde, erschafft eine (jede) Welt/Erde und vollzieht, was Reinhard Priessnitz im Prosastück „schrauben“ über die Sprache, das Haus des Seins, proklamiert: „gute, alte erde. vertausche zwei buchstaben, und du bist, wo du sein wolltest: rede!“ In der Erde ist alles enthalten, alle Geschichten, verschiedene Welten, auch über den Tag hinaus, überall liegt zu Lesendes (Worte, Sätze) herum. Herum liegen auch die Zeichen, kleine Punkte, Striche, Motive, die an die Ränder der einzelnen Abschnitte gesetzt sind, und die die Distanz zwischen den Worten aufzeigen, indem sie ihr Netzwerk, ihren Zusammenhang aus- und darstellen.

Jeder Laut, jede Silbe ist oder kann Stimmkörper, Material, Materie sein – wobei es nichts Lebloses gibt, sondern nur noch nicht zur Welt gekommenes; Dialekt, Lied, Sagenhaftes wird ganz organisch eingewoben und dem großen Ganzen (Durcheinander Erde) hinzugeschrieben, aufgeklaubt (oder geglaubt, dass) – die Hand lässt sich spitzen wie ein Bleistift, es ist alles Sprache oder eigentlich Sprachkörper – und dies schließt, da Literatur aus Sprache gemacht ist, Geschichten nicht aus.

Im zweiten Teil erscheint Woitsch als Inkarnation von Sprache, er ist von Beruf Flickenschuster oder so, der das Ich vielleicht liebt, d.h. liest, der bei Verletzungen Trost und Linderung zu geben vermag, das Ich als sie (die Perspektive wechselt) wiederum zur Welt bringt. Notwendige Fremdheit (welsche Wörter), Außer-sich-Sein, Heilung – der Haut, die sich ständig erneuert, von außen nach innen erholt, nicht umgekehrt. In Woitschs Welt oder Umgebung ist die Wirklichkeit aus autochthonen und autonomen Büchern gemacht, die tun und lassen, was sie wollen, und sie ist nicht papiern, sondern gefährlich, birgt Risiken, vermittelt sich rasant – wie das besprochene Buch selbst, das sich schließlich ganz und gar ausbreitet zu dem Leben auf einem Platz/Text als Ebene seiner vornehmlich weiblichen Protagonisten. Es ist ein Gemenge von Stimmen, Leben, Leibern (leb- und leibhaft), Stadt und Statt (weil sich die Bettstatt ausweitet auf alle Plätze und Gassen), Landschaften noch einmal (aber eher Ausblicke, wir sind am Marktplatz angelangt, bevor der Tag zur Neige), Sounds und Scans – aber doch choreografiert und orchestriert. Die fließenden, einander abstoßenden, ineinander übergehenden Bewegungen und Blicke (Zeigen ist Festhalten) offenbaren etymologische, lautliche Nachbarschaften, die man immerzu zitieren möchte, weil sie scheinbar assoziativ wie durch alphabetische Zuckungen entstehen, aber inhaltlich viel haltbarer sind als ihnen auf den ersten Blick anzusehen ist (eingeräumt, eingezäunt, sinnieren – stumm summen – die Singstimme feilscht). Allesamt Beweise und Zeichen, dass die Stimme die Persona ist, dass die Stimme spricht und der Körper klingt.

Wenn gegen Ende noch einmal die Bleistiftspitze der Zeichnerin auftaucht, gehört dazu auch der Körper (die Stimme der Autorin), der diese vielstimmige Choreografie aufzeichnet – wenn Zeichen, dann immer durch Zeichen, nicht Beschreibung, sondern Schreibung, keine Bebilderung, sondern Bilder –, aber auch abrundet, der sich anderen Körpern zuneigen (schenken) kann und im Innehalten diesen Tagwan/Tagtraum beenden. Was für ein stimmiges Buch!

Franziska Füchsl Tagwan
Prosa.
Klagenfurt: Ritter, 2020.
146 S.; brosch.
ISBN 978-3-85415-605-5.

Rezension vom 20.05.2020

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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