Ferdinand Schmatz‘ STRAND DER VERSE LAUF ist ein Langgedicht, in dem der Dichter nach quellen, jenem Gedichtband die Donau entlang (der Rezensent der NZZ nannte den Autor einen „Wildwasserfahrer“), sich wiederum ans Wasser begibt – diesmal als „wahrnehmendes Bewusstsein durch die bewegte Landschaft einer Meeresküste“ (Eder) – und ein lyrisches Programm des im-Fluss-Seins, im flow auf leichtfüßige, tiefgründige und wie immer höchst musikalische Weise (soghaft, tänzelnd) verwirklicht.
Der Avantgardist Schmatz reiht sich mit diesen Versen selbstverständlich und nicht ohne zeitgenössisch unumgängliche Ironie oder zumindest Witz (der Läufer/Dichter „erstiefelt“ sich das Land) einmal mehr unter die größten Dichterinnen und Sänger, als solcher „munter bereit oben zu singen / die leier aber schlägt mir unten gegen das knie“.
Der Läufer am Strand inventarisiert Landschaft, Strandgut, lyrisches Erbgut, er assoziiert, er läuft und ver-läuft sich, strandet und träumt, er schreibt die Körperlichkeit der Körper und der Sprache fulminant; die Wahrnehmungen gehen in den Körper über, die Umgebung wird Teil des Erzählers, des Erzählten, der Strand wird zu Versen, immer wieder und auf scheinbar spielerische Weise werden die Grenzen zwischen Landschaft sowie deren Inventar und eigenem Bewusstsein überwunden wie auch die Grenzen zwischen Wortteilen, Wörtern und Zeichen aufgelöst werden, um weitere, oftmals überraschende, mitunter witzige Sinnschichten freizulegen oder zumindest das rezipierende Schauen da hin anzuregen. Ebenso poetisierend verhält es sich mit Klangähnlichkeiten (z.B. aufräumen, einreimen).
Die Meeresküste entlang ist die „REICHWEITE DER REALITÄT“ dieser Lyrik, auch wenn das Bewusstsein des Läufers weit darüber hinausgeht und es so wirkt, als verhielte sich das Gedicht wie das Echo des eigenen Ich (suggeriert der Klappentext) – so weiten sich diese Verse doch in einem größerem Raum aus.
Dies ist nicht einfach ein schöner Tag am Meer, der mit dem Sonnenuntergang am Horizont seinem Ende zugeht (das auch), die mit Uhrzeiten zitierte Chronologie beinhaltet Gleichzeitigkeiten des Erinnerten, Unmöglichkeiten des Beabsichtigten, Kontinuitäten und Wiederholungen, mit leichtestem Strich das alles, aber auch dramaturgisch gestaltet. Und dann doch wieder: In der „HYBRIDSPHÄRE“ geht deutlich gezeigt (gesagt) und sichtbar das Schauen ins Geschaute, die Verkörperung der Verse auf den Dichter / in Dichtung über: „reiss ich die augen auf reisst es mir die lider hoch“ – oft genug Sandkörner im äußeren und inneren Auge; vorbereitet durch die Stimmritze, Stimmbänder oder Mundstück der Flöte im Wind.
Welches Du spricht der Dichter an, fragt man sich auf den vorderen Seiten, fühlt sich nicht so direkt angesprochen, um im Verlauf einiger Verse einer Vereinigung in synästhetischer Liebeslyrik oder einem Farbenliebesspiel beizuwohnen. Mit diesem Du – in der Luft – entwickelt das Wir auch eine sanfte Beständigkeit.
Es ist weniger Durchlässigkeit (oder vielleicht: nicht nur), auf die diese Lyrik hinzielt, die sich über Vögelchen, Vögel (Amseln, Möwen, andere) und die einzelnen Elemente den Luftraum erobert, sondern die ganze Luft, in der die Verse, die Dichtung und schließlich der Dichter aufgehen, ins vollkommen Helle, ins gänzlich Offene. Die letzte Überschrift („LICHT“) ist kein Abschluss, sondern ein Anfang und Aufbruch.