#Roman

Stahlrosen zur Nacht.

Dine Petrik

Gott, was du dir erspart hast!“

„Schreiben, dachte ich, wäre ein Mittel, mehr Klarheit über mich zu erlangen“, sagt Dine Petrik in einem ORF-Beitrag zu ihrem neuen Buch Stahlrosen zur Nacht. Die Autorin hat neben Lyrik, Romanen und Essays zwei biographische Arbeiten über die Schriftstellerin Hertha Kräftner (1928-1951) verfasst, nun legt sie einen Text über ihre eigene Kindheitsgeschichte im Burgenland der 1940er Jahre vor.

Bereits in ihren sehr persönlichen Annäherungen an die Dichterin Hertha Kräftner befasst sich Dine Petrik mit dem Thema der Vergewaltigung, das seit 1945 als kollektives Trauma auf den Frauen in der damaligen russischen Besatzungszone lastet. Das sogenannte Glück der Spätgeborenen – Dine Petrik war zur fraglichen Zeit ein kleines Kind – verkehrt sich jedoch in der Erzählung des eigenen Lebens zu einer diffusen Schuld, die ebenso schwer zu wiegen scheint wie das Leid der Betroffenen. Ganz langsam entlarvt die Autorin das dunkle Geheimnis, das doch so nahe liegt. Lange vor den Russen haben die eigenen Männer in der Familie Unheil gestiftet. Der Onkel hat seine beiden Töchter missbraucht, der Vater war ein fanatischer Nationalsozialist. Das fügt sich schlecht ins Weltbild der Tochter, die noch lange nach dem Krieg sehnsüchtig auf die Heimkehr des ihr unbekannten Vaters wartet. Nur widerstrebend lässt sie sich von ihrer älteren Cousine aufklären, dass ihr viel mehr erspart geblieben ist, als sie sich jemals vorstellen konnte.

Dieses zentrale Thema des Buches ist eingebettet in zahlreiche andere Erinnerungsbilder, Dine Petrik schreibt von einer bedrückenden Nachkriegs-Kindheit in einem burgenländischen Dorf, von harter Arbeit und fehlender familiärer Fürsorge, von einer Mutter, die ihren Mann und ihre Söhne verloren hat und für die verbleibende kleine Tochter keine Liebe mehr aufbringen kann. „Wach“, „Verhext“, „Verdrängt“ „Verloren“, „Versehrt“ und so weiter lauten die Überschriften der kurzen Kapitel, die Erzählung beginnt mit der Erinnerung an eine unheimliche Totenwache in der frühen Kindheit, dann ist plötzlich einer der Brüder zu Hause, als Deserteur, der andere, Mitglied der SS, bleibt so wie der Vater für immer vermisst. Das Mädchen versteht vieles nicht, lernt zu verdrängen, was ihr Angst macht, die Familiengeschichte ist wie ein „blinder Spiegel“ voller Schemen und Fratzen, „aber es ließ sich an ihnen vorbeischauen“. (S. 26) Nur Fotos zeugen von einer einstigen Normalität: der Vater mit seiner Klarinette, die Brüder in Matrosenanzügen, ebenfalls mit Klarinetten in den Händen. Für das Mädchen bleiben vorerst nur Stall, Feld und Haushalt an der Hand der Mutter, einige Zeit auch ganz allein, als diese im Spital ist.

„Was diese Sätze erzählen, ist die Geschichte eines in einem österreichischen Dorf nach dem Krieg aufgewachsenen Mädchens“, schreibt Daniel Wisser im Nachwort zu Dine Petriks Roman und verortet damit Petriks individuelle Erlebnisse ebenso lakonisch im Allgemeinen wie jene seiner eigenen RomanheldInnen. Das Besondere ist jedoch, mit welchem Formbewusstsein die Autorin ihre Geschichte erzählt. Ihre „Strophen eines Romans“ leben von lyrischen Stellen, von Sätzen im Stakkatoton, von abrupten Schnitten, Perspektivwechseln und intensiven, nachtseitigen Bildern.
Alles an und in diesem Buch ist motivisch miteinander verwoben, etwa die klirrenden Stahlrosen im Buchtitel mit der Stahlkonstruktion der Wiener Neustädter „Serbenhalle“ auf dem Cover. Diese „Serbenhalle“ und das dazugehörige Außenlager des KZ Mauthausen spielen eine Rolle im Leben des Vaters, das bis zuletzt voller Geheimnisse bleibt. Der kurze, nüchterne Bericht eines Historikers über das KZ Wiener Neustadt findet sich an passender Stelle im Buch und kontrastiert die hochemotionale literarische Spurensuche der Autorin.
Auch das bekannte und von Elfriede Jelinek als Theaterstück aufbereitete Massaker von Rechnitz hat einen Platz in der persönlichen Geschichtsschreibung Dine Petriks, jedoch eher am Rande, in Gestalt des Ermittlers Sirowatka, der zu eifrig an der Aufklärung der Vorfälle interessiert ist und von einem Tag zum nächsten seinen Dienstposten und sein Elternhaus räumen muss.

Das letzte Drittel des Buches ist dem Erwachsenenleben der Erzählerin gewidmet, das trotz der seelischen Narben gut gelungen scheint: Beruf und Bildung, eine Frauenfreundschaft sowie eine Liebesbeziehung stehen im Mittelpunkt.
Schon im kurzen Kapitel „Versteinert“, einer Hommage an den Bildhauer Karl Prantl, stößt die Erzählerin eine neue Türe auf, jene in die Welt der Kunst, Literatur, Philosophie. Die Steingebilde auf dem Gelände des burgenländischen Bildhauersymposiums wirken wie eine Initiation auf die junge Frau, ein staunendes, intensives Erleben von Schönheit.
Im späteren Kapitel „Das Licht“ wird das Sich-Verlieben der längst Erwachsenen begleitet von Licht, Luft, Aura, Farbe, von Goethe, Hölderlin, Nietzsche, Descartes, Platon. Der erste Dialog ist voller funkelnder Zitate, ein übermütig-kitschiges Kräftemessen. Hölderlins berühmtes Gedicht „Hälfte des Lebens“, das in großer Fülle mit gelben Birnen und wilden Rosen, Schwänen und Küssen beginnt, verbindet das Paar vom ersten Moment an und passt dank seiner Zäsur in der Mitte auch für die angstvollen Abschnitte des Lebens, die vergangenen und die kommenden: „Weh mir, wo nehm‘ ich, wenn / Es Winter ist, die Blumen, und wo / den Sonnenschein, / Und Schatten der Erde? / Die Mauern stehn / Sprachlos und kalt, im Winde / Klirren die Fahnen.“

So homogen wie hier fügt sich leider nicht jedes Zitat in die Erzählung ein, so mancher Exkurs in die Philosophie und Literatur steht ein wenig unvermittelt im Text, wie ein stolz präsentiertes Accessoire eines neuen Lebens, und bremst damit die Wucht der dichten Kernerzählung. Dies ist jedoch nur ein kleiner Einwand gegen ein insgesamt gelungenes Buch, das durch seinen künstlerischen Anspruch aus der Fülle an Kriegs- und Nachkriegserzählungen hervorsticht.

Strophen eines Romans.
Weitra: Bibliothek der Provinz, 2018.
160 S.; brosch.
ISBN 9-783990-287330.

Rezension vom 28.08.2018

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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