#Lyrik

Stille Kometen

Angelika Stallhofer

// Rezension von Astrid Nischkauer

Angelika Stallhofer schreibt kurze, kompakte und interpunktionslose Gedichte, die kometengleich in der Mitte des Universums der jeweiligen weißen Buchseite platziert sind. Kometen haben ihre Umlaufbahn, sie mögen still sein, stehen dabei aber keineswegs still, sondern sind permanent in Bewegung. Auch die Gedichte Angelika Stallhofers sind bewegt, aber nicht hastig oder hektisch, sondern in sich ruhend, still, was kein Widerspruch ist, man denke nur an das wogende Meer und den sich windenden Wind. Und zu wachsen ist ebenfalls eine Bewegung, auch wenn diese zumeist eher unbemerkt vonstattengeht:

„ich warte
und wachse
über das Gras“

Man könnte auch sagen, Angelika Stallhofer schreibt Aphorismen in Gedichtform. Vielleicht hängt das damit zusammen, dass im deutschen Sprachraum, im Gegensatz zum englischen oder spanischen, aktuell kaum Aphorismen geschrieben und rezipiert werden, während die Lyrikszene höchst aktiv ist. Aphorismen zu schreiben ist eine Kunst für sich, die man nicht unterschätzen sollte. Angelika Stallhofers Gedichte haben die dafür nötige Prägnanz und Pointiertheit, sie formulieren in einem Atemzug und wissen dabei doch immer zu überraschen und unerwartete Wendungen einzuschlagen. Und sie zeichnen sich durch Witz und ungemeines Sprachgefühl aus. All das sind Qualitätsmerkmale guter Aphorismen, wie ich sie beispielsweise von Ian Hamilton Finlay (Schottland) oder Carmen Canet (Spanien) kenne und liebe. Doch durch die Zeilenumbrüche und die Gliederung in Strophen werden bei Angelika Stallhofer aus möglichen Aphorismen Gedichte – aphoristische Gedichte.

„Worte
diese Wasserstellen“

Die Gedichte sprechen über Wunden, Angst und Schmerz. Das Ich zeigt sich in seiner Verletzlichkeit und ist sich dabei zugleich bewusst, dass auch die eigenen Worte Verletzungen zufügen können:

„Wunde

Vorsichtig
setze ich
ein Wort
vor das andere“

In den Gedichten haben wir es mit einem in Sprache lebenden Individuum zu tun. Gleiches lässt sich von der Autorin Angelika Stallhofer sagen. Ihre Gedichte wirken, als wären sie aus einer inneren Notwendigkeit heraus entstanden, als könnte Angelika Stallhofer gar nicht anders sein als in der Sprache und durch die Sprache.

„Wir die wir
in Worten wohnen“

Der Band ist in fünf Kapitel gegliedert: Brennen, Wasserstellen, Surren, Schlingen, Schwebebahn. Den Kapiteln sind Collagen von Andrea Zámbori vorangestellt, die von den Motiven und der Farbgebung her (blau, pink, backpapierbraun, fein rosa liniert, und ein wenig gelb) zusammenhängen und in gewisser Hinsicht auch einen zusätzlichen erzählerischen Bogen über den Band spannen. Einerseits bringen sie Neues und Eigenes in den Band, andererseits beziehen sie sich aber auch sehr direkt und auf verschiedenen Ebenen auf die Gedichte Angelika Stallhofers. Als Beispiel möchte ich die Verwendung des fein rosa linierten Papiers anführen, das in jeder der fünf Collagen großflächig oder auch nur ganz dezent in einem kleinen Detail vorkommt. Mit der Verwendung dieses linierten Papiers nimmt Andrea Zámbori Angelika Stallhofer beim Wort und damit bei aller Verspieltheit, die ihre Collagen ausstrahlen, sehr ernst:

