#Roman
#Debüt

sterben üben

Katharina Feist-Merhaut

// Rezension von Jakob Kraner

In der Ruhe liegt die Kraft. Katharina Feist-Merhaut möchte etwas über das Sterben lernen. Also unterhält sie sich mit ihrer Großmutter und schreibt alles auf. Nur selten gelingt es, dass ein Buch eine so körperliche Unmittelbarkeit und Wirkung entfaltet. Ein Text von höchster Transparenz, der unaufgeregt über die größte Zumutung des Daseins nachdenkt: über dessen Endlichkeit.

Die Autorin will einen Dialog mit ihrer Großmutter über das Sterben beginnen. Immer wieder kommt sie auf Besuch, setzt sich ins Wohnzimmer und sammelt Großmutter-Sätze. Die Enkelin zitiert, lässt die Großma – wie sie neben Großmutter und Oma im Buch gerne genannt wird – sprechen und beschränkt sich selbst vorerst auf Kommentare. Merhaut denkt sich ihren Teil und zieht dabei mitunter auch den Dialogprozess selbst in Zweifel, zeigt seine Grenzen und Schwierigkeiten.

Die Großmutter-Welt wird in der Art eines Stilllebens ausgebreitet. Wir lernen die alte Frau kennen, ihre Schmerzmedikation und ihre Saunagewohnheiten, ihre Beziehung zu Blumen, zu den Nachbarn und den verstorbenen Ehemännern. Auch über die Autorin und ihre Familie erfahren wir nach und nach mehr Details, doch es geht in diesem Buch nicht um ein Familienporträt. Vielmehr geht es ums Sterben: „wir sagen einschlafen, weil es friedlich klingt“ (S. 13), so die Großma.

Das Kreisen um das Sterben ist dabei manchmal direkt und konkret. Im Wohnzimmer der Oma fachsimpeln die beiden Frauen über den spezifischen Zungenbelag der frisch Gestorbenen oder über die klangliche Qualität des Todesaktes – wie hört sich das eigentlich an, wenn jemand stirbt? Später wird es reflexiver und schließlich holt sich der Text selbst ein: Die Enkelin liest der Großmutter vor, was sie bisher geschrieben hat. Außerdem hat sie Texte anderer Autor:innen über den Tod im Gepäck, von Friederike Mayröcker bis Hélène Cixous. Die Großma ist nicht immer besonders beeindruckt und holt gelegentlich die geistigen Höhenflüge auf den Boden zurück: „glaubst du eigentlich, wenn du jetzt ältere Menschen siehst, dass die über so was nachdenken? Die haben nur Angst vor dem Tod, aber nehmen keine Analyse“ (S. 41)

Dann gibt es da noch die verstorbenen anderen Großeltern und deren Suizid bzw. Suizidversuch. Ein Nebenstrang, der früh angedeutet wird, lange im Hintergrund bleibt und sich in der zweiten Hälfte des Buches auf bedrückende Weise verdichtet. Ganz nebenbei wird dabei auch die Frage des Patriarchats gestreift und ruhige Bilanz über seine unbemerkte Internalisierung gezogen.

Gegen Ende hin weicht das Stillleben der Dynamik der zunehmenden Gebrechlichkeit. Der Großmutter geht es schlechter und sie bittet die Enkelin um Hilfe. Es geht um die Frage der Pflegearbeit, um die damit verbundene Intimität und auch die Widerstände dagegen.

Der Text wird narrativer und ganz zum Schluss geben die Zeilen plötzlich mehr Weißraum frei, lassen viel Platz zum Atmen und zum Wirken – ein ungemein behutsames und eindringliches Ende, dem man sich kaum entziehen kann.

sterben üben ist ein im besten Sinne absichtsloser Text. Das schreibende Ich will etwas über das Sterben lernen und gerade dadurch, dass diese „nicht uneigennützig[e]“ (S. 32) Motivation niemals verhüllt, sondern schon auf der ersten Seite offengelegt wird, gelingt es dem Text, ein Medium zu werden, das sich ganz seinem Gegenstand und seinen Protagonist:innen hingibt.

