#Prosa

Tagebuch-Suiten

Alma Mahler-Werfel

// Rezension von Natalie Tornai

Alma (geb. Schindler, verh. Mahler, Gropius, Werfel, 1879-1964) hat Zeit ihres Lebens großen Bedacht darauf gelegt, den Kult und den Mythos um ihre Person zu pflegen. Nichts, was über sie erschien, ging unverändert durch ihre Hände. Das Bild, das sie in der Öffentlichkeit hinterließ, war im wesentlichen davon geprägt, was sie in ihrer umstrittenen Autobiographie „Mein Leben“ (S. Fischer, 1960) zu erzählen geruhte. Als das Buch 1960 erschien, schrieb Willy Haas im Vorwort: „Alma lebte ihr Leben auf eine höchst souveräne Art. Auch ihr Privatleben erschien ihr repräsentativ als das Leben einer bedeutenden Frau unserer Zeit: und das war und ist es in der Tat. Ihr Selbstbewußtsein – auch was das private betrifft – kleidet sie wie keine andere. Es steht jedem Leser frei, der diese Meinung nicht teilt, das Buch nach seiner Art zu lesen, um des rein objektiven Inhalts willen.“

Mehr als 30 Jahre nach ihrem Tod sind nun Aufzeichnungen aus ihren frühen Jahren erschienen, die den Zeitraum 1989 bis 1902 umfassen, also die Jahre kurz vor der Hochzeit mit Gustav Mahler. Auch diese von ihr „Suiten“ genannten Tagebücher hat Alma selbst mehrmals durchgesehen, korrigiert, ergänzt und – „verschlimmbessert“ (die Herausgeber im Arbeitsbericht), da sie ihre eigene Handschrift teilweise nicht mehr lesen konnte (Almas höchst eigenwillige Handschrift bereitete u. a. schon ihrem Ehemann Gustav Mahler Probleme). Anthony Beaumont und Susanne Rode-Breymann haben in mühevoller Kleinarbeit alle Hefte entziffert, durch ausführliche Anmerkungen ergänzt und in beinahe ungekürzter Fassung herausgegeben.

Alma Schindler, zu diesem Zeitpunkt bereits umschwärmtes „schönstes Mädchen von Wien“, dokumentiert darin in einer Mischung aus „nüchterner Chronik und hochexplosivem journal intime“ (Hansjörg Graf) ein Leben inmitten der intellektuellen und künstlerischen Elite des Wien der Jahrhundertwende. Seitenweise zählt sie Namen und Ereignisse auf, die Gründung der Secession ebenso wie sämtliche Theater-Premieren (z. B. Hermann Bahr am Burgtheater) und natürlich – Alma sah sich damals vor allem als Komponistin – die Aufführungen an der Wiener Staatsoper.

Ihr Leben war aufregend und abwechslungsreich, sie hatte in ihrem aufgeschlossenen und gastfreundlichen Elternhaus Gelegenheit, die halbe Welt kennenzulernen. Man war bekannt mit Bertha Zuckerkandl, die damals einen der berühmtesten Wiener Salons führte, Almas Stiefvater war eines der Gründungsmitglieder der Künstlervereinigung ‚Secession‘, die 1898 in Wien gegründet wurde. Mit 19 war sie rasend verliebt in Gustav Klimt – eine Verbindung, die von ihrer Mutter nicht gebilligt wurde -, später trieb sie ihren Kompositionslehrer Alexander Zemlinsky zur Verzweiflung. Ihre Wirkung auf Männer war ihr durchaus bewußt, kokett spielte sie damit. „Mich darf ein genialer Mensch nur mit einem Auge anblicken, so bin ich rasend. Wohin wird das noch führen?“ Alma war vertraut mit moderner Kunst, sie interessierte sich für zeitgenössische Musik (Wagner verehrte sie abgöttisch) und ihre Lektüre reichte von Aischylos bis Nietzsche und Darwin. Doch war ihr das Dilemma einer klugen Frau bewußt: „Warum lernt der Bursche denken und das Mädchen nicht? […] Das sollten die Frauen anstreben: Die Emancipation der Frauen ist nicht möglich, wenn ihr Gedenken nicht systematisch geschult, gedrillt wird.“

Ihre Aufzeichnungen lesen sich neben den zahlreichen Ausbrüchen über wechselnde Verliebtheiten samt zugehöriger Verzweiflung oder Jubel („odio et amo“) in erster Linie als authentischer Bericht einer Zeitzeugin, dessen Reiz sich auch daraus ergibt, daß er so uneingeschränkt subjektiv ist. Man erfährt auf der Suche nach neuen Erkenntnissen über die Person Alma an einem Tag ihre – gespielte? – Verzweiflung über ihre Oberflächlichkeit („Und doch – ich habe das Gefühl, nichts geht tief bei mir. Ich bin im wahrsten Sinn des Wortes ‚Halbnatur'“), am nächsten Tag liest man im Brustton der Überzeugung: “ […] und die Zeitungen. Überall ist meine Schönheit betont, meine Jugend – u. mein musikalisches Talent. Im Fremdenblatt steht, daß ich geistreich bin. Ach Gott – u. was noch nicht alles!“ (aus den Zeitungsberichten, die anläßlich ihrer Verlobung mit Gustav Mahler erschienen, 27.12.1901)

Im Januar 1902, kurz vor ihrer Hochzeit mit Gustav Mahler, brechen die Aufzeichnungen ab. Über den Einfluß ihres berühmten Ehemannes auf ihr eigenes musikalisches Schaffen wurde viel gerätselt. Grund dazu war vor allem ein Brief Mahlers, den er am 19. Dezember 1901 an seine Zukünftige schrieb: „Aber daß Du so werden mußt, ‚wie ich es brauch‘, wenn wir glücklich sein wollen, mein Eheweib und nicht mein College – das ist sicher! Bedeutet dies den Abbruch Deines Lebens und glaubst Du auf einen Dir unentbehrlichen Höhepunkt des Seins verzichten zu müssen, wenn Du Deine Musik ganz aufgibst, um die Meine zu besitzen, und auch zu sein?“ Alma reagierte zunächst wütend, verzweifelt – „Ich habe das Gefühl, als hätte man mir mit kalter Faust das Herz aus der Brust genommen.“ Doch schon am nächsten Tag notiert sie: „Ja – er hat recht. Ich muß ihm ganz leben, damit er glücklich wird.“ Alma kämpft mit den zwei Seelen in ihrer Brust: „Ich bin zwei, ich weiß es. […] Ich muß die Andre bannen. Die, die bis jetzt geherrscht hat – sie muss hinab. Ich muss alles thun, um Mensch zu werden. Alles – mit mir geschehen lassen.“ Alma hatte die Wahl – und sie entschied sich für das Leben an der Seite eines berühmten Mannes. Die später auch durch sie selbst betriebene Mythenbildung um das „Komponierverbot“ läßt sich durch die nun vorliegenden Aufzeichnungen nicht untermauern. Der Rest ist Spekulation.

Alma Mahler-Werfel Tagebuch-Suiten
Tagebücher.
Hg.: Antony Beaumont, Susanne Rode-Breymann.
Frankfurt am Main: S. Fischer, 1997.
862 S.; geb.
ISBN 3-10-046106-1.

Rezension vom 18.02.1998

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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