Zolly – als Konzeptkünstler arbeitet er je nach Projekt graphisch oder mit Video, Installation, Objet trouvé, mal dokumentarisch, mal flüchtig subjektiv – will nicht erzählen, sondern Zustandsbilder reflektieren, wiedergeben; Frottagen, Assemblagen und Collagen zeigen paradigmatische Ausschnitte, in denen nicht der eine Satz entscheidet, sondern der Gesamtimpuls, und zugunsten einer Studie in Zustandsgebundenheit wird hier ein Tableau erstellt, wo sonst die Chronologie einer Erzählung vorherrscht. Hier wird aufgedröselt, was sich sonst linear verhält und abspult in inneren Monologen und Kausalitäten, die Zolly kaum berühren: er zoomt auf Gleichzeitigkeit, und da sind andere Parameter möglich. Worum aber geht es?
Die lokalen und zeitlichen Angaben lassen den Notat-Charakter erkennen, Triviales hat gleich viel Bedeutung wie Weltpolitik, eine Differenzierung oder Gewichtung ist demonstrativ ausgesetzt. Wetternachrichten, Fernsehprogramme betreiben ihre Inventuren nach einem aleatorischen Prinzip, das anonyme Ich des Textes konfrontiert sich und den Leser mit Börsendaten, Temperaturangaben, historischen Fakten, die Zolly ohne Frames montiert: „na klar, und sind wir noch immer im Prolog?“ (S. 64); vielleicht also will Zollys Mischung aus Écriture und Text-Montage nicht über diesen Prolog hinaus, eher davor zurück?
Zolly praktiziert ein Verfahren, das dem Zappen durch Kanäle oder auf Blogs und Webcams gleicht, das jede Nachricht neutralisiert und flach hält. Dazwischen erfolgen Hinweise in der Diktion einer Regie-Anweisung, machen den Text zur Inszenierung, setzen in Szene: „Zur selben Zeit. Online“ wird der Text so zum Cluster, zu einem großen Akkord aus Werbung und Konsum, verzweifelter Suche nach Authentizität und Glaubwürdigkeit. Proust steht neben Pop und Punk, der Warencharakter von Sexualleistungen neben der Sehnsucht nach dem Geborgenheitsmoment, Splitter von Mythen werden mit isolierten, aus Zusammenhängen gelösten Sätzen konfrontiert: „Ein Fernheizwerk in einem Wald“ (S. 75). Entsprechend häufig sind Aufzählungen, Listen, Reihen, Agglomerate aus Daten, Fakten, Zahlen, selten dagegen Verba, die Aktionen ausdrücken und verbinden, für das Wahrgenommene Zusammenhänge erstellen könnten; sie finden sich, ebenso wie Städtenamen, in einer Aufzählung auf S. 29 isoliert.
Manches klingt nach aktionistischer Stage-Action: „Ein Plastiktruthahn wird von nackten, blutüberströmten, auf allen Vieren kriechenden Menschen über die Bühne gezogen. Kapitel abgeschlossen. Projektionen, Lärm. Fahnen werden geschwungen. Menschen urinieren.“ (S. 76)
Das erinnert an Wiener Gruppe, auch an Texte wie Oswald Wieners „verbesserung von mitteleuropa, roman“, die die Kommunikation im Sinn auktorialen Erzählens verweigerten, den Erzählrahmen erst gar nicht herstellen wollten. Wo aber bei Wiener der fundamentalistische sprachskeptische Überbau bloßgestellt wurde, wo es um das Zertrümmern der Wahrnehmungsformen und Regulationsmechanismen ging, die der Sprache als scheinbar logischem Gefüge innewohnen, geht es bei Zolly um die sensible Bestandaufnahme eines Ist-Zustands, der vielleicht über das Subjekt hinaus gilt, ohne dass dieser Anspruch zwingend erhoben würde. In diesem Sinn ist der Text Elegie, Trauer, Abgesang aus Schmerzsensibilität, wird als Apell dem gegenwärtigen Überschwappen gesättigter Lösungen aus Infotainment und hoffnungslos Banalisiertem entgegengestellt: als Bild, als Zeichnung, Diagramm.
Horoskope, Science Fiction, Zeitgeschichte ebenso wie Antiken-Rezeption werden collagiert, Fremdtext in mehreren Sprachen findet sich einmontiert, Nachrichtenmeldungen werden mit Schnappschüssen aus dem Alltag gegen geschnitten. Was Zolly sucht, jenseits der medialen Wahrnehmungswelt vorm Flachbildschirm, isoliert und abgeschnitten von der gezeigten Wirklichkeit, das findet sich erst außerhalb von Zeichenkontexten in einer anderen Unmittelbarkeit: „aber was geschieht hier, jetzt, heute“ (S. 55), fragt der Text, in einer Einzelzeile so für sich gesetzt, und antwortet darauf wiederholt mit Chiffren wie der folgenden: „Musik. Soul. (…) Stille.“ (S. 46f)