#Roman

Die Stadt ohne Juden

Hugo Bettauer

// Rezension von Elena Messner

Ein Roman von übermorgen.

Der Wiener Metro-Verlag legte eine Neuauflage des Romans Die Stadt ohne Juden von Hugo Bettauer vor, den der 1925 von einem NSDAP-Mitglied erschossene Autor, Journalist und Aktivist 1922 publiziert hatte, und nach dessen enormen Erfolg 1924 der darauf basierende expressionistische gleichnamige österreichische Film gedreht wurde. Aus heutiger Sicht erscheint dieser Roman in mehrfacher Hinsicht absolut unglaublich: einerseits gelang Hugo Bettauer eine erschreckende Satire seiner Gegenwart, der Autor zeichnete damit aber (unbewusst, das ist nach der Lektüre des Buches völlig klar) ein Bild der noch weitaus schrecklicheren nahen Zukunft, des Holocaust.

Dass Bettauer keineswegs vorhatte eine realistische „Zukunftsvision“ niederzuschreiben, dass vielmehr sein Buch auch Zeugnis davon ablegt, dass man sich die kommenden Schrecknisse eben nicht vorstellen konnte, davon zeugt die Form, in der er das für ZeitgenossInnen (damals und heute) hochaktuelle Buch schrieb: nämlich als Unterhaltungsroman, als Satire, mit der er eine humorvolle Antwort auf den Antisemitismus der 1920er-Jahre gab, die er obendrein mit einem Happy End versah. Unterhaltsam war der Roman für seine zeitgenössische Leserschaft mit Sicherheit, nicht zuletzt ist das an dem großen kommerziellen Erfolg (250.000 verkaufte Exemplare, der größte kommerzielle Erfolg des Autors) und der Verfilmung abzulesen. Andererseits war er aber auch damals bereits ein scharfes, kritisches Zeugnis des salonfähigen Antisemitismus und daher heftig umstritten bzw. von rechten Kreisen angegriffen. Dabei ist die Handlung des Romans geradezu märchenhaft simpel gestrickt und entbehrt auch nicht unlogischer Stränge, so die erfolgreiche Intrige der (jüdischen) Hauptfigur und das Happy End, das nicht nur im Rückblick und im Wissen, welche unvorstellbaren Brutalitäten ein Jahrzehnt später vorbereitet werden sollten, als unglaubwürdig gelten muss.

Bettauer konstruiert seine Satire rund um eine Ausgangsfrage: was würde passieren, wenn die jüdische Bevölkerung Wien verlassen müsste? Nichts Gutes: Nachdem in Österreich die Christlichsozialen an die Macht kommen, lässt der Bundeskanzler, Dr. Schwertfeger, ein durchschnittlicher fanatischer Antisemit, ein Judengesetz verabschieden, das alle Juden und Jüdinnen bis zum Jahresende zur Auswanderung zwingt, und das zunächst mit großer Begeisterung aufgenommen wird. Nur wenige sozialdemokratische Politiker versuchen überhaupt, natürlich erfolglos, zu protestieren. Bald nachdem die jüdische Bevölkerung jedoch Österreich verlassen hat, verfällt das Land ökonomisch, da der Handel stark zurückgegangen ist und sich in andere Städte Europas verlagert hat (die, so heißt es, nicht so blöd waren, die Juden rauszuschmeißen). Besonders schmerzhaft erscheint aus heutiger Sicht, dass Berlin als freundliche Stadt mit großer Aufnahmefähigkeit für die Verbannten inszeniert wird. Wiens Kulturszene verarmt, Inflation und Arbeitslosigkeit machen sich breit, Luxus und Mode werden durch Dirndl und Würstl mit Bier ersetzt. Schließlich sorgt eine „interkonfessionelle“ Liebe dafür, dass das Gesetz rückgängig gemacht wird: Leo Strakosch, der zurück zu seiner Geliebten nach Wien möchte, legt die unfähigen (christlichsozialen) Politiker herein, zum Wohle der Stadt, die mittlerweile vollkommen verfallen und verarmt ist, und das Buch endet mit der glücklichen Wiedervereinigung der Liebenden und mit den versöhnlichen Worten des Bürgermeisters von Wien: „Mein lieber Jude!“

