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Südbalkon

Isabella Straub

// Rezension von Barbara Rieger

Herr Jesus Springt, der Text, mit dem Isabella Straub den FM4-Wortlaut-Literaturpreis 2011 gewonnen hat, beginnt mit einem Spiel zwischen Raul und Ruth. Wer findet die beste Antwort auf die Frage: „Wo ich niemals leben möchte“; oder auch: „Wo ich niemals sterben möchte.“ Wir begegnen dem Spiel und den Protagonisten wieder im Romandebüt der 1968 in Wien geborenen Autorin, die seit zwanzig Jahren in Kärnten lebt. Sie hat nach einem Germanistik- und Philosophiestudium als Journalistin gearbeitet und ist heute als selbstständige Werbetexterin tätig.

Offensichtlich versteht sich die Absolventin der Leondinger Akademie für Literatur (2008/2009) nicht bloß auf das Verfertigen von Literatur, sondern auch auf das Präsentieren ihrer Arbeit. Dabei ist die bemerkenswert starke Medienpräsenz des Debüts nicht nur dem professionellem Auftritt der Autorin in eigener Sache verdankt, vielmehr ist der in der Blumenbar-Reihe des Aufbau Verlages erschienene Roman ein Stück handwerklicher Präzision, das überdies gut lesbar und von vielschichtiger Thematik ist.

So überrascht es nicht, dass man in den bereits erschienen Besprechungen Beschreibungen finden kann, die sich teilweise widersprechen. In Südbalkon könne eine „fantastische Gedankenwelt“ ebenso gefunden werden wie eine „ernste Angelegenheit“, Skurriles und Groteskes ebenso wie „sozialer Sprengstoff“. Der zwischen Tragödie und Komödie anzusiedelnde Roman werde mit viel Sprachwitz vorgetragen, dessen Humor einmal als „bösartig“ empfunden, dann als „ohne Bösartigkeit“ charakterisiert wird. Vom Text, dessen Ton zwischen „Lakonie“ und „Galgenhumor“ angesiedelt sei, gehe „Suchtgefahr“ aus. Es fällt nicht schwer, Begründungen für die Urteile der Berufsleserinnen und -leser zu finden.

Die Geschichte erzählt Ruth Barbara Amsel, eine gescheiterte Medizinstudentin, zwischenzeitliche Gestalterin von Todesanzeigen und nun arbeitslos. Sie behauptet von sich: „Ich bin so programmiert, dass ich nur Leute belügen kann, die ich kenne.“ Unwillkürlich habe ich mich nach der Lektüre ihrer Erzählung gefragt, womit sie mich belogen haben könnte.

Südbalkon bugsiert einen also beinahe unbemerkt in eine Haltung der Skepsis, die heutzutage durchaus vernünftig erscheinen mag. Glaubhaft jedenfalls und authentisch wirkt das Personal in Südbalkon. Da ist Ruths programmierender Freund Raul, der Geschäftsideen hat und aus etwas unklaren Gründen ins Krankenhaus kommt; die mit einem wohlhabenden Mann verheiratete Maja, beste Freundin Ruths, für die „Diplom Existenzberaterin gilt, Ehrlichkeit ist was für Feiglinge“. Die Eltern Ruths leben in einer Dreierbeziehung, in der dem Monopoly-Spiel eine besondere Rolle zukommt. Außerdem gibt es noch Herrn Othmar, „ein Verwalter des Scheiterns“, von der „Gesellschaft für Wiedereingliederung“, P. Gerfried, ein musikalischer und siebenseidiger Krankenhausseelsorger – insgesamt ein Panoptikum alltäglicher Menschen. Sie alle leben in einem fiktiven Wien und dessen Umgebung, werden so treffend beschrieben, dass ihre Pendants in der Realität ungerufen den Kopf des Lesers bevölkern und Schreckstarre oder Lachanfall auslösen.

Die Fäden werden von Ruth zusammengehalten. Sie lebt von der Sozialbeihilfe, die sie von der „Gesellschaft für W“ erhält, unterstützt damit noch Raul, den sie in Verdacht hat, sie zu betrügen. Sie verdächtigt Maja, nimmt lieber den Putzfetzen als ihr Schicksal in die Hand und schreibt eine Art Tagebuch, in dem sie Notizen über Menschen sammelt. Dabei hat Ruth eine Vorliebe für spezielle Orte, die Isabella Straub laut einem Beitrag im ORF „Fake-Orte“ nennt. Sie erinnern deutlich an die Nicht-Orte des französischen Anthropologen Marc Augé, deren Eigenart unter anderem im Fehlen einer Identität besteht und zumeist monofunktional genutzt werden. In Südbalkon sind diese ein Krankenhaus, die Büros der „Gesellschaft für W“, das Küchenstudio eines Möbelhauses, der Esoterik-Verkaufsraum an einer Tankstelle. Doch selbst Ruths und Rauls Wohnung in der unaussprechlichen Przewalskistraße und das Wohnhaus der Eltern in Unterbruchstetten zeichnen sich durch eine für Nicht-Orte angeblich typische kommunikative Verwahrlosung aus. Ein Gebäudekomplex in Wien wird schließlich so kommentiert: „Hier möchte ich weder leben noch sterben.“ In gewisser Weise wird so der Roman zu einem geistreichen Architekturführer.

Ruth ist eine durchaus sympathische Figur. Sie ist schwach, hat aber Verstand und Witz. Sie bemerkt, dass bei der Wohnungssuche auf den „Idiotie-Durchdringungsgrad in der Nachbarschaft“ zu achten sei, und stellt gegen Schluss des Romans fatalistisch fest: „Was ich jetzt brauche, ist eine Überdosis fremdes Unglück. Weshalb gibt es das nicht auf Rezept zu kaufen?“ Tatsächlich schafft es die Autorin, aus der Geschichte dieser Frau eine leichtfüßige Betrachtung über das Leben im Präkariat zu schreiben. Nach dem Besuch im Esoterikladen wird wieder eine Wohnung im Wohnturm unter fadenscheinigen Vorwand aufgesucht. Sie hat einen Südbalkon, dem einige Bedeutung zugeschrieben wird. Wir erinnern uns wieder an den Gewinnertext des Wortlaut-Literaturpreises: Herr Jesus Springt.

Südbalkon.
Roman.
Berlin: Blumenbar | Aufbau Verlag, 2013.
264 Seiten, gebunden.
ISBN 978-3-351-05002-3.

Homepage der Autorin

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autorin

Rezension vom 01.06.2013

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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