„Was ich werden wollte
Groß und liniert
(nicht klein und kariert)“

Die titelgebenden stillen Kometen kann man mit etwas Phantasie am Cover entdecken, wesentlich präsenter ist jedoch Wasser, das immerhin in zwei von fünf Collagen auftaucht. Das ist insofern schlüssig, als auch in den Gedichten nur einmal kurz stille Kometen vorkommen, während das Meer häufig angesprochen wird und auch oft die fließende oder wehende Bewegung von Wasser oder Wind vorkommt. Bis auf das Cover zeigen die Collagen Gegenständliches: Füße die auf Stelzen durchs Wasser waten, ein Tier, das vor einem Berg vorbeischnürt, zwei Füße einer eben ins Wasser abtauchenden Person, ein von Vögeln und einer Wolke umgebenes großes Haus und ein Fuchs und eine Eule, die aneinander gekuschelt in einem Zimmer schlafen. Im Ganzen fügen sich die Arbeiten von Andrea Zámbori sehr harmonisch in den Band. Sie reagieren auf die Gedichte und kommunizieren voll Selbstvertrauen mit ihnen auf eine sehr feine Art und Weise.

Betrachtet man den Band als Ganzes, lässt sich über die Kapitel hinweg eine Binnenerzählung herauslesen. Im ersten Kapitel „Brennen“ überwiegen Empfindungen wie Angst, Schmerz, Unsicherheit und Verzweiflung. Gleich das erste Gedicht beginnt mit den Worten: „Ich bin allein“, es wird geheult wie ein Schlosshund und auf Stelzen durchs Wasser gewatet. Das Ich gibt jedoch nicht auf, sondern versucht mithilfe der Sprache und Mutmachgedichten sich gewissermaßen am eigenen Schopfe aus der Verzweiflung herauszuziehen:

„Spiegel

Nimm
die Angst
an die Hand
und geh weiter“

Im zweiten Kapitel „Wasserstellen“ ist das Ich weiterhin alleine, findet aber Trost bei den Worten, die ihm eben Wasserstellen sind, und wird von einer großen Müdigkeit übermannt:

„vielleicht bin ich
nur geträumt“

Das dritte und damit mittlere Kapitel „Surren“ lässt sich als kleines Intermezzo lesen, in dem es immer noch ums Alleinsein geht, aber diesmal in Verbindung mit Innehalten, Selbstvergewisserung und einer Bestandsaufnahme:

„Die Zitronen sind gezählt
und die Rosinen“

Das vierte Kapitel „Schlingen“ katapultiert uns nach Italien, wo das Ich zur Ruhe kommt. Und neben dem Ortswechsel kommt es noch zu einer wesentlich weitreichenderen Veränderung, denn plötzlich ist da noch jemand, ein Du und damit hat das Alleinsein ein Ende und:

„Die Tage beginnen
zu leuchten“

Dieses Du scheint gekommen zu sein, um zu bleiben, schließt doch der Band mit dem letzten Kapitel „Schwebebahn“ mit einem ganzen Reigen an Liebesgedichten.

„Ohne dich

singen die Vögel nicht
schweigen die Möwen
staubt das Meer“

Im letzten Gedicht stiehlt dann ein Vogel eine Erdbeere, statt das Blaue zu singen. Dieses Gedicht sei eine „Antwort auf das Motiv ‚Strawberry thief‘ von William Morris“. Dabei handelt es sich um ein Stoffdruck- und Tapetenmuster, das William Morris sich 1883 patentieren ließ. Damit öffnet sich der Band mit dem abschließenden Gedicht und weist mit wenigen Worten weit über sich selbst hinaus. Das Muster zeigt zwei verschiedene Vögel, den frechen Erdbeerdieb und einen anderen, der den Schnabel weit aufgerissen hat und wohl gerade singt. Dass dieser andere Vogel im Gedicht von Angelika Stallhofer „das Blaue“ singt, lässt sich einerseits auf den dunkelblauen Hintergrund des Musters beziehen, andererseits schwingt darin natürlich auch der englische Ausdruck „to sing the blues“ mit. Rückblickend von diesem letzten Gedicht aus lässt sich der Band Stille Kometen auch als Erzählung eines Heilungsprozesses lesen, haben die ersten beiden Kapitel doch noch „den Blues“ gesungen, während sich die letzten beiden Kapitel dann eher auf die Seite des frechfröhlichen, lebensbejahenden Erdbeerdiebs schlagen.

Kurzum: ein Gedichtband, der mit wenigen Worten viel zu sagen hat.

Stille Kometen.
Gedichte.
Mit Illustrationen von Andrea Zámbori.
Wien: edition ch, 2022.
74 Seiten, broschiert.
ISBN 978-3-901015-76-2.

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autorin

Rezension vom 20.06.2022

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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