Isabella Feimer nimmt uns in stella maris mit in eine Raumkapsel. Deren Passagiere? Jaques, Inès, Raul, ein namenloser Captain und Eva: die Urfrau. Sie flackern, sind nicht fassbar in ihrer Art. Doch da ist diese eine rote Tür im Raumschiff, ein Portal zu Evas Erinnerungsfetzen. Sie kennt sie, fürchtet sie, und doch nähert sie sich ihr an: „ich sehe die rote Tür, sehe, wie ich damals, in der alten Welt, ihr gegenüber saß, sehe die exakte Distanz zwischen meinem Platz und der Pforte, ich schließe die Augen, damit sie wieder verschwindet, doch sie verschwindet nicht […] darin ein strahlender Punkt […] ich hebe die Hand nach dem Stella maris, greife nach ihm […].“ Das Ergreifen des Leitsterns führt sie in die Straßen Roms, und in die Arme von Luigi, Joe und der Signora.
Die Erinnerung an diese Begegnungen bleibt nicht folgenlos. In Evas Gedanken stößt ein Blick in die Vergangenheit den nächsten an. Die lose aufgestellten Dominosteine ihres Gedächtnisses fallen einer nach dem anderen und offenbaren längst vergessene Leiden: „ich sagte, du, Luigi, erinnerst mich an jemanden, den ich in einem früheren Leben traf, der mich traf, mit einer Speerspitze in mein Herz stieß, damals, ich will seinen Namen denken, doch ich erinnere mich nicht, alles schon einmal dagewesen, selbst die Einzigartigkeit unserer Begegnung, selbst dieses Nichts […].“ Den Eindruck der Austauschbarkeit verstärkt Feimer durch die restliche Figurengestaltung. Raul, der Captain, Inès, Luigi oder Joe, mit all diesen Namen verknüpfen die LeserInnen nichts. Sie sind nur kleinere und größere Wellen im unendlichen Meer von Evas Existenz. Sie beachtet sie nur als Anlegepunkte für ihre Gefühlswelt: „ich suche die unappetitliche Gier nach Leben in seiner primitivsten Form, dem Fleisch, […] bin Menschenfresserin, kann es sein, wenn man mich lässt, […] kosten will ich von allem, was sich mir in den Weg legte, was außerhalb des Himmels ist“.
Die LeserInnen sind ZeugInnen dieses Verzehrens. Evas Durst nach Erfahrungen – egal ob längst vergangener oder eben erlebter. Auf eine geradlinige Handlung verzichtet Feimer dabei bewusst. Die Beschreibung der Erlebnisse einer Unsterblichen liegen im Fokus, nicht die Nacherzählung eines derartigen Lebens. Feimer bedient sich hierzu einer sphärischen Sprache, die sich inhaltlich, aber auch formal von all zu viel Bodenhaftung verabschiedet: „Wach auf, wach auf!, höre ich das Echo meiner Stimme, die mich aus einem Traum holen will, nichts surrt, nichts pulsiert, ich darf den Traumbildern nachschmecken, die über meinen Schlaf wachten und nicht in mich drangen […].“
Stella maris ist keine Erzählung, es sind vielmehr Mediationen einer Suchenden, verbunden durch die Zufälligkeit der Existenz. Zu Beginn der Lektüre scheint bloß Eva zwischen den verschiedenen Realitäten zu oszillieren, zum Ende hin übernimmt man selbst diese Rolle und bekommt zumindesten den Hauch einer Ahnung vom unsterblichen Leben.