Ohne Kitsch wird die Liebe und Innigkeit zwischen Großmutter und Enkelin dargestellt, so wie auch ihre kleinen Unstimmigkeiten und Disharmonien ohne großes Drama ihren Platz haben dürfen. Die Wünsche der Autorin nach einem erkenntnisreichen und relevanten Dialog mit der Großma laufen manchmal ins Leere: Bloß weil es um den Tod geht, ist die Beschäftigung damit nicht unbedingt eine große Sache, sondern versiegt bisweilen in der Plumpheit und dem Nebel des Alltags. Auch dieser Tatsache gibt die Autorin Raum und erlaubt sich in diesen Momenten, selbst nicht weiter zu wissen, den Faden zu verlieren. Genau dadurch gewinnt der Text seine Echtheit, seine Eindringlichkeit und ruhige Intensität.

Die letzten Fragen werden ohne die Erhabenheit und Überhöhung angegangen, mit denen wir oft versuchen, sie uns auf Abstand zu halten. Wie das bunte Cover wissen lässt, ist sterben üben trotz seines Gegenstandes kein schweres, ja nicht einmal ein besonders ernstes Buch.

Vielleicht ist es für Menschen, die selbst einmal ein Großelternteil auf dem letzten Weg begleitet haben, schwer, etwas halbwegs Objektives über sterben üben zu sagen. Zu sehr vermag der Text die eigenen Erinnerungen heraufzubeschwören, die bald schon den Raum bevölkern, bis man nicht mehr weiß, wo man selbst aufhört und wo der Text anfängt. Man schlägt das Buch auf und das Thema ist in einer fast schon körperlichen Präsenz zu spüren.

Vielleicht zeigt genau diese Wucht der Affekte aber die Qualität des Textes. Der Blick dieses Buches auf seinen Gegenstand ist so unverstellt, wie es nur selten gelingt. Das mag auch der Gattung geschuldet sein. Der allgemein bekannte Trend von Verlagen, schier jeden Text am Buchdeckel als Roman zu bezeichnen, hat auch vor diesem Buch nicht haltgemacht; und das wäre vielleicht das Einzige, was sich kritisieren ließe. sterben üben ist am ehesten als literarischer Essay zu bezeichnen und darin um nichts weniger fesselnd oder unterhaltend als ein Roman. Diese freie Form ist auf eine Weise die direkteste literarische Gattung, die es gibt, und keine andere wäre dem Thema und dem Anspruch der Autorin angemessener gewesen.

 

Jakob Kraner, geboren 1986, aufgewachsen im Waldviertel, lebt seit 2005 in Wien. Er studierte Philosophie an der Uni Wien und Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst in Wien. Er schreibt Prosa(miniaturen), Essays und dramatische Texte, macht Lesungen, Literaturperformances und Musik. Zum Beispiel: Die Theaterstücke Versuch, irgendetwas zu verstehen für das Waldviertler Hoftheater (2023) und Jolt für das Nachwuchsprojekt des Garage-X-Theaters (2012) ; interdisziplinäre Projekte für das Viertelfestival Niederösterreich, zuletzt ROA! (2023), FLÄCHE – literarische Live-Doku mit Matthias Vieider, uraufgeführt im Literaturhaus Wien (2016). Teil der Literaturpunkband Smashed To Pieces. Seit 2012 Mitorganisator der Schreibwerkstatt Waldviertel.
Zuletzt mit einem Projektstipendium des BMKÖS und dem Kulturpreis der Landes Niederösterreich 2023 ausgezeichnet. Fellow am Schloss Wiepersdorf, Brandenburg (2024). Veröffentlichungen in Zeitschriften und Anthologien wie Triëdere, Schreibheft und kolik. 2022 erschien sein Buchdebüt Kosmologie in der Reihe „Rohstoff“ bei Matthes & Seitz.

Katharina Feist-Merhaut sterben üben
Roman.
Salzburg: Otto Müller Verlag, 2025.
140 Seiten, kartonierter Pappband.
ISBN 978-3-7013-1327-3.

Verlagsseite mit Informationen zu Buch und Autorin sowie einer Leseprobe

Rezension vom 03.06.2025

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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