Die Figuren des Romans sind so simpel gestrickt wie die Handlung: Da gibt es das „Wiener Mädel“ Lotte, die Tochter eines christlichsozialen Abgeordneten, ihren Geliebten, den gewitzten Juden Leo, dazu antisemitische und nicht selten dem Alkoholismus verfallene christlichsoziale Politiker, die wie Karikaturen so mancher heutiger österreichischer rechtskonservativer Politiker wirken, oder Portraits jüdischer BürgerInnen, die vereinzelt sehr stereotyp gehalten werden, aber gerade in der ersten Hälfte des Buches auch zu den besten Stellen des Romans gehören. Das Buch musste sich teilweise den Vorwurf gefallen lassen, es verfestige rassistische Stereotype (der reiche und geldgierige Jude, der durch seine Schlauheit und Fertigkeit den katholischen Österreicher gefährdet), die jedoch der karikaturalen Figurenkonstruktion des Romans geschuldet sind und zudem andererseits an vielen Stellen wieder hinterfragt und dekonstruiert werden. Als besonders starkes Moment, das die „religiöse Identität“ der Figuren betrifft, ist die Erzählung davon herauszuheben, wie viele Juden nun Wien nach der Verabschiedung des neuen Gesetztes verlassen müssen: in vielen katholischen Durchschnittsfamilien, wie auch bei den christlichsozialen Politikern, findet sich ein vergessener „Konvertierter“. Die durch Bürokraten ermittelte Zahl der Wegziehenden liegt daher sehr weit unter der tatsächlichen. Auch hier kann eine zeitgenössische Leserschaft sich nur mit Grauen an die bürokratischen „Sortierungsmaßnahmen“ des Dritten Reiches erinnern.

Bettauers Roman war als Komödie gedacht, als ironische Kritik des Antisemitismus in Österreich, die einen stark versöhnlichen, also auch (politisch) konstruktiven, nahezu aufklärerischen Charakter besitzt, und mag daher einer zeitgenössischen Leserschaft zunächst zu fröhlich-unterhaltsam vorkommen. Der ideologische Hintergrund, der hier so fröhlich auf die Schippe genommen wird, ist aber ein Antisemitismus, der nicht nur in ultrarechten Kreisen, sondern in einer breiten Bevölkerungsschicht verbreitet war und von konservativen Parteien offen zur Schau getragen wurde. Gerade dies macht der Roman besonders deutlich, und dies wiederum macht ihn auch heute so aktuell. Was der satirisch dargestellte christlichsoziale Bürgermeister predigt, ist keineswegs erfunden. Vielmehr beziehen sich diese Zitate auf reale Reden von Dr. Karl Lueger, „Wiens größten Antisemiten“, nach dem bis vor wenigen Tagen die Wiener Ringstraße im Abschnitt von der Universität bis zum Burgtheater benannt war – braucht es mehr mitgedachte Rufzeichen für eine zeitgenössische Lektüre des Textes? Diese Reden wären in ihrer absurden Primitivität lachhaft, wenn deren Konsequenzen (im Roman wie auch in der Realität) nicht so brutal gewesen wären. Nur ein weitverbreiteter, salonfähiger Antisemitismus und die breite Zustimmung in der Bevölkerung zu rassistischen, nationalistischen und antisemitischen Haltungen, die freilich nicht nur in Wien blühten, konnte eine Politik ermöglichen, die zum Holocaust führen sollte. Als Zeitzeugnis ist der Text gerade deshalb von unglaublicher Wichtigkeit, weil er die große Bereitschaft zur brutalen Ausgrenzung und Unterdrückung der jüdischen MitbürgerInnen einer sonst eher durchschnittlichen, im Roman auch naiv-dämlichen und keineswegs dämonischen Bevölkerung ausstellt. Dem Metro Verlag kann nur für die Initiative gedankt werden, das Buch neu zu verlegen und ihm eine Rahmung von Jorghi Poll beizufügen, der in seinem Nachwort schreibt: „Mit dem Bewusstsein, was gestern war, und wie es vorgestern dazu hat kommen können, sollten wir an morgen denken.“

Hugo Bettauer Die Stadt ohne Juden
Roman.
Wien: Metro, 2012.
176 S.; geb.
ISBN 978-3-902517-72-2.

Rezension vom 03.05.2012